Die Münchner Sicherheitskonferenz ist gewöhnlich ein Ort der Verständigung.  Doch in diesem Jahr ist die Welt im Aufruhr. Ausgerechnet die rhetorisch wenig begabte Angela Merkel sorgt für Begeisterung.
Am Ende kommt es so, wie Wolfgang Ischinger befürchtet hatte. Zu Beginn der Münchner Sicherheitskonferenz hatte er gewarnt, man solle doch bitte miteinander statt übereinander sprechen. Nur das schaffe Vertrauen. „Und Vertrauen ist die Währung der Diplomatie.“ Geht man danach, hat diese Währung dieses Jahr an Wert verloren.
Die drei Gründe dafür stehen am Wochenende nacheinander auf der Bühne vor den rund 600 Gästen und deklinieren ihre Sicht der Welt durch. Eigentlich ist es das übergeordnete Ziel der Konferenz in diesem Jahr, die gemeinsame Lösung von Konflikten und die Einhaltung von Verträgen zu retten – den Multilateralismus. Doch die USA, China und Russland zeigen, dass sie dieses Ziel ganz unterschiedlich interpretieren. US-Vizepräsident Mike Pence  macht mit unbewegter Miene klar, was für seine Regierung dieses Wort bedeutet: Sie gibt die Spielregeln vor, und die anderen dürfen mitziehen. „Amerika zuerst bedeutet nicht: Amerika allein“, zitiert er seinen Präsidenten. „Unter Präsident Trump führen die USA erneut die freie Welt an“, ruft er. Und „Wir werden die Welt so führen, wie sie ist, und nicht, wie wir sie gern hätten.“
Die nächste Definition folgt auf dem Fuß. Sie kommt von Sergej Lawrow, dem Außenminister Russlands, der dagegen wettert, dass zunehmend „Klubs von Auserwählten“ versuchten, die Vereinten Nationen zu ersetzen. „Das wird nichts Gutes bringen“, erklärt er. Und überhaupt gewönnen die Nato-Staaten nichts, wenn sie sich einfach hinter den USA einreihten. „Europa hat sich in eine sinnlose Rivalität zu Russland drängen lassen“, polemisiert er.
Und auch China sieht sich in einer sehr exklusiven Rolle. Dutzende Male wiederholt der Chef-Außenpolitiker Yang Jiechi das Wort „Multilateralismus“. Die Seidenstraßen-Initiative mit ihren Milliardeninvestitionen in einer Reihe von Ländern sei doch ein Musterbeispiel dafür. Als er gefragt wird, ob er sich vorstellen könne, dass China sich dem von den USA und Russland gekündigten INF-Vertrag zum Verbot von landgestützten Mittelstreckenraketen anschließen will, zuckt er nur die Schultern und sagt: „Wir sind gegen eine Multilateralisierung des INF-Vertrags.“
Die Äußerungen der drei hat man in den vergangenen Jahren so ähnlich schon gehört. Was aber diesmal anders ist: Europa lässt sich das nicht mehr gefallen. Als Vorreiterin dieses neuen Selbstbewusstseins steht eine Frau auf der Bühne, von der nicht klar ist, ob dies ihre letzte Sicherheitskonferenz ist: Angela Merkel. So gelöst, wie sie auftritt, könnte es tatsächlich sein.
Sie beginnt ziemlich freundlich, mit einem Bekenntnis zum Militärbündnis des Westens. „Wir brauchen die Nato nicht nur als Stabilitätsanker in stürmischen Zeiten, sondern auch als Wertegemeinschaft.“ Um später eine Breitseite in Richtung Washington abzufeuern. Mit Blick auf Russland sagt sie: „Wir haben nichts davon, wenn jeder seine eigenen Sanktionen entwickelt.“ Dann nimmt sie sich den amerikanischen Widerstand gegen die Erdgaspipeline Nord Stream 2 vor, weil sich Europa damit in die Abhängigkeit Russlands begebe. Die Kanzlerin analysiert kühl: „Ein russisches Gasmolekül bleibt ein russisches Gasmolekül, egal, ob es über die Ukraine kommt oder ob es über die Ostsee kommt.“ Ob man also mehr Gas über die ukrainischen Pipelines leite oder die neue Trasse durch die Ostsee, bleibe im Endeffekt gleich. Nehme man das Gas aber nicht mehr ab, treibe man Moskau in die Hände Chinas.
Und dem US-Vizepräsidenten, der vor einem „neuen Holocaust“ des Iran gegen Israel warnt und die Europäer unter Druck setzt, sich den US-Sanktionen gegen das Land anzuschließen, zeigt Merkel die kalte Schulter. Die Frage sei, ob man die schädliche Wirkung des Irans eindämme, „indem wir das einzige noch bestehende Abkommen kündigen“, fragt sie. Europa kritisiere ebenfalls das Raketenprogramm des Landes und seine Einmischung in die Angelegenheiten anderer Staaten. Aber die Taktik zur Lösung sei eine andere. Im Übrigen passe die Entscheidung der USA, Truppen aus Syrien abzuziehen, kaum dazu. Im Gegenteil stärke man damit das Ziel des Irans, mehr Einfluss zu nehmen.
Bei der iranischen Regierung kommt das nicht gut an. Irans Außenminster Javad Sarif verkündet später: „Europa ist nicht in der Position, sich auf den Inquisitionsstuhl zu setzen.“ Es habe in den 1980er-Jahren am Krieg gegen den Iran mit Panzern, Bomben und Chemiewaffen mitgewirkt.
Immerhin, auch wenn die großen Probleme der Welt auf dieser Konferenz nicht gelöst werden – für Europa selbst gibt es zwei Hoffnungsschimmer: einen Preis für die Ministerpräsidenten von Griechenland und Nord-Mazedonien, Alexis Tsipras und Zoran Zaev, für die Lösung des Namensstreits zwischen beiden Ländern. Und ein Gespräch: Aleksandar Vucic und Hashim Thaci sitzen gemeinsam auf dem Podium. Die Präsidenten von Serbien und dem Kosovo  gehören verfeindeten Staaten an. Sie kommen sich in München auch nicht näher. Aber wenigstens reden sie miteinander.