Willi Sitte, Albert Ebert, Angela Hampel, Günther Uecker, Nuria Quevedo, Helge Leiberg, Reihard Stangl – das ist nur ein Bruchteil der Kunstschaffenden, die Gerhard und Christa Wolf zu ihrem Freundeskreis zählten. Von ihnen allen haben die Wolfs Werke geschenkt bekommen, Kunstwerke, die das Ehepaar sorgfältig aufbewahrt hat. Wie viele es sind? Das weiß niemand, keiner scheint mitgezählt zu haben. Dabei haben die Wolfs sonst alles dokumentiert und festgehalten, über ihre Malerfreundschaften sogar zwei Bücher geschrieben und eine Ausstellung im Schloss Rheinsberg veranstaltet. In dem Buch "Unsere Freunde, die Maler" (1995) sind viele der Kunstwerke dokumentiert, die das Paar gesammelt hat – aber eben nur eine Auswahl.
Ein Leben für die Kunst
In einem Zimmer der Berliner Wohnung steht ein riesiger Aktenschrank. "In dem ist alles voll", sagt Wolf und lacht. Er geht hinüber, beugt sich vor und zieht an einer der Schubladen, ruckelt ein wenig dran. Direkt über der Kommode hängt an der Wand ein riesiges "Sprachblatt" von Carlfriedrich Claus – darum geht’s aber gerade nicht. Die Schubladen der Schatztruhe sind randvoll gepackt mit Mappen, darin unzählige Grafiken, Zeichnungen, Radierungen. Gerhard Wolf holt zwei Blätter der katalanischen Künstlerin Nuria Quevedo hervor. Es sind Radierungen aus dem Jahre 2015, die von Rainer Maria Rilke inspiriert sind. Das Gedicht "Lösch mir die Augen aus: ich kann dich sehen" ist unter der Grafik mit einem handschriftlichen Zusatz versehen. "Das ist das beste Liebesgedicht, das es gibt", sagt Gerhard Wolf, der Rilke verehrt. Das Gedicht erinnert ihn an seine Frau, sagt er. Später holt er aus seiner Bibliothek das Gedicht hervor, macht eine Kopie: "Nehmen Sie es mit."
Zurück zum Aktenschrankzimmer: Hinter einer anderen Kommode, auf dem Boden stehend, befindet sich ein gerahmtes Gemälde. Wolf zieht es mühsam hervor. "Von Angela Hampel. Die hat gerade auch eine Ausstellung, in Rheinsberg." Das wird er noch öfter sagen, er weiß, wer von "seinen" Künstlern gerade wo ausstellt. Selbst geht der 91-Jährige aber nur noch selten hin. Auf dem Bild sind zwei Menschen, in Rot und Schwarz gemalt, darunter der Satz: Sei dennoch unverzagt. "Aus einem Gedicht von Paul Fleming", sagt Wolf.
Nebenan steht ein Schreibtisch mit Schreibmaschine, gegenüber ein Bücherregal, das bis an die Decke reicht, vollgestopft mit unzähligen Büchern – 330 laufende Meter, erklärt Wolf. Die Privatbibliothek von ihm und Christa Wolf soll an die Humboldt-Universität gehen, einiges davon ist schon für Forschungszwecke umgezogen.
Und die Kunstsammlung? Die soll nun an das Stadtmuseum Berlin gehen. Dort kommt sie als unselbstständige Stiftung unter der Trägerschaft des Museums unter. Die Beauftragte für kulturelles Erbe, Martina Weinland, ist nun mit der schwierigen Frage konfrontiert: Was soll mit den Werken passieren?
Zuerst muss sie sich ein Bild der Sammlung machen, erklärt sie am Telefon. Speziell interessiere sie sich für die Werke, die von den literarischen Arbeiten Christa Wolfs inspiriert wurden. "Ich würde sehr gerne eine Ausstellung zum zehnjährigen Todestag von Christa Wolf unterstützen." Das wäre im kommenden Jahr, im Dezember 2011 war sie gestorben. "Es ist aber gerade schwer umsetzbar", erzählt Weinland. Das Märkische Museum wird bald kernsaniert, davor muss es ausgeräumt werden. Das Ephraim-Palais ist gerade wegen Umbau geschlossen und wird nicht rechtzeitig fertig. Die anderen Museen des Stadtmuseums seien nicht geeignet, dort würde die Wolf-Sammlung nicht hinpassen, sagt Weinland. Aber sie lässt sich nicht unterkriegen: "Es wird auf jeden Fall etwas passieren." Eine Idee hat sie schon: Vielleicht würde die Akademie der Künste, die den literarischen Nachlass von Christa Wolf verwaltet, eine gemeinsame Ausstellung unterstützen. Im Gebäude am Hanseatenweg im Tiergarten, dort könne sich Martina Weinland die Ausstellung sehr gut vorstellen. "Erst einmal muss ich den Bestand sichten, um einen roten Faden für eine solche Ausstellung zu finden." Wer weiß, was sie noch für Schätze finden wird.
Persönliche Geburtstagsgrüße
Zurück in die Wohnung von Gerhard Wolf. An einem Fenster ist ein Transparent in hölzerner Umrahmung aufgebaut. "Das ist noch eins von Carlfriedrich Claus, da kann man von beiden Seiten durchgucken und lesen." Die Werke des Annaberger Wort-Künstlers sind auf den ersten Blick Zeichnungen, bei genauerem Hinsehen sind jedoch Sätze zu erkennen. Je länger man schaut, desto mehr kann gelesen werden.
Beim Rundgang durch seine Wohnung präsentiert Gerhard Wolf stolz und freudvoll, was seine Freunde alles geschaffen haben – vieles davon für die Wolfs persönlich. So hat das Paar jährlich von Gerda Lepke zu ihren Geburtstagen Bilder mit persönlichen Botschaften erhalten. Und Günther Uecker hat ihnen eine Radierung eines Tisches, der bei Gerhard Wolf im Wohnzimmer steht, zukommen lassen. "Das kann keiner nachmachen, denn ich habe den Tisch!", sagt Wolf dazu – und grinst. Hinzu kommen die vielen Arbeiten, die von Christa Wolfs Texten inspiriert sind. Besonders die Erzählung "Kassandra" (1983) kommt immer wieder malerisch vor, eine Interpretation der Königstochter hängt in fast jedem Zimmer der Wohnung.
Das Kunst-Wissen des 91-Jährigen scheint unendlich zu sein, die Liebe zur Kunst strömt aus ihm heraus. Er begeistert sich für jedes Gemälde: "Sie sind alle meine Lieblinge", antwortet er auf die Frage, ob ihm eines besonders gut gefalle. Das ist die Ernte seiner Lebensfreundschaften.
Auch wenn es wahr ist, dass Gerhard und Christa Wolf keine Kunstsammler im klassischen Sinne waren – ihre im Laufe der Jahre angewachsene Kunstsammlung ist beachtlich. Gerhard Wolf weiß nicht, wie viel Kunst er eigentlich besitzt: "Das meiste liegt im Keller", sagt er. Das Wichtige an den Werken sind für ihn die Menschen, die dahinter stecken. Gerhard und Christa Wolf haben Künstler gesammelt. Das Suchen und Finden der Talente, das Pflegen der Freundschaften, das große, ehrliche Interesse an ihren Gaben, das Zusammenbringen verschiedener Kunstformen – dafür lebt Gerhard Wolf noch heute. Dass dabei eine riesige Ansammlung an spannender Kunst bei ihnen gelandet ist, war eher eine Nebenwirkung.
Zur Person
Gerhard Wolf, geboren 1928 in Bad Frankenhausen in Thüringen, ist Schriftsteller und Verleger. Zu DDR-Zeiten arbeitete er als Lektor beim Mitteldeutschen Verlag in Halle, wo er zahlreiche Dichter, Lyriker und Künstler kennenlernte. In den 1980er-Jahren gab er gemeinsam mit Günter de Bruyn die Reihe "Märkischer Dichtergarten" heraus, die eine wichtige Rolle bei der Neurezeption der Romantik in der DDR spielte. Später brachte Wolf beim Aufbau-Verlag Lyriker, die unter der SED-Führung nicht publizieren durften, in der Reihe "Außer der Reihe" heraus.
Nach der Wende gründete er seinen eigenen Verlag, Janus Press. Er konzentrierte sich auf die Zusammenführung verschiedener Kunstformen, so wurde die Erzählung "Wüstenfahrt" von Christa Wolf mit Fotografien von Günther Uecker veröffentlicht. Im November wird sein Buch "Herzenssache: Memorial - unvergessliche Begegnungen" erscheinen.
Mit Christa Wolf war Gerhard Wolf 60 Jahre verheiratet: von 1951 bis zu ihrem Tod 2011. Ihre letzte Erzählung, "August", widmete sie ihrem Ehemann mit den Worten "Ich habe Glück gehabt." wal