Plötzlich ist alles dunkel. Der Zentralrechner zerstört, die Elektrizität weg. Bis knatternd das Notstromaggregat anspringt und sich ein paar Kinder in das flackernde Licht verirren und nach ihren Eltern suchen ... Was Blackout bedeuten kann, wird schlagartig spürbar, wenn die von der Roboterfrau angestachelten Arbeiter die Maschinen zerstört haben, im bis dahin so feenhaft angestrahlten Gutspark von Netzeband, wo am Freitag Abend „Metropolis“ nach Thea von Harbou und Fritz Lang gegeben wird. Ein starkes Bild in einem ohnehin sehr bildmächtigen Abend.
Dabei bietet der Stoff auf der inhaltlichen Ebene jede Menge schwere Symbolik: Die Rebellion der Arbeiter, das Aufbegehren gegen „die da oben“, angestachelt von einer populistischen Figur, in die Spur geschickt von Mächtigen, denen die Kontrolle längst aus den Fingern geglitten ist – man kann, wenn man mag, „Metropolis“ durchaus als Stück der Stunde lesen. Der Text ist durch behutsame Aktualisierungen wie „Avatare“ oder Regie-Einschübe wie „Wir sind das Volk“ eindeutig in der Jetztzeit verortet. Und Joh Fredersen, der im retrofuturistischen Sportwagen vorfährt, muss konstatieren, dass die Energiespeicher in seiner Stadt nur noch zu 83 Prozent gefüllt sind. Da sind wir dann doch sehr in der Gegenwart der Energiekrise angelangt.
In der Fassung von Regisseur Hans Machowiak und mit Bühne, Masken und Kostümen von Johanna Maria Burkhart ist „Metropolis“ gleichwohl ein idealer Stoff fürs Synchrontheater in Netzeband. Großstadtvisionen mit Hochhäusern, fliegenden Autos, Vergnügungsvierteln sind hier, im ländlichen Brandenburg, nicht zu haben, und als „großer Dom“ muss die Temnitzkirche herhalten. Aber es genügen ein paar über die Wiese verstreute Autoreifen, ausrangierte Kühlschränke, Sofas und anderer Sperrmüll, um die Aura einer im Schrott versinkenden Technikgesellschaft zu evozieren. Passenderweise dreht der Nachbar ausgerechnet an diesem Abend die Geburtstagsmusik laut.
Im Vergleich zum letztjährigen „Frühlings Erwachen“ sind es diesmal die Massenszenen, die besonders wirken. Die rotgewandeten Arbeiter, die zu Beginn schweigend zu stampfenden Beats einziehen und später an den Maschinen kämpfen: starke Bilder. Der Glamour der 1920er Jahre mit Strass, Federboas und Pailletten, den die reizenden Ladies im „Club der Söhne“ zur Verfühung einsetzen, könnte heute wieder auf jeder Party reüssieren. Die großäugigen Masken, die Johanna Maria Burkhart entworfen hat, übersetzen den Expressionismus der Filmvorlage perfekt ins Theater.
Wobei es in Netzeband seit jeher eine besondere Form von Theater ist. Synchrontheater heißt: der Text kommt von der Tonspur, eingelesen von bekannten Schauspielerinnen und Schauspielern, die Masken tragenden Mitwirkenden, viele von ihnen aus dem Dorf oder der Umgebung, agieren synchron dazu in der weiten Kulisse des historischen Gutsparks in Netzeband. Das hat den Vorteil der großen Textverständlichkeit und ermöglicht immer wieder große Szenen, gern auch in Parallelmontage. Spätestens wenn Carmen Maja Antoni als Ingenieurin auf der Tonspur eindringlich vor Zerstörung warnt, und Alexander Bandilla den Spion „der Schmale“ so gefährlich sanft wie schneidend spricht, finden Maske, Darsteller und Sprecher zu einem Charakter zusammen.
Ein Wagnis ist das Stück auch heute noch. Was schon zur Premiere des Films 1927 als zwar visuell visionär, inhaltlich aber abgeschmackt kritisiert wurde, erweist sich auch fast hundert Jahre später noch als ebenso wirkmächtiger wie irritierender Zwitter. Doch so kitschig die Idee vom Herz als Mittler zwischen Hirn und Händen erscheinen mag– die Bilder, die die fulminante Netzebander Theatertruppe für Thea von Harbous schlichte Weisheiten findet, sorgen für einen Abend, den man so bald nicht vergisst.
Weitere Aufführungen: 30.7., 5., 6., 12., 13., 19., 20. 26. und 27. 8., jeweils 20.30 Uhr. Infos und Karten unter www.netzeband-kultur.de