Die Aufrüstung Russlands und die Kündigung des Vertrags durch die USA zeigen: Es gibt keine ewige Sicherheit. Darauf muss sich der Kontinent einstellen.
Es scheint wenig wahrscheinlich, dass das Abkommen zwischen den USA und Russland, das vor 32 Jahren vereinbart wurde, noch zu retten ist. Keine der beiden Seiten hat ein Interesse daran, künftig auf bodengestützte atomare Mittelstreckenraketen zu verzichten. Und diejenigen Staaten, die der Vertrag am meisten betrifft – die Europäer –, sind zu schwach, um dem etwas entgegenzusetzen. Der hilflose Appell der Nato-Außenminister an Russland, seine SSC-8-Raketen abzurüsten oder das Flehen einiger Europäer gegenüber Washington, den Vertrag nicht zu kündigen, zeigen die ganze Machtlosigkeit des Kontinents, der sich im Kriegsfall als Schlachtfeld wähnt.
Bei allem Lamento geraten drei Dinge allerdings aus dem Blickfeld.
Zum ersten: Die Abschreckung funktioniert. Die Wahrscheinlichkeit, dass Russland es mit 29 Nato-Armeen aufnehmen will, ist äußerst gering. Unter ihnen befinden sich drei Atommächte. Im Übrigen gibt es längst atomare Mittelstreckenraketen in Europa – nur, dass sie eben im Kriegsfall nicht vom Boden abgefeuert werden, sondern von Flugzeugen und U-Booten. Die Nato will jedenfalls keine neuen Atomraketen stationieren.
Zum zweiten: Die Zeiten ändern sich. Die Ära, in denen sich zwei politische Blöcke gegenüber standen und ihre Hauptmächte stellvertretend Abkommen aushandelten, sind vorbei. In Ermangelung mächtiger Bündnispartner sucht Russland in seiner eigenen militärischen Absicherung sein Heil, gegenüber den USA genauso wie gegenüber der aufstrebenden, aufrüstenden Weltmacht China. Nichts anderes plant US-Präsident Donald Trump, der die meisten europäischen Nato-Staaten schon lange eher als Witz denn als machtvolle Mitstreiter betrachtet.
Zum dritten: Die Bedrohungen der Zukunft sind andere als jene der Vergangenheit. Zwar erscheinen nukleare Mittelstreckenraketen für deren Besitzer als Abschreckung nützlich, weil sie die Möglichkeit eines begrenzten Atomangriffs vorgaukeln. Aber die Kriegsführung per Cyberwaffen und künstlicher Intelligenz ist für die Auseinandersetzungen der Zukunft um vieles effizienter. Das Nato-Bündnis nimmt zudem nun auch den Weltraum ins Visier – zunächst vor allem, um Satelliten vor Hacking und Störungen zu schützen.
Unter diesen Vorzeichen sind Rufe für Abrüstung zwar gut gemeint und sollten auch nicht verstummen. Aber da das Vertrauen zwischen Washington, Brüssel und Moskau momentan auf einem Tiefpunkt ist, dürfte es kaum Spielraum für Verhandlungen geben. So schwer es dem friedlichen Kontinent fällt – Europa ist gezwungen, der Spielball der großen Weltmächte zu sein. Bis es eines Tages militärisch auf eigenen Füßen steht.