Wie werden wir von anderen gesehen? Und wie sehen wir uns selber? Wie gleichen wir diese beiden Blicke miteinander ab: Passen wir uns dem Bild an, das andere von uns entworfen haben? Oder bleiben wir bei den Lösungen, die wir in unserem Leben für Probleme gefunden haben, mit denen wir konfrontiert wurden? Das alles sind Fragen, die sich um das Thema „Eigensinn“ drehen.
Ein Begriff, den das Oderbruch Museum in Altranft als Jahresthema gewählt hat. Sie hätten darüber diskutiert, wie man „diese Formen von Widerstand nennen kann, die einem hier begegnen; dieses Misstrauen gegenüber der großen Politik, diese Direktheit, die manchmal ziemlich rau klingt. Aber auch diesen Sinn für Eigenverantwortung, eine Resilienz gegenüber Widrigkeiten, sagt Museumsleiter Kenneth Anders. „Es sollte ein unideologischer, wertneutraler Begriff sein, in dem das alles mitschwingt.“

Jahresthema im Oderbruch

Bei dieser einjährigen Eigensinn-Studie im Oderbruch wird die MOZ das Museum nicht nur publizistisch begleiten, sondern eigene Feldforschungen anstellen – nicht nur im Bruch, sondern im ganzen Verbreitungsgebiet. Der Blickabgleich, den dieser Begriff fördert, hilft auch zu erforschen, warum der Zusammenhalt in der Gesellschaft schwindet. Warum der Ton aggressiver wird. Warum Medien immer öfter als „Lügenpresse“ bezeichnet werden – und Bauern als starrsinnige Umweltsünder. Warum Menschen insbesondere auf dem Land schimpfen, dass sie sich gegängelt fühlen.
Wir schauen uns dazu auf den Feldern von Gusow-Platkow um, im Theater am Rand und auf der Burg Beeskow, in Handwerksbetrieben, Jugendcliquen, sprechen mit Sozialarbeitern und Psychologen. Und natürlich sind wir bei den Treffen von „Eigensinnigen“ im Oderbruch Museum dabei.

Die erste Staffel

Die Reihe ist aufgebaut wie eine moderne Serie, die in verschiedenen Staffeln gedreht wird. Die einzelnen Teile der Staffel erscheinen ab jetzt im Wochenrhythmus. In der ersten geht es um die Geschichte und Psychologie des Eigensinns und die Ausprägung dieses Eigensinns in der Region – und um einen wissenschaftlichen Blick auf den ländlichen Raum.
In Folge eins erzählt der Humangeograph Gerhard Henkel, der wegen seines Engagements für den ländlichen Raum auch der „Dorfpapst“ genannt wird, wie eine Wissenschaftskommission in den 1970er-Jahren in Westdeutschland Dorfarchitektur und –strukturen als „komplett wertlos“ und somit geschleift werden kann. Und wie die Gebietsreform in Ostdeutschland Gemeinden Entscheidungsfreiheit und mit den Gestaltungsbefugnissen auch das Engagement. Er fordert, den Gemeinden wieder mehr Eigenverantwortung zu übertragen und den Modernisierungsbegriff zu überdenken – und die „negative Konnotation von Eigensinn als gemeinschaftsfeindlich.

Folge zwei: Der andere Blick

In der zweiten Folge diskutieren Kenneth Anders vom Oderbruch Museum Altranft und Steffen Schuhmann vom Museum Oder-Spree in Beeskow über die Versorgungsgesellschaft, die Eigenverantwortung und den Existenzdruck von Bauern und darüber, was zu tun wäre, damit nicht eines Tages alle Dörfer gleich aussehen. Es geht um Wahlverhalten, Selbstgenügsamkeit und darum, wie anderen Sichtweisen auf historische Ereignisse wie die Bodenreform im Museum sichtbar gemacht werden können. Das könnte auch eine Rolle für Kultur im ländlichen Raum sein: „Geschichten zu erzählen,“, die, so Schuhmann, „nicht Teil der aktuellen gesellschaftlichen Erzählung sind.“ Eine Rolle, die sie nach Kenneth Anders auf dem Land besonders gut ausfüllen könne – nicht zuletzt wegen des weit verbreiteten Eigensinns.

Teil drei: Der Einfluss des Geldes

In Teil drei schildert der Psychologe Stefan Cinkl, was Eigensinn mit Lebenssinn zu tun hat. Cinkl, der in der Familienarbeit und der Weiterbildung von Jugendamtsmitarbeitern tätig ist, erzählt, wie die Wende und die Schließung von LPGs und Betrieben Familien in die, die sich schneller und leichter angepasst haben, und die anderen einteilte, die das nicht wollten oder konnten. Seine These: Was das Gemeinschaftsgefühl in Ostbrandenburg am stärksten zerstört habe, sei Geld und Einkommen als Wertmaßstab für Erfolg. Die Konfliktlinien sieht er nicht zwischen Berliner Zuzüglern und Brandenburger Alteingesessenen, sondern zwischen Menschen, die wegen ihres Bankkontos, ihrer Ausbildung oder ihrer Beziehungen mehr Chancen und Wahlmöglichkeiten haben, und denen, die diese nicht in dem Maße besitzen.

Teil vier: eine Wandermalerin erzählt

Im vierten Teil wird die Künstlerin Antje Schiffers vorgestellt, die selbst auf einem Bauernhof groß wurde. Schiffers hat eine internationale Künstlergruppe „myvillages“ gegründet, die sich mit dem Landleben beschäftigt. Schiffers reist als Wandermalerin über Land und lässt Landwirte in der ganzen Welt sich selber porträtieren. Diese Portraits reisen als sich ständig verändernde Ausstellung um die Welt. Im vergangenen Jahr organisierte sie mit dem Oderbruch Museum die Aktion „Ländliche Produktivkräfte“, bei der ein Schrank für „eigensinnige Produkte“ mit einem Gemälde des Oderbruchs entstand.

Ist das Bild zu negativ?

Begleitet werden die Texte von Bildern des Fotografen Rainer Sioda, Lotto-Preisträger und gebürtiger Treuenbrietzener, der einmal gefragt wurde, ob er seine Brandenburg-Bilder nicht zu negativ fände? Das war bei einer Ausstellung zu seinem Fotobuch „Fack“, aus dem auch das Titelbild unserer „Eigensinn“-Serie“ stammt. Seine Antwort: „Mein Buch heißt ja auch nicht: Die schönsten Schlösser und Gärten.“ Ihm gehe es darum, Atmosphären einzufangen, Stimmungen, die unter der Oberfläche schwelen. Seit vielen Jahren saust er mit dem Rennrad durch das Land, auf der Suche nach Bildern, die ihm ins Auge stechen. Er fotografiert Plattenbauten und Äcker, gestaltete und zersiedelte Landschaften, Autos und Werkstätten, mit einem Blick für die Komik des Düsteren. Sein Porträt – und seine erste Bildergalerie – beendet die erste Staffel.
In der zweiten Staffel werden wir Eigensinnige aus der Region porträtieren, interviewen und in Reportagen bei ihrer Arbeit oder Freizeitbeschäftigungen begleiten.

Eine Ode an den Eigensinn

Zum Schluss noch eine Ode an den Brandenburger Eigensinn, dem die Brandenburger Lyrikerin Eva Strittmatter 1973 eines ihrer berühmtesten Gedichte gewidmet hat: „Mark“:
Mich rühren die sandigen Wege
im alten sandigen Land.
Die Heckenrosengehege.
Die Holderbüsche am Rand
der alten Felderraine.
Die Gräser reden mir da
von Zeiten, die warn noch nicht meine,
als ich das Früheste sah:
Die Gräser. Und hörte die Lerche.
Und roch dieser Sande Geruch.
Seitdem schlepp ich diese Erde
mit mir als Segen und Fluch.
Ich muss diesen Sand verwandeln,
bis er schmilzt und Wort wird in mir.
Diese Erde lässt nicht mit sich handeln.
Ich komm nicht umsonst aus ihr.