Hornissen hatten sich in den kühler werdenden Herbsttagen in die Wärme des Ateliers im brandenburgischen Teetz geflüchtet – und lagen am nächsten Tag tot am Boden. Er habe dann eine Art Andachtsraum machen wollen, erzählt Heisig: "Ich habe schon Faszination empfunden, vor der Eleganz, der filigranen Anmut der großen Tiere." Das sei für ihn eine schöne Metapher, ein Sinnbild, auch für die eigene Existenz, wie er sie immer häufiger in der Landschaft findet, seit er in Brandenburg lebt.
Das Bild des verendeten Insekts ist ein brillantes Memento Mori geworden: der verkrümmte Körper, die Zartheit der Flügel, das Goldgelb des Panzers, die plötzliche Erdenschwere des Flugobjekts, die Mischung aus Gewalt und Eleganz, Bedrohung und Zerbrechlichkeit, die das Bild ausstrahlt. "Ich bin ein Maler, der unmittelbar vom optischen Erleben kommt", erzählt Heisig. Doch seit er in Teetz lebt, hat das Naturerlebnis alles Eskapistische verloren, ist nahe gerückt.
Dass Johannes Heisig ein ebenso kluger und geduldiger Beobachter ist wie ein  angstfreier, kompromissloser Künstler, der den Malprozess zur Grundlagenforschung macht, belegen die Berichte derjenigen, die ihm Porträt gesessen haben, die Schriftstellerin Eva Demski wie die Sammlerin und Galeristengattin Stefania Canali und auch der Schriftsteller Volker Braun, mit dessen Porträt Heisig den Brandenburgischen Kunstpreis gewonnen hat. Aus ihren Erinnerungen spricht eine Melange aus Faszination und Schrecken vor dem, was der Blick und der Pinsel des Malers hervorbringt und wieder verbirgt: eine Ähnlichkeit mit Christa Wolf im Falle von Eva Demski, oder ein Gelb, bei dem sie dachte "jetzt hat er dich erwischt". Vieles davon schwebt am Ende nur noch im Bild, "wie das Lächeln der Cheshire-Katze" bei "Alice im Wunderland", schreibt sie in einem Katalogbeitrag. Volker Braun hingegen erzählt, wie im steten Prozess der Überarbeitung, der eigentlich nie ein Ende findet, das Gesicht wieder verschwindet, das schon da war. Der heitere Ausdruck, den er so mochte – übermalt. "Ich habe das Gesicht verloren", bilanziert der Schriftsteller, tieftraurig. "Es kommt auch nicht wieder", erklärt der Künstler, gnadenlos.
Ob die Großen der Politik, die er porträtiert hat, Willy Brandt, Manfred Stolpe, Egon Bahr, Peer Steinbrück, oder den Berliner Pfarrer Fischer, die Kunstsammler Fritz Rau und Christoph Müller, die Tanz-Ikone Gret Palucca, den Schriftsteller Erich Loest, den Künstlerkollegen Hubertus Griebe, seinen Vater, den berühmten Maler Bernhard Heisig, die Mitglieder seiner Familie, oder eben die Hornisse in ihrem Todeskampf – Johannes Heisig begegnet ihnen allen mit dem gleichen Ernst, der gleichen Ehrfurcht vor dem Anderen und einer humanen Grundhaltung, die sich immer auch aus feiner Distanz speist.
So richtig gnadenlos ist er nur bei seinen unzähligen Selbstporträts, da ist keine Rücksicht, sondern nur ein Forschen am Gegenüber, das unter die Haut geht, Schicht für Schicht. Das große Vorbild Rembrandt ist spürbar, in der "Konfrontation mit dem Universum Mensch", wie Heisig selbst es einmal über Rembrandt geschrieben hat. Es ist auch eine Form der Abreaktion, sagt er selbst: "Meistens mache ich meine Selbstporträts in Zeiten, in denen ich vor größeren Fragen stehe. Wenn man mal nicht klarkommt, schaut man sich ins Gesicht."
Porträtmalen ist für ihn die Hohe Schule der Malerei: "Die Freiheit dabei, die muss man sich erst erkämpfen." Aufträge scheut er dabei nicht, freut sich auf die Auseinandersetzung, die Begegnung zweier Individuen, zweier Seelen, wie er es nennt: "Die psychologischen Prozesse sind zum Teil ziemlich dramatisch".
Doch das ist nur die eine Seite. Wie sein Vater, aus dessen Schatten er sich früh befreit hat, ohne die Prägung zu verleugnen, packt auch Johannes Heisig die Geschichte mit all ihren Rätseln, ihrer Komplexität, ihren Unschärfen und Ungenauigkeiten in seine oft großen programmatischen Bilder. Da taucht der elfjährige Daniel Barenboim an Mozarts Hammerklavier ebenso auf wie die Menschenmassen der Love Parade, und eine Breughel’sche Weltkugel.
Gern bezeichnet Heisig die Konzeptionsphase als "Schachbrettaufgabe", die verschiedene Variablen zusammenfügt und "im günstigen Fall am Ende ein organisches Ganzes ergibt". "Die Welt ist ein ganzes Stück komplexer geworden, nach dem Ende des dualistischen Lagerdenkens". Während des Malens taste er sich durch einen Nebel und wisse nie, wohin sein Bild ihn führen werde – das erzählten ja auch Schriftsteller, dass irgendwann ihre Figuren ein Eigenleben entwickeln und die Führung übernehmen. Lange Zeit wisse er nicht, was eigentlich das Thema des Bildes ist, gibt Heisig zu. Was er als Thema setze, stelle sich im Prozess des Malens oft als Platitüde heraus. Das Bild ist am Ende immer klüger als sein Schöpfer.