2.500 Bücher sind in Englisch und Deutsch gedruckt. Das Märchen ist auch ins Polnische übersetzt worden. Es erscheint im Januar, eine arabische Version ist in Planung. Seit August arbeitete Kalinski mit dem 29-jährigen Londoner Botterill am Gender-Text. Mehr als 50 Zeichnungen schuf die Italienerin Claudia Piras: Bilder von Prinzen und Prinzessinnen, mit denen sich Zuhörer und Leser auf der ganzen Welt identifizieren können.
Kalinskis fünfjährige Tochter Lena ist von der frechen Prinzessin begeistert, legt Wert auf wichtige Details wie dem Kratzer am Bein von Schneewittchen. Auch von den Erwachsenen, die zuvor jahrhundertelang gleich erzählte Geschichten zu hören bekamen, werde das Gender-Märchen gut angenommen, berichtet der Autor. Kalinski wuchs als Leipziger Diplomatenkind im Ausland auf und studierte "Internationales Business". Seine polnische Freundin ist die Mutter seiner zwei Kinder. Das Paar lernte sich während des Studiums in Los Angeles kennen, lebte in London, bevor es 2014 nach Berlin zog.
Beruflich bemüht sich der 38-Jährige als Berater im Online-Handel um Diversität. Privat hält er sich an das Prinzip der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Schneewittchens Schönheit war Stephan Kalinski schon immer egal. Seinen Kindern Lena und Luka irgendwie auch. Was der Aspekt von Schönheit in Märchen zu suchen habe, wenn sie doch eigentlich von Gut und Böse handeln, möchte der Vater infrage stellen. Beim Vorlesen ließ er ganz bewusst kleine, dennoch entscheidende Details weg und ersetzte Attribute: Schneewittchen bekam also keine schöne weiße Haut, dafür eine Königin als Mutter, die freundlich und klug war, sowie einen kühnen, gerechten, alleinerziehenden Vater, der das Kind nach dem Tod der Mutter sogar selbst wickelte und eigenhändig unterrichtete. Die neue, "unglaublich mutige" Frau des Königs bemerkte die Tapferkeit der Heranwachsenden und konnte ihren Zauberspiegel nur neidvoll befragen: "Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Mutigste im ganzen Land?"
Eine Revolution war mit diesen Veränderungen gar nicht geplant, räumt Kalinski ein. Die Erzählung sollte so nah wie möglich am Original bleiben. Es geht um die Abkehr von altmodischen Geschlechterdarstellungen, betont Kalinski: "Ich will nicht, dass meine Kinder mit diesem Druck aufwachsen, einem bestimmten Ideal zu entsprechen". Und nicht jeder müsse ständig Menschen retten und tapfer sein, wie es männliche Figuren als Leitbilder in klassischen Märchen vermitteln. In Kalinskis "Schneewittchen" darf der junge, kühne Prinz weinen, wenn er traurig ist.
Diversität und Vielfalt
Die sieben Zwerge heißen Akashi, Shakti, Li, Leila, Egbo, Sabrina und Thiago. Entgegen Grimm’scher Zwergenmentalität sind sich die Vertreter der verschiedensten Kulturen so gar nicht ähnlich. Außerdem macht Kalinski Schluss mit nervigen Fragen wie "Wer hat von meinem Tellerchen gegessen, aus meinem Becherchen getrunken?". Die bunte Truppe interessiert sich eher dafür, ob das Mädchen schon lesen, schreiben und zeichnen kann, als dass es gut aussehe und den Haushalt ordentlich führe.
Nur der vergiftete Apfel wird in Schneewittchen "makellos und wunderschön" beschrieben. Nicht dass es darauf ankäme – Kalinski und Boterill verlagern nur den Blick auf eine aufgeklärte Gesellschaft, die damit aufhört, ihren Kindern Märchen über Schönheit und Tugend zu erzählen. "Aschenputtel" könnte als moderne Märchenerzählung folgen. Warum müssen die Frauen darin eigentlich ständig gegeneinander ankämpfen? Das hat sich Kalinski schon öfter gefragt.
Stephan Kalinski, Iain Botterill: "Schneewittchen und die sieben Zwerge – A Modern Telling", Fairy Tales Retold, 60 Seiten, 19,95 Euro; auch als Hörbuch auf www.fairytales-retold.com