So beeinflusst er die Belichtung bestimmter Partien. "Ich hauche dem Bild Leben ein", erklärt er. Wenn er das Fotopapier in die Entwicklerflüssigkeit taucht, zeichnet sich langsam ein Bild ab: das Porträt eines jungen Mannes, der Akkordeon spielt.
In diesem Augenblick zeigt sich, ob das Bild, das Gaudlitz im Kopf hatte, mit dem Ergebnis übereinstimmt. Ein faszinierender Moment – zumal der Fotograf die belichteten Filme auf seinen Reisen oft monatelang mit sich trägt, ehe er sie entwickelt.
Der 61-Jährige interessiert sich für Welten, die außerhalb seines Alltags in Deutschland liegen. "Ich finde, das Leben ist langweilig genug. Man muss es provozieren, damit man an seine Grenzen kommt." Zu Hause in Potsdam wird man ihn kaum mit einer Kamera vorm Gesicht antreffen. Fast immer arbeitet er an Langzeitprojekten, die mit Reisen verbunden sind.
1988 war er das erste Mal in der Sowjetunion – um an der Erdgastrasse "Drushba" Kabelgräben auszuheben. Für seine Diplomarbeit an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, wo er bei Arno Fischer Fotografie studierte, beschäftigte er sich mit dem Abzug der russischen Truppen aus Deutschland. Zehn Jahre lang reiste er von da an immer wieder in das facettenreiche wie widersprüchliche Land. Er sei erschrocken gewesen über die Entwicklungen in den 90er-Jahren, erzählt Gaudlitz, der sich bewusst an unangenehme Orten begab und keinen Hinterhof mied, um dort Menschen zu fotografieren. "Weil ich die Idee hatte, diese Situation, diese gesellschaftliche Apathie an der Befindlichkeit des Einzelnen fotografieren zu können."
Von einer anderen Herangehensweise berichten seine aktuellen, 2017 und 2018 entstandenen Russlandbilder. "Den umfangreichen Kapiteln ein weiteres beizufügen, das Putin-Russland, hatte für mich eine gewisse Zwangsläufigkeit", erzählt Gaudlitz. Diesmal bewegte er sich bewusst an der Oberfläche. Ihn interessierten die Inszenierungen des Neopatriotismus, erklärt er. Davon zeugen Aufnahmen wie jene im Zentralmuseum des Großen Vaterländischen Krieges in Moskau. Darauf sieht es aus, als würden wächserne Soldaten auf eine Gruppe von Schulkindern einstürmen. Für eine Auswahl aus dieser Serie wird Gaudlitz in diesem Jahr mit dem Brandenburgischen Kunstpreis in der Kategorie Fotografie ausgezeichnet.
Auf Humboldts Spuren
Gaudlitz beschreibt seine Arbeitsweise als "erfahrendes Verstehen". Wenn er etwa auf Alexander von Humboldts Spuren durch Südamerika reist, wolle er auch die Strapazen spüren, die der Weltreisende damals auf sich nahm. "Was mit Schmerz und Belastung zu tun hat, lädt die Bilder auf", betont er. Ihm sei wichtig, den Menschen eine Stimme und ein Bild zu geben, die sonst nicht gesehen würden.
Neben Russland spielt Südamerika eine große Rolle in seinen Arbeiten. 2010 folgte er sieben Monate lang den Pfaden Humboldts über die Anden und legte dabei 2200 Kilometer zurück. Eines Tages entdeckte er im Tiefland von Peru Frauen, die Volleyball spielten. Er habe sich über ihren harten Schlag gewundert, berichtet Gaudlitz. Beim Näherkommen bemerkte er, dass es Transfrauen waren – Personen, die mit männlichen Geschlechtsmerkmalen geboren wurden, deren soziales Geschlecht aber weiblich ist.
Die Begegnung faszinierte ihn. Mehrmals kam er zurück, um das Vertrauen dieser Frauen zu gewinnen, die als Gruppe unter Diskriminierung leiden. So entstanden Porträts, die in dem Band "A MAZO – Die Amazonen des Amazonas" versammelt sind. Gaudlitz zieht eine Parallele zwischen den peruanischen Transfrauen und den Kriegerinnen antiker Sagen. "Ich finde, sie haben denselben Mut wie Amazonen, die für ihre Rechte kämpfen", sagt er.
Auf den Fotos posieren die Frauen in Röcken oder Hotpants, bauchfrei und sorgsam geschminkt – mit neutralen Mienen, die Raum für Interpretationen lassen. Parallel fotografierte Gaudlitz pflanzliche und tierische Stillleben aus Blüten, Schlangen oder Früchten, die Farben und Muster der Porträts aufgreifen. "Ich dachte, dass die Bilder Metaphern für diese Frauen sind – zwischen Schönheit und Schmerz", sagt Gaudlitz.
Preisverleihung und Ausstellungseröffnung am 23.6., 12 Uhr, Schloss Neuhardenberg
Fernsehporträt über Frank Gaudlitz, "Brandenburg aktuell", rbb, Sonnabend, 19.30 Uhr
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