Das "Märkische Wuppertal"
Alles, was dem Land zu einer Existenz verhalf, ist diesem Fluss entstiegen, schreibt Rafalski, und schildert, wie das Finowtal mit seinen Ackerbürgern und -bauern zum "Märkischen Wuppertal", zum frühesten und bedeutendsten Inustriestandort in Brandenburg wurde – und wie sich die Natur seit den 1970er-Jahren sich das Gelände wieder zurückholt, Kies- und Tongruben, Betonblöcke, Gleisreste und Stahlstumpen überwuchert, ein Eldorado für Vögel, Gänse, Rehe, Biber und Wildschweine.
Die melancholischen Schwarz-Weiß-Fotografien, die er dem Band beigesellt und mit denen er sich auch für den diesjährigen Brandenburgischen Kunstpreis bewarb (drei Arbeiten sind noch bis 30. August in der Ausstellung in Neuhardenberg zu sehen), zeigen die friedlich und zugewachsen mäandernde Alte Finow bei Stecherschleuse, aber auch überwachsene Fundamente der Kiesverladeeinrichtung Niederfinow oder die wuchtigen Restpfeiler der Finowkanalbrücke an der Bahnlinie Berlin-Stettin.
Hier ist gleichermaßen Fantasie und Spürsinn am Werk, Faszination für Industriegeschichte und Lokalhistorie. Man liest vom Treideln, Flößen und Schleusen. vom Granit für die Berliner Gehwegplatten und der Zellulose für die Papierfabriken, von den Ziegeln für die wachsende Großstadt Berlin, und von den Träumen eines "Berliner Seecanals" zwischen Stettin und Berlin, nach Vorbild des Suezkanals. In einem Kapitel malt Rafalski aus, wie es 1911 am Eberswalder Fischerbollwerk zuging, wo die Fischer sich um Überfischung sorgen, die Flößer Station machten, und der Nachtwächter in Lexows Schneidemühle von England träumt, wohin die Kähne Mechaniken aus Eberswalde bringen.
Oder er schildert, wie in Hohensaaten, einst wichtiger Schleusenkopf an der Oder, nach dem Zweiten Weltkrieg die Welt zuende war, und die Hohensaatener nur mit der "Wildente", einem überdachten Arbeitsboot, nach Oderberg und von da aus weiter nach Oranienburg fahren konnten – bis 1953 der Busverkehr wieder aufgenommen wurde. Und mit geradezu detektivischem Gespür sucht er die Spuren der 19 Brücken, die meisten von ihnen in den letzten Apriltagen 1945 durch die zurückweichenden deutschen Truppen gesprengt.
Doch Rafalski wäre nicht der Planer, der er ist, wenn er seine historischen Tiefenbohrungen nicht mit konkreter Kritik an der Gegenwart und Visionen für die Zukunft verbinden würde. Dass die Stadt Eberswalde das Potential dieser Wasserstraße missachte, ärgert ihn ebenso sehr wie der Verfall und Abriss der einstigen Industrieanlagen zum Beispiel in der Messingwerksiedlung. Stattdessen entwickelt er Träume einer Unterwasserwelt im jetzigen Biotop, eines Freiluftmuseums und Ortes für Künstler und Kunsthandwerker in der ehemaligen Werkssiedlung, so dass ein "neuer, naturbezogener Lebensraum" entstehen könnte, der dem Fluss nicht länger den Rücken zukehrt.
Das Buch endet mit einer Fantasie zum 500. Geburtstag des Finowkanals, in der die Menschen die Potentiale des Wasserlaufs, eines entschleunigten Lebens in der Natur verbinden mit neuen Formen von Wasserenergienutzung und Wertschätzung für das industrielle Erbe. Aus kuriosen Namen wie "Kupferhammer", "Bullenbeutel", "Teufelsbrücke" oder "Wolfswinkel" können, so Rafalskis Hoffnung, Identitätsstifter werden: "Wenn Menschen zu Globetrottern werden, müssen die Orte identifizierbar bleiben."
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