Mit "Trinkerpark" erzählt das Ensemble glanz&krawall ein (recht kompliziertes) Stück im Stück: Das freie Theater aus Berlin ist selbst on the road – in zwei Vans, die auch das Bühnenbild bilden. Und es tourt mit der Geschichte des verkrachten Rausch‘schen Wanderzirkus, die wiederum auf dem historischen Stoff der Medicine Shows basiert. Das waren Händler, die im 19. Jahrhundert per Kutsche durch Amerika zogen und – über Gratis-Shows mit Musik, Flohzirkus und Zauberei – Wundermittel (= billiger Alkohol) an den Mann und die Frau brachten.
Happening – mit Botschaft
Das Stück war bislang in Wien, Berlin und Leipzig zu sehen, am Wochenende gibt es drei Vorstellungen auf der Frankfurter Insel Ziegenwerder. Für Corona-Zeiten steht eine beeindruckende Truppe auf der Bühne (elf Mitwirkende), trotzdem ist die Inszenierung handlich und transportabel. Alles passt in zwei Kleinbusse, die Bühne wird von den Spielern selbst auf- und wieder abgebaut. Das wilde Stück lebt von Musik, von Indie über Pop bis Elektro; alle Songs sind selbst geschrieben und werden von der hauseigenen Band performt.
glanz&krawall – 2014 in Berlin als freies Musiktheater gegründet – steht für eigene Stückentwicklung wie für das Gegen-den-Strich-Bürsten klassischer Stoffe; zuletzt haben sie im Strandbad Plötzensee Wagner inszeniert. "Wir machen Volkstheater, wir gehen da hin, wo die Leute sind", erläutert Marielle Sterra. Ein möglichst heterogenes Publikum sei ihr Ziel: "Wir wollen auch Menschen erreichen, die sonst nicht ins Theater gehen."
Im Kern besteht das Ensemble aus Sterra (Regie) und Dennis Depta (Dramaturgie); sie haben aber einen langjährig gepflegten Pool an Mitarbeitern, mit denen sie intensiv zusammenarbeiten. Bei "Trinkerpark" steht das ganze Team auf der Bühne, auch die Theaterpädagogin und die Kollegen, die für Bühne oder Marketing verantwortlich sind. Drei Jugendliche aus Berlin sind auch dabei, die über theaterpädagogische Workshops an Bord kamen.
Für Dennis Depta sind gerade sie wichtige Experten zum Thema Alkohol; trotz des Happening-Charakters liegt dem Ensemble eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der flüssigen Droge am Herzen. Nicht dämonisierend, eher als ehrliches Ausloten, was Alkohol für unsere Gesellschaft bedeutet. Ihre Ausgangsfrage sei gewesen: Warum ist diese Droge das Normalste der Welt? Und: Wie trinkt eine Gesellschaft? "In Deutschland gilt Bier quasi als Nahrungsmittel", sagt Depta, "das ist schon bezeichnend." Man vertraue auf Alkohol, um eine Feier in Gang zu bringen oder nach der Arbeit runterzukommen; gemeinsam zu trinken, stifte Zusammenhalt in Familien und Vereinen. Wer komplett verzichte, werde sehr misstrauisch beäugt. Andererseits sei Alkoholsucht stigmatisiert – und koste die Gesellschaft Millionen.
"Abhängigkeit wird eigentlich nur als Problem wahrgenommen, wenn jemand nicht mehr arbeitsfähig ist – so lange man funktioniert, interessiert niemanden, wie viel man trinkt", sagt Marielle Sterra. Die Macher wünschen sich, dass ihr Stück auf lustvolle Art nachdenklich macht, wie es mit der eigenen Beziehung zu "König Alkohol" aussieht. Na dann: Prost!
"Trinkerpark", 4./5./6.9., je 19.30 Uhr, Insel Ziegenwerder, Zugang über die Brücke an der Mensa am Europaplatz, bei Regen vor dem Kleist Forum, Karten unter 0335 4010120