Wer darauf eine Antwort sucht, wird sie finden – allerdings in 29 verschiedenen Ausprägungen. Denn die Nato ist längst in einem Richtungsstreit angekommen.
Die Türkei zum Beispiel ist gerade dabei, ihr Geld ausgerechnet in ein russisches Raketenabwehrsystem zu stecken. Das ist nicht nur inkompatibel mit den Gerätschaften anderer Nato-Staaten. Schlimmer noch: Es wird regelmäßig von Russland gewartet werden müssen, mit allen Einfallstoren für Spionage oder Sabotage. Ankara schert das nicht. Es macht Geschäfte mit einem Staat, dessen Streben es ist, die Nato zu entzweien.
Ganz andere Emotionen ruft Russland bei den Staaten Osteuropas und im Baltikum hervor. Sie sehen sich nach der Annexion der Krim und den Entwicklungen in der Ostukraine durch Russland bedroht. Diese Länder wollen Sicherheitsgarantien, die ihnen die Nato auch gewährt hat. Die Militärkontingente in Polen und im Baltikum sind genauso darauf ausgerichtet, Russland die Muskeln zu zeigen wie das kürzliche Nato-Großmanöver Trident Juncture in Norwegen.
Am anderen Ende des Kontinents, in Staaten wie Portugal oder Spanien hingegen ist die Angst vor einer russischen Invasion deutlich geringer ausgeprägt. Hier zählt eher das Ideal einer gesamteuropäischen Sicherheitsordnung, zu der man dazugehören will.
Die USA in Gestalt ihres Präsidenten wiederum bauen Druck auf. Wenn sie schon nicht aus der Nato austreten, dann wollen sie sie wenigstens nach ihrem Gusto umschmieden – von einem Bündnis, das Europa sichern soll, zu einer willfährigen Hilfsarmee für sämtliche Abenteuer, die Donald Trump bereit ist einzugehen. Sei es gegen den Iran, gegen China oder gegen Russland. Alle drei nannte Außenminister Mike Pompeo bei der Nato-Tagung in Washington als Herausforderungen der Zukunft.
All diese verschiedenen Ziele kollidieren, wenn es darum geht, eine Vision für die Nato zu entwickeln. Dabei stehen den Mitgliedstaaten in den kommenden Jahren tatsächlich wichtige Weichenstellungen bevor. Zum Beispiel die, wie das Bündnis auf das neu erwachende Großmacht-Schach und auf Bedrohungen aus dem Cyber-Raum reagiert. Und nicht zuletzt steht die Nato als Wertebündnis auf dem Spiel. Was verteidigt man da eigentlich mit dem vielen Geld, wenn einige Staaten des Bündnisses wie die Türkei, Ungarn oder Polen dessen Grundwerte von Freiheit und Rechtsstaatlichkeit als Verfügungsmasse betrachten? Geld ist immer nur ein Aspekt einer Beziehung. Den Rest muss man gemeinsam schaffen. Die Nato hat es selbst in der Hand.