Doch nicht nur die Aktiven selbsthaben große Probleme. Auch jene, die den Sport begleiten, transportieren und ihn in die Wohnzimmer bringen, sind von der Corona-Krise betroffen. Zum Beispiel die Fotografen, die sonst in den Stadien, in Hallen, an Rennstrecken arbeiten, mit ihren Kameras und großen Objektiven die Medien beliefern und die Fans mit ihren Bildern begeistern. Dazu gehört auch Arne Mill aus Neuenhagen (Märkisch-Oderland), der sich einer der intensivsten Sportarten überhaupt widmet. Der 51-jährige Sportfotograf hat sich nahezu ausschließlich dem Radsport verschrieben. Ein Luxus für Berufsfotografen, der in der heutigen Medienlandschaft selten geworden ist. Aber Mill gehört zu den Anerkannten und Gefragten der Branche. Als Freiberufler arbeitet für die großen Agenturen in Europa.
Derzeit allerdings fällt dem Randberliner die Decke auf den Kopf: "Keine Aufträge, keine Termine, stattdessen Archivarbeit und ziemlich erfolglose Aquise", berichtet er von seinem Alltag. Selbst seine Stammkunden halten sich zurück. "Keiner braucht etwas. Ich kann das natürlich verstehen, denn niemand weiß, wie es weitergeht." Aber auch für ihn gilt, er muss sein Geschäft am Leben halten.
"Und dabei sind wir erst am Beginn der Saison. Normal wäre, dass ich von Termin zu Termin hetze. In dieser Zeit werden sonst die Teamfotos für die späteren Präsentationen gemacht, was immer sehr schöne und vor allem lukrative Aufträge sind." Und natürlich hätten jetzt die sogenannten Frühjahrsklassiker auf den Plam gestanden. "Eigentlich wäre ich längst in Richtung Belgien unterwegs", berichtet Mill. Aber so namhafte Veranstaltungen wie Paris-Roubaix und Lüttich-Bastogne-Lüttich sowie der Halbklassiker Flèche Wallonne finden nicht statt. "Auch die Flandern-Rundfahrt ist gestrichen. Und gerade diese Rennen haben immer einen ganz besonderen Reiz. Vor allem die Belgier lieben den Radsport und zelebrieren die Veranstaltungen. Ich habe mich jedes Jahr auf diese Rennen gefreut." Und ein Termin, den er sich ebenso keinesfalls entgehen lassen wollte – auch die Tour de Yorkshire im Vereinigten Königreich ist abgesagt.
Arne Mill kennt sie alle, die ganzGroßen des Radsports, und er leidet mit ihnen. "Die komplette Wintervorbereitung, die vielen einsamen Trainingskilometer und die aufwendigen Vorbereitungen im Hintergrund scheinen nun umsonst zu sein." Er sagt das, weil er Kontakt zu den bekanntesten Rennställen hat, aber eben auch die zahlreichen kleinen Rennsportteams kennt, die jetzt ebenfalls in ihrer Existenz bedroht sind.
Kürzlich noch in Italien
Seine vorerst letzte Reise führte denNeuenhagener ausgerechnet nach Italien, zu einem Fotoshooting mit dem WNT Rotor Pro Cycling Frauenteam um Franziska Brauße. "Das Trainingslager war abgeschirmt und somit kaum ein gesundheitliches Risiko zu befürchten. Ich hatte Glück, denn die Rückfahrt mit dem Auto war einfach. Es gab wenige Kontrollen und keine Probleme an den Grenzen."
Mill ist freiberuflich tätig, und hält dieser Zustand weiter an, wird es eng, denn auch sein zweites Standbein ist von der Krise betroffen: Er unterhält in seinem Heimatort eine Pension, in der die Gäste ebenso ausbleiben.
Lebenstraum ist geplatzt
Seit Anfang der Woche weiß er, dass nun auch sein ganz großer Lebenstraum geplatzt ist: Die Olympischen Sommerspiele wurden verschoben. Mill hatte eine Akkreditierung für Tokio. "Alles war vorbereitet. Ich hatte alles gebucht. Dazu gehören zum Beispiel drei Wochen Hotel und ein Mietwagen. Was daraus wird, weiß ich nicht. Meine finanziellen Vorleistungen sind enorm. Ich war noch nie in Japan und wäre so gern hingeflogen. Das Hotel, das ich gefunden hatte, liegt am Fuße des berühmten Fujiyama. Die Vorfreude war riesengroß."
Auch die Pläne, vor Olympia in neue Technik zu investieren, muss er jetzt begraben. "Die Fototechnik entwickelt sich rasant. Geschwindigkeit ist heute oberstes Gebot." Und wie das so ist, hatten Marktführer wie Canon und Nikon vor den Spielen in Japan neue Kamera-Modelle angekündigt, die gerade für Sportfotografen zum "unbedingt notwendigen Werkzeug" gehören. "Ich müsste eigentlich auch aufrüsten, um bei der großen Konkurrenz in meiner Branche weiter mithalten zu können. Heute reicht Qualität allein längst nicht mehr. Die neuen Kameras können Bilder sofort zu den Agenturen schicken. Fast wie im Sport gilt nämlich heute auch bei den Fotografen: Der Schnellste gewinnt." Ob das aber tatsächlich geklappt hätte ist fraglich, zumal die Hersteller selbst aufgrund von Zulieferschwierigkeiten große Probleme haben, ihre Produkte in die Geschäfte zu bringen.
Arne Mill hofft, dass der "ganze Spuk" bald vorbei ist. "Ich denke und hoffe, dass im Spätsommer sich alles wieder ein wenig normalisiert." Und: "Will man der Situation wenigstens etwas Gutes abringen – jetzt ist Zeit, wieder ein wenig für sich selbst zu tun. Das heißt konkret, mich auf mein Rad schwingen und eine Tour zu machen."
Arne Mill war selbst im Sport erfolgreich. "Meine Leidenschaften sind die Leichtathletik und der Triathlon". Und so hätte es durchaus sein können, dass er auf der 800-Meter-Strecke oder im Zehnkampf hätte Karriere machen können. Zweimal war er Fünfter bei DDR-Meisterschaften im 20-km-Crosslauf, gewann zahlreiche Medaillen und Urkunden, entschied sich aber irgendwann, Sport nicht als Aktiver zu betreiben, sondern mit seinen Bildern darüber zu berichten.
Zur Person
Der eigentliche Berufswunsch vonArne Mill war Orgelbauer. Er absolvierteaber eine Ausbildung zum Bootsbauer. Sein Gesellenstück, ein Ruder-Doppelvierer, verhalf der DDR-Frauen-Mannschaft zur Goldmedaille bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul.Der Neuenhagener studierte an der Fach-hochschule in Wildau und wurde schließlich Diplom-Ingenieur für Maschinenbau,arbeitete später am Fraunhofer-Institut.Seit 2009 ist er als Fotograf selbstständig. en