Die ersten beiden Male war das noch vergleichsweise leicht. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Teilung der Welt in Ost und West gab das gemeinsame Feindbild Struktur, nach dem Ende des Kalten Krieges entkam man der Nutzlosigkeit durch einen neuen Feind: den Terrorismus.
Nun sieht sie sich ganz neuen Herausforderungen gegenüber: Cyberangriffen, Desinformationskampagnen – und China, das seinen strategischen Einfluss auf andere Staaten durch seine Seidenstraßen-Initiative auf subtile Art und Weise ausbaut. Wie geht man als Verteidigungsbündnis mit einem Systemkonkurrenten um, der im atlantischen Raum zwar keine militärische Bedrohung darstellt, aber gleichwohl sein weltweites Netz spinnt? Und wie reagiert man auf Russlands Bau von  Überschallraketen, die Europas Hauptstädte in Minutenschnelle erreichen können?
Fragen wie diese liegen auf dem Tisch einer Gruppe von 29 Nationen, deren innere Risse nach sieben Jahrzehnten deutlich zutage treten. Da sind die militärischen Alleingänge des Nato-Partners Türkei, die Angriffe des französischen Präsidenten auf die innere Verfassung des Bündnisses und der kaum verhohlene Anspruch der Führungsnation USA, dass sie bestimmt, wo es mit dem Bündnis lang geht. Letzterer ist nicht ganz unbegründet, macht doch allein Washingtons Militärbudget drei Viertel der Verteidigungsausgaben aller Nato-Mitglieder aus. Auf absehbare Zeit wird Europa nicht in der Lage sein, sich ohne die Amerikaner zu verteidigen, so sehr Emmanuel Macron sich das auch wünscht.
Die inneren Streitigkeiten und die Unklarheit über die neuen Bedrohungen sind Symptome einer gemeinsamen Ursache: Während die Nato militärisch durchaus kraftvoll dasteht, fehlt ihr eine politische Strategie, die ihre Daseinsberechtigung neu definiert. Ihre Mitglieder sind zerrissen zwischen den wirtschaftlichen Hoffnungen, die sich zum Beispiel mit dem Aufstieg Chinas verbinden, und der Sorge, dass das chinesische Modell das westliche verdrängen könnte. Oder zwischen der Notwendigkeit, mit dem Nachbarn Russland friedlich auszukommen und gleichzeitig seine Waffen auf sich gerichtet zu sehen.
Die Bundesregierung hat erkannt, dass sie an dieser politischen Front gestalten muss. Daher die Vorschläge, altgediente Staatsmänner über die Zukunft des Bündnisses nachdenken zu lassen oder mehr Bundeswehr-Engagement in Afrika und bei der Freihaltung der Handelswege an den Tag zu legen. Und daher auch die Steigerung der deutschen Verteidigungsausgaben – immerhin seit 2014 um ein Viertel.
Ob sich die Nato als politisches Bündnis neu erfinden kann, wird von ihren Mitgliedern abhängen, auch von den kleineren, und vor allem von den Europäern. Ihnen muss bewusst sein, dass die Nato zwar ohne die USA nicht dieselbe wäre. Aber genauso wenig ohne die Europäer.