Mit so jemand, der die besten Restaurants in Venedig und Rom empfehlen kann, als Kind schon an der Mosel unterwegs war, auf Spuren von Roland Barthes durch Paris wandert und über Robert Schumanns Liebesbriefe geschrieben hat, würde man sich zu gern mal unterhalten, sich zum Beispiel von dem französischen Schriftsteller Francis Ponge erzählen lassen, dessen Miniaturen "Im Namen der Dinge" eines der eigenwilligsten Bücher ist, das ich kenne. Oder sich von ihm die neue CD von Lisa Batiashvili empfehlen lassen …
Ein solcher Dialog ist möglich. Denn Ortheil,  der Sprach-Experimentator und Allround-Amateur, hat die digitalen Möglichkeiten entdeckt und schreibt seit über drei Jahren einen Blog (ortheil-blog.de). Und wie er unlängst in einem Eintrag erzählte, ist daraus ein echter Dialog mit Leserinnen und Lesern geworden, die ihn ihrerseits auf Themen, Funde, Leidenschaften hinweisen. Ortheil selbst beschreibt es so: "Meine Blogtexte inspirierten vielmehr eine Art vertrauliches Dating. Der Blog strahlte aus, und die Lesertexte strahlten zurück! Ich erhielt Buch- und Musiktipps und verfolgte oft sprachlos und fasziniert, auf welchen Nebenwegen diese Tipps auf die Terrains bezogen waren, die ich früher ,meine private Ästhetik‘ genannt hatte."
In einem seiner letzten Posts hat Ortheil über ein Buch des Leipziger Bibliothekars Ulrich Johannes Schneider geschrieben, der Bilder von Lesenden analysiert und immer wieder die Geste findet, dass der Finger zur Erinnerung zwischen die Seiten gelegt wird, wenn man einmal kurz unterbrochen wird. Also das geht mit einem Blog so schlecht, innehalten, die Stelle markieren, aufschauen, nachdenken, weiterlesen. Ortheil selbst hat das Dilemma auch schon erkannt, träumt davon, sein Blog-Material in einer Sala Ortheil im Westerwald zu präsentieren und lobt einen Bloggerpreis 2020 aus für diejenigen, die jeden Eintrag des Blogs mehrfach gelesen haben und die Frage beantworten können: "Von welchem deutschen Fussball-Nationalspieler wurde Hanns-Josef Ortheil in der Fein-kostabteilung von Harrods in London auf ein Kölsch in einem Kölner Brauhaus eingeladen?"