Hätte Friedrich als Kronprinz nicht in Rheinsberg gesessen und über Macht und Herrschaft, Vernunft und Gerechtigkeit nachgedacht, dieser Abend wäre nicht entstanden. Den „Antimacchiavel“, ein Gegenentwurf zu Niccolo Macchiavellis Herrschaftskompendium „Der Fürst“, entwickelte der Kronprinz in einem Briefwechsel mit dem verehrten Philosophen Voltaire. Als er dann 1740 König von Preußen wurde, wollte er das Buch nicht mehr unter seinem Namen veröffentlicht wissen. Die von Voltaire überarbeitet herausgegebene Fassung war in Preußen nicht zu haben.
Doch das Thema hat Friedrich nicht losgelassen. Als der junge König in Berlin sein Spree-Athen samt königliche Oper Unter den Linden begründete, wurden dort auch Opern nach Textentwürfen Friedrichs gespielt. Carl Heinrich Graun, als Komponist schon in Rheinsberger Zeiten Begleiter des musikbegeisterten Friedrich, schrieb die Musik zu „Silla“, Hofdichter Giovanni Pietro Tagliazucchi fasste die französische Textvorlage des Königs in italienische Opernverse. Doch inhaltlich, so Georg Quander, Regisseur und Künstlerischer Direktor der Rheinsberger Kammeroper, ist der Stoff 100 Prozent Friedrich der Große.
Oper „Silla“: Ein römischer Diktator als Vorbild
Die Figur des Sulla hat Friedrich schon zu Zeiten seiner Beschäftigung mit dem „Antimacchiavel“ fasziniert. Der römische Feldherr, der den Bürgerkrieg blutig niederschlägt, zum Diktator gewählt wird und nach Konstituierung der Verfassung 79 v. Chr. sein Amt freiwillig niederlegt, ist für den Kronprinzen weniger ein Beispiel brutaler Gewaltherrschaft als ein Zeichen freiwilliger Selbstbeschränkung der Macht.
In der Oper „Silla“ nimmt er Jahre später das Thema noch einmal auf, garniert es mit den opernüblichen Zutaten von Liebesromanze und Intrige. 270 Jahre nach der Uraufführung an der Berliner Lindenoper und 240 Jahre nachdem das Werk zum letzten Mal erklungen war, kehrt die Osterproduktion der Kammeroper, 2022 bei den Innsbrucker Festwochen erstaufgeführt, nun an ihre Rheinsberger Ursprünge zurück.
Die lange Vergessenheit hat ihre Gründe - und die Wiederaufführung in Rheinsberg wird zum umjubelten Triumph. Denn Grauns Spätwerk ist nicht nur von der Besetzung her eine Herausforderung. Das „Dramma per musica in drei Akten“ stellt auch musikalisch höchste Ansprüche. So sind von den sieben Solistenpartien allein vier durch Counterstimmen – zu Friedrichs Zeiten Kastraten – besetzt. Und diese müssen sich in aberwitzigem Tempo durch komplexeste Koloraturen kämpfen – und bei aller Virtuosität dem aufklärerischen Opernstoff auch noch Emotion und Spannung entlocken.
Kurz gesagt: Das gelingt aufs Großartigste. Nicht nur hat Quander vier der besten Countertenöre am Start und mit dem Orchester der Innsbrucker Festwochen unter Leitung des dortigen Intendanten Alessandro de Marchi ein fulminantes Alte-Musik-Ensemble als Begleiter. Er hat mit einem Einheitsbühnenbild, das auf projizierten Entwürfen des königlichen Dekorationsmalers und Bühnenarchitekten Bartolomeo Verona basiert, auch den passenden Rahmen für das Operngeschehen im Rheinsberger Schlosstheater geschaffen. Für diese Rarität sind die mit 59 bis 75 Euro durchaus happigen Kartenpreise absolut gerechtfertigt. Etwas Vergleichbares wird man wahrscheinlich nicht mehr zu hören bekommen.
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In drei Akten entfaltet sich das Drama der Macht: Silla, als Diktator an der Spitze des Staats, bereitet sich auf seinen Triumph vor und wirbt um die Patriziertochter Ottavia, die indes längst dem jungen Postumio versprochen ist. Um dieses Trio herum jede Menge Berater, von Ottavias Mutter Fulvia und Postumios Freund Lentulo bis zu den Antagonisten Crisogono und Metello. Die üblichen Opernacts um Entführung und Befreiung, Festnahme und Begnadigung bilden indes nur die Folie, vor der sich ein einzigartiges musikalisches Drama entfaltet.
„Silla oder Die Kunst der Koloratur“ könnte dieser Abend überschrieben sein, das weiß man spätestens, wenn Bejun Mehta in der Titelrolle quasi als Strafe für seine Grausamkeiten mit der allerschwersten Koloraturpartie bedacht wird und seine Stime in einer Kadenz von den tiefsten Tiefen bis zur allerhöchsten Höhe schraubt. Oder wenn Samuel Marino, der nach einem Debüt vor vier Jahren nun nach Rheinsberg zurückkehrt, als jugendlicher Liebener seine geradezu irrwitzig hohe, klare Männerstimme erklingen lässt.
Ob Valer Sabadus als aufrechter Diktatorenfreund oder Hagen Matzeit (auch er in Rheinsberg schon bekannt) als beschwichtigender Lentulo – eine solche Vielfalt an charaktervollen, exzellenten Counterstimmen wird man wohl nie mehr versammelt hören. Mert Süngü macht den Außenseiter Crisogono zur wahrhaft tragischen Verlierergestalt, Roberta Invernizzi die Fulvia zur psychologisch komplexen Übermutter. Und Eleonora Bellocci als leidenschaftliche Liebende Ottavia bezaubert endgültig jeden im Saal, wenn sie zum Szenenwechsel vor dem Orchestergraben performt und hemmungslos mit dem Publikum flirtet. Wenn Silla schließlich der Welt, der Hoheit und der Liebe entsagt, um sich der Weisheit zu widmen, hört man den sehnsuchtsvollen Traum des Musikers Friedrich auf dem Preußen-Thron – und verfällt noch nach 240 Jahren dem Zauber dieser Fürstenphantasie.
Osterfestspiele Schloss Rheinsberg
Nach einem Auftakt mit Pergolesis „Stabat Mater“ am Gründonnerstag in der St. Laurentius-Kirche steht die Oper „Silla“ nach der Premiere am Karfreitag noch einmal am Ostersonntag um 16 Uhr auf dem Programm. Außerdem gibt es Jean Racines Tragödie „Britannicus“ in einer Inszenierung von Astrid Griesbach (8.4.) und eine Lesung des „Antimacchiavell“ von Friedrich II. durch Christian Berkel (10.4., 11 Uhr). Tickets und Informationen unter www.osterfestspiele-schloss-rheinsberg.de