Das Bild einer Förderbrücke hingegen, das mit der Becher’schen Zentralperspektive experimentiert, den harten Schwarz-Weiß-Kontrasten und einem Himmel, der keinerlei Wetterstimmungen erkennen lässt, ist von ihm selbst. "Ich mag Technik, und ich mag geplante Bilder. Wenn ich fotografiere, überlasse ich nichts dem Zufall. Bevor ich auf den Auslöser drücke, habe ich das Bild schon im Kopf."
Bernitz arbeitet fast ausschließlich mit einer digitalen Spiegelreflex-Kamera mit Stativ, selten mit Mittelformat oder gar mit einer Großbildkamera wie die Bechers. Im Gegensatz zu deren völlig von ihrer Umgebung losgelösten Bauwerken sind in seinen Bildern zumindest deren Konturen noch sichtbar. Am rechten Bildrand seines Wettbewerbsbildes sind zwei Schornsteinen und Mauern eines Fabrikgebäudes auszumachen, am Fuß der Maschine der grasbewachsene Abhang einer ehemaligen Abraumhalde. Die Lichter am Leib der wellenförmig aufgeständerten Förderbrücke lassen sie ein bisschen wie eine Achterbahn erscheinen. Ein Objekt aus der Arbeitswelt, das nun an zweckfreie Kirmes-Vergnügungen erinnert – und damit über die Vergänglichkeit hinausweist.
Jahrelang hat Swen Bernitz den Strukturwandel im Ruhrgebiet dokumentiert, die Deindustrialisierung des alten Westens, der für den jungen Ostberliner auch ein Abenteuer war. Als er nach der Schule seinen Wehrdienst bei der NVA ableistete, fiel die Mauer, und er beschloss, "die Möglichkeiten der neuen Gesellschaftsordnung zu nutzen."
Unternehmer wollte er werden, und ging diesen Plan zielstrebig an. Er bewarb sich um einen BWL-Studienplatz, ging zum Grundstudium ins bayerische Passau und nach dem Diplom zu einer Düsseldorfer Bank. Nach ein paar Jahren in Festanstellung machte er sich schließlich am Rhein mit einer Beratungsgesellschaft für Finanzdienstleistungen selbstständig.
Von den Honoraren kaufte er Fotografie, die ihm gefiel: Schwarz-Weiß-Aufnahmen von, wie er es nennt, "gebauter Umgebung im Wandel", beispielsweise die Bilder von Ulrich Wüst aus Ostberlin, die heute ebenfalls in seinem Flur hängen.
Etwa 2005 begann er, selbst zu fotografieren. Es war nicht nur die besondere Ästhetik der "lost places" im Ruhrgebiet, die ihn anzog. Er interessierte sich für Geschichte und wollte einen historischen Wandel dokumentieren, wie er als Kind der DDR selbst einen erfahren hatte. Dass er dazu keine Menschen, sondern Gebäude sprechen ließ, entspräche seinem Naturell. "Als Einzelgänger bin ich kein Typ für Street Photography oder schnelle Reportagen," sagt er. "Und ich habe den Luxus, mir Zeit nehmen zu können, zum Beispiel fürs Beobachten und Konzipieren von Serien."
Erst 2018 hat er Architekturfotografie als Gewerbe angemeldet und die Arbeit in seiner Beratungsgesellschaft zurückgeschraubt, die er nun meist aus seinem Haus in Wünsdorf führt, das er allein geplant hat und bewohnt. Im Wohnzimmer stehen Hellerau-Sideboards, beinahe jedes Möbelstück ist ein Klassiker.
Über dem Sofa hängt seine eigene Fotoserie vom Abriss des Arbeiterviertels Duisburg-Bruckhausen, die im perfekten Kontrast zu dem Bild vor den großen Fensterfronten steht: eine lange Wiese, eingerahmt von hohen Bäumen, durch die der Mellensee blitzt.
An dessen Ufer hat Bernitz seine Kindheitssommer verbracht. Die Großeltern haben dort gewohnt. Damals war Wünsdorf eine Siedlung mit viel Leerstand. Mittlerweile wurden die ehemaligen russischen Soldatenwohnungen saniert. Mit einer Werbekampagne sollen Berliner angelockt werden, die sich die steigenden Mieten in der Hauptstadt nicht mehr leisten können. Aber dieser Wandel ist für Bernitz fotografisch vorerst kein Thema. "In Wünsdorf bin ich am liebsten mit dem Kanu auf dem See," sagt er und schiebt die bonbonbunten Cookies aus Düsseldorf auf dem Kaffeetisch zu einem Quadrat zusammen. "Ich mag das Gefühl, wenn die Welt still steht."
Info:www.swenbernitz.de
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