Von Polens Botschafter Andrzej Przyłebski Kritik an der PiS-Regierung zu erwarten, wäre zu viel verlangt, denn er ist nicht nur Diplomat, sondern auch ein Vertrauter des Staatspräsidenten Andrzej Duda. Das Interview mit unserer Zeitung war aus Anlass der Wiedereröffnung der Grenze vor drei Wochen vereinbart, kam aber erst jetzt zustande.
Herr Botschafter, Europa schaut mit Spannung auf die Wahl des Staatspräsidenten in Ihrem Land am 12. Juli. Würden Sie einen Tipp wagen, wer gewinnt?
Das ist schwer, denn die beiden Kandidaten liegen in den Umfragen Kopf an Kopf, mit einem leichten Vorsprung von Andrzej Duda. Aus meiner Perspektive als Pole und Warschauer sehe ich zwei Aspekte: Präsident Duda übt sein Amt seit fünf Jahren vorbildlich aus. Er hat seine Sorge um die ganze Bevölkerung als Staatsoberhaupt ausgewiesen.
Der Oberbürgermeister von Warschau, Rafał Trzaskowski, hat solche Erfolge auf seinem Konto bisher leider nicht: in Polens Hauptstadt gibt es viele Probleme, die er nicht löst, obwohl er es versprochen hat.
Ein anderer Aspekt ist: Die Fortsetzung der nötigen Staatsreformen ist nur unter der Bedingung einer guten Zusammenarbeit zwischen dem Parlament und dem Präsidenten möglich. Der Präsident Polens hat mehr Macht als der deutsche Bundespräsident, er kann Reformen beschleunigen oder verlangsamen.
Der Besuch, den Herr Duda kürzlich bei US-Präsident Donald Trump machte, hat aber gerade in Deutschland Irritationen ausgelöst, weil Trump bei dieser Gelegenheit Deutschland kritisierte und erklärte, dass ein Teil der hier stationierten US-Soldaten nach Polen verlegt werden soll. Können Sie diese Irritationen nachvollziehen?
Donald Trump hat Deutschland schon mehrfach wegen seiner Ausgaben für die Nato kritisiert. Aber es ist nicht meine Sache, dies zu bewerten. Darin bestand auch nicht der Zweck des Besuchs unseres Präsidenten. Im Gegenteil: Herr Duda hat sich klar dafür ausgesprochen, dass alle US-Soldaten in Europa verbleiben. Unser Land ist bereit, einen Teil davon in Polen willkommen zu heißen. Aber von uns wird keinerlei Druck ausgeübt, dass US-Soldaten Deutschland verlassen.
Wechseln wir das Thema: Die Corona-Krise hat die Beziehungen unserer Länder auf eine harte Probe gestellt. Aus Sicht insbesondere der deutschen Grenzregion gab es Mängel in der Kommunikation: Die überraschende Schließung der Grenze durch Polen, die dadurch verursachten riesigen Lkw-Staus und schließlich die Quarantäne-Regelung für die Berufspendler. Wie sehen Sie das im Rückblick?
Die Handlungen der polnischen Regierung waren berechtigt. In so einer Pandemie-Situation müssen zuerst die nationalen Regierungen agieren. Eigentlich haben ja alle EU-Länder zunächst so reagiert. Deutschland ist auch stolz darauf, dass es nicht so viele Tote gab wie in anderen Ländern. Polen hat etwa die Hälfte der Einwohner wie Deutschland, aber lange Zeit im Vergleich zu Deutschland nur ein Zehntel an Corona-Erkrankungen oder Toten.
Sie müssen auch bedenken, dass das Gesundheitssystem in Deutschland besser ausgestattet ist als in Polen und wir deshalb mit der Grenzschließung schnell handeln mussten. Ich weiß natürlich, zu welchen Problemen es dadurch gekommen ist. Ich habe in diesen drei Monaten häufig meine Regierung über diese Probleme informiert und fast täglich mit den Ministerpräsidenten von Sachsen, Brandenburg sowie Vertretern Mecklenburg-Vorpommerns telefoniert. Die Sicherheit unseres eigenen Landes hatte aber den Vorrang.
Die Bewältigung der schwierigen Situation an den Grenzübergängen haben wir jedoch hauptsächlich der außerordentlichen Hilfe der Behörden in den Bundesländern entlang unserer Grenze, speziell des Deutschen Roten Kreuzes und des Technischen Hilfswerks sowie der Polizei und der Bundespolizei zu verdanken. Diese Hilfe war von unschätzbarem Wert und ein wahrhaftig großer Akt der nachbarschaftlichen Solidarität. Dafür sind wir sehr dankbar.
Wenn man so will, hatte die Krise auch einen positiven Effekt: Den Deutschen ist noch deutlicher geworden, wie wichtig die vielen polnischen Arbeitskräfte bei uns sind. Was halten Sie davon, dass den Pendlern Unterstützung gezahlt wurde, damit sie in Deutschland übernachten konnten?
Diese Unterstützung fanden wir korrekt. Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg haben uns ja auch darauf angesprochen, was man für die Kliniken in Schwedt und Pasewalk tun kann, wo jeweils an die 30 Ärzte Polen sind. Eine Sonder-Pendelregelung für diese Mediziner war aber nicht möglich, da sie aus Sicht unserer Regierung ein Gesundheitsrisiko darstellten, da sie ja eventuell mit Corona-Kranken zu tun haben konnten.
Gerade in der Grenzregion hatte man den Eindruck, dass sich die Regierung in Warschau nicht darüber bewusst ist, wie eng das Zusammenleben unserer beiden Länder ist.
Bewusst war das der Regierung in Warschau schon, schließlich wird sie über die Situation in der Grenzregion nicht nur von uns, sondern auch von den Wojewoden (Vertreter der Regierung in den Regionen) informiert. Aber die Demonstrationen an der Grenze haben sicherlich dazu beigetragen, dass dies noch bewusster geworden ist. Wahrscheinlich haben sie auch die Entscheidung beschleunigt, dass die Pendler als erste von der Quarantäne-Regelung befreit wurden.
Ich möchte zu dieser Frage aber auch bemerken, dass diese Verflechtung ja noch ziemlich einseitig ist. Es arbeiten wenige Deutsche in Polen, aber es kommen viele Polen als Pfleger und Ärzte nach Deutschland. Die Ausbildung dieses medizinischen Personals in Polen hat eine Menge Geld gekostet. Jetzt tragen sie zum Wohlstand in Deutschland bei, obwohl ich natürlich verstehen kann, dass diese Leute gut verdienen und sich beruflich weiterentwickeln möchten.
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke, der ja auch Polen-Beauftragter der Bundesregierung ist, hat besonders bedauert, dass es zu Beginn von Corona keinen Ansprechpartner für ihn bei der polnischen Regierung gab.
Das stimmt, aber kurze Zeit später wurde der Staatssekretär im Innenministerium Bartosz Grodecki auf diese Position berufen. Wie ich weiß, hat Herr Woidke mehrfach mit ihm gesprochen und die Eindrücke sind beiderseits gut. Ich setze mich auch dafür ein, dass unsere Kommunikation nach dem Muster der Kommunikation zwischen Deutschland und Frankreich erfolgen sollte.
Dort gibt es zwischen deutschen Bundesländern und den benachbarten französischen Departements offenbar mehr Kanäle als an Oder und Neiße?
Ich habe Ähnliches gehört und werde mich persönlich in Warschau dafür einsetzen, dass wir so etwas auch im deutsch-polnischen Grenzgebiet schaffen. Denn ich finde, dass das Weimarer Dreieck mit ähnlichen Regeln funktionieren sollte.
Noch ein Themenwechsel: Gerade hat die deutsche Ratspräsidentschaft in der EU begonnen. Was erwartet Polen davon?
Der deutsche Außenminister Heiko Maas hat uns in Warschau die Prioritäten aus deutscher Sicht dargestellt und dabei neben dem Wiederaufbauplan für die Wirtschaft auch den Green Deal, eine neue Migrationspolitik und die Bewertung der Rechtsstaatlichkeit genannt. In all diesen Punkten wollen wir mitwirken, aber wir erwarten auch, dass unsere Interessen und unsere Perspektive berücksichtigt werden.
So haben wir auf die Bedeutung der Kohle für die Energiegewinnung in unserem Land hingewiesen, aber auch unsere Bereitschaft für den Bau von Offshore-Windkraftanlagen in der Ostsee zugesagt. Eine neue Migrationspolitik der EU muss man mit großer Vorsicht betrachten. Und bei der Rechtsstaatlichkeit haben wir vorgeschlagen, erst einmal eine Übersicht über die Rechtssysteme in allen EU-Staaten zu schaffen, damit man gemeinsame Standards findet und nicht nur Polen und Ungarn durch ideologisch gesteuerte Einwände an den Pranger stellt.
Es geht uns nämlich nicht darum – wie es manchmal in deutschen Medien zu lesen ist – dass eine Partei die Justiz kontrolliert. Sondern es geht um die Gerechtigkeit für einzelne Menschen, sowie auch für Firmen, deren juristische Probleme etwa bei Investitionen von den Gerichten schneller entschieden werden sollten.
Wäre es nicht besser, wenn es nicht nur den Merkel-Macron-Plan für die EU nach Corona gegeben hätte, sondern einen Merkel-Macron-Duda-Plan?
Oder einen Plan mit dem Namen unseres Regierungschefs Morawiecki! Aber in diesem Plan von Merkel und Macron steht ja auch, dass Polen ein großes Stück dieser Hilfen erhalten soll. Insgesamt sind wir Polen aber dafür, dass es mehr Kredite für die Wirtschaft als geschenkte Zuschüsse für die EU-Staaten im Süden geben sollte.
Zur Person
Der 62-jährige Andrzej Przyłebski hat die meiste Zeit seines Berufslebens als Philosoph und Sozialwissenschaftler an verschiedenen polnischen und deutschen Universitäten verbracht. Unter anderem arbeitete er 1994 an der Berliner Humboldt-Universität. In den Jahren 1996-2001 war er erstmals als Botschaftsrat in der zunächst noch in Köln und später in Berlin befindlichen Botschaft für Kultur und Wissenschaft zuständig. Im November 2015 wurde er vom damals neu gewählten Staatspräsidenten Polens Andrzej Duda zum Mitglied des Nationalen Entwicklungsrates ernannt. Seit Sommer 2016 ist er Botschafter der Republik Polen in der Bundesrepublik Deutschland. Seine Ehefrau Julia Przyłebska, die Juristin ist, wurde im Dezember 2016 von Staatspräsident Duda zur Vorsitzenden des polnischen Verfassungsgerichtshofes berufen. ds