Telefonkonferenzen rund um den Globus, mal eben ein Ferngespräch nach Übersee oder Geburtstagsgrüße an Frau Mutter: Telefonieren eröffnete vor fast 160 Jahren das moderne Kommunikationszeitalter. Doch nur wenige wissen, wem wir die Jahrtausenderfindung verdanken: Philipp Reis, ein Lehrer aus Hessen, kam die geniale Idee im Unterricht: Der Nachbau einer Ohrmuschel für seine Schüler brachte den Geistesblitz. Ursprünglich wollte Reis nur erklären, wie unser Gehör funktioniert. "Aus einer Geige, einer Stricknadel und der Blase eines Hasen bastelte der Tüftler das erste Fernsprechgerät der Welt. 1861 führte er es vor", erklärt Autor Wolfram Weimer.
Der promovierte Historiker kennt sich aus. Seit Jahren stöbert er in Archiven nach Philipp Reis, führte Interviews und recherchierte Fakten rund um die Erfindung des Telefons. Das Ergebnis gibt sein kürzlich erschienenes Buch "Der vergessene Erfinder – wie Philipp Reis das Telefon erfand" (CH. Goetz Verlag) wieder. Die spannende und reich bebilderte Lektüre beantwortet, warum nach Reis‘ frühem Tod (1834 - 1874) der schottische US-Immigrant Alexander Graham Bell das Telefon für sich patentieren lassen konnte.
"Philipp Reis Geschichte ist nicht nur außergewöhnlich, sondern auch tragisch. Denn seine Erfindung wurde ihm nie zugestanden. Die Öffentlichkeit staunte zwar, doch Wissenschaft und Regenten belächelten den genialen Amateur. Der hinterließ seine Familie in Armut, Bell kam dagegen als großer Held heraus", resümiert Wolfram Weimer. Der stammt, wie Reis, aus dem hessischen Gelnhausen. Dort weiß jedes Kind, dass Philipp Reis das Telefon erfand und der erste jemals gesprochene Satz "Das Pferd frisst keinen Gurkensalat" lautete. Allerdings übertrugen die ersten Geräte viel besser Musik als gesprochene Worte, was Graham Bell später in die Karten spielte.
Der 1834 geborene Hesse Philipp Reis hat nie studiert, dafür enorme Wissbegier und Kreativität. Obere Kreise und Schulräte rümpfen die Nase, staunen aber gleichzeitig über den Lehrkörper. Denn ganz nebenbei erfindet der auch noch Wecker, Rollschuhe, Kurbelfahrrad und Türöffner. Mit einer mechanischen Apparatur macht er dem Buch zufolge auch das erste Selfie der deutschen Geschichte.
Doch vor allem wegen der Erfindung des Telefons ist es Wolfram Weimer eine Herzenssache, Reis‘ Erfinderehre zu retten. "Als Waisenkind hatte es der Gelnhäuser schwer. Er sah weder Ruhm noch Geld, weshalb es an der Zeit ist, ihm Ehre zu erweisen", so Weimer, Ex-Chefredakteur von "Die Welt" und "Focus".
Was ihn am Thema besonders reizt? "Der Mensch Philipp Reis. Er wurde oft verlacht und verachtet, blieb aber heiter und geduldig, schuf letztlich Großartiges. Er war – und das ist eine Eigenschaft vieler deutscher Tüftler und Ingenieure – verliebt ins Gelingen." Zeitzeugen beschrieben den Mann übereinstimmend als bescheiden, höflich und sehr kinderlieb. Er bastelte seinen beiden Kindern u.a. eigenes Spielzeug.
Dem Buch des Heimatkundlers zufolge waren letztlich Patentrechtsfragen ausschlaggebend, dass Reis in Vergessenheit geriet. Zu seinen Lebzeiten konnte man in Deutschland keine Patente anmelden. Dies sei erst drei Jahre nach Philipp Reis Tod möglich gewesen, ist im Gespräch zu erfahren. "Bell hat das Telefon exakt zwei Jahre nach dem Tod von Reis in Amerika (wo bereits ein Patentrecht galt – d. Red.) patentieren lassen. Trotzdem war Reis der Erfinder, so wie alle vorherigen Erfindungen nicht wirklich patentiert waren, die Erfindung aber doch dem Ersten zugeschrieben wurde", sagt Wolfram Weimer. So erfand Gutenberg den Buchdruck - ohne Patentanmeldung. Bell habe laut Weimer jedoch anerkannt, dass er nur auf dem Reis-Telefon aufbaue. In seinem Patentantrag stehe, es handele sich um eine Weiterentwicklung, nicht um eine Erfindung. Bell sei durchaus als der geniale Weiterentwickler und Vermarkter einzustufen, so Weimer.
Obwohl der 55-Jährige heute am Tegernsee lebt, schwärmt er noch immer von seiner alten Heimat. Gelnhausen sei das perfekte Fotomotiv, ein romantisches Fachwerkhausidyll mit mittelalterlicher Aura. Barbarossa habe Gelnhausen geliebt. Barockdichter Grimmelshausen komme aus der Stadt. Dessen Lebensart sei bis heute typisch für Gelnhausen. "Die Menschen dort sind zur Selbstironie fähige, lebensfrohe Naturen. Das war Philipp Reis auch."
Die brandenburgische Landeshauptstadt kennt der Buchautor, der 2012 die Weimer Media Group gründete, aber auch: "Ich habe zehn Jahre in Potsdam gelebt, die wilden Jahre des Aufbruchs nach der Wende. Potsdam ist ein genialer Ort, wo sich Herkunft und Zukunft spannend paaren. Mein Motto war immer: Wenn schon Berlin, dann Potsdam!" Sein Sonntagsfrühstück sei heute ein Familienfrühstück, berichtet der Gründer des Magazins "Cicero". "Häufig findet unser Wochenendfrühstück draußen auf der Terrasse mit Blick auf den Tegernsee statt. Am schönsten ist es, wenn alle Kinder vorbeikommen und wir gemeinsam erzählen, was das Leben uns so bringt. Mittlerweile sogar Weißwürste", lacht der Publizist. Ob er noch über Festnetz telefoniert? "Gar nicht mehr. Eigentlich könnte ich meinen Festnetzanschluss abschalten."