Die Rentnerin hat als Kranfahrerin gearbeitet, eine Tankstelle in Britz betrieben und in den letzten Jahren ihres Erwerbslebens sogar in Österreich gearbeitet, um im Ruhestand über die Runden zu kommen. "Immer mehr Rentner müssen im Alter etwas dazu verdienen", hat sie mit schwarzem Filzstift auf die andere Plakatseite geschrieben. "Das größte Unrecht ist doch, dass unsere Renten besteuert werden", sagt Erika Honeck. Diese Einschätzung teilen wohl alle, die sich auf dem Eberswalder Marktplatz versammelt haben, wo die Markthändler gerade ihre Stände abbauen.
Die Sonne scheint, aber die Kälte kriecht den Protestierenden in die Knochen. "Meine Hände sind Eiszapfen, doch der rege Zuspruch wärmt mein Herz", sagt Gerda Curella (71), die im vorigen August aus Hessen nach Eberswalde gezogen ist und für die nicht unumstrittene Bewegung "Fridays gegen Altersarmut" die erste Mahnwache in der Barnimer Kreisstadt organisiert hat, der weitere folgen sollen.
Unmotivierte Zaungäste
Von der rechten Unterwanderung, die Kritiker den Initiatoren der bundesweiten Aktion vorwerfen, ist auf dem Marktplatz nicht wirklich etwas zu merken. Zwei, drei junge Männer mit Stiernacken und Tattoos in Buchstaben, die Runen gleichen, stehen nur unmotiviert herum und gehen in der Menge förmlich unter.
"Der Kampf gegen die um sich greifende Altersarmut ist zu wichtig, als dass wir das Thema den geistigen Brandstiftern überlassen sollten", erklärt Sebastian Walter (29) aus Eberswalde, warum er trotz seiner Skepsis, die einladende Bewegung betreffend, zur Mahnwache gekommen ist. Der Co-Vorsitzende der Linksfraktion im Brandenburger Landtag und Eberswalder Stadtverordnete hatte die Renten-Ungerechtigkeit in Deutschland bereits im Wahlkampf angeprangert. Bevor er in die Politik gewechselt war, hatte er als Gewerkschaftsfunktionär eindringlich davor gewarnt, dass Arm und Reich immer weiter auseinanderdriften.
Die sich mehr und mehr öffnende Schere zwischen Vermögenden und Bedürftigen ist auch für Frank Banaskiewicz (67) aus Eberswalde "einfach unerträglich". Der Rentner, der für FDP/Bürgerfraktion Barnim im Stadtparlament sitzt, sagt von sich, selbst ein Betroffener zu sein. Er komme mit seiner Rente nur aus, weil er auf 450-Euro-Basis dazuverdiene. "Mir fehlten nach der Wende, als ich mich selbständig gemacht habe, die richtigen Berater. Deswegen habe ich zu lange nichts in die Rentenkasse eingezahlt", gibt Frank Banaskiewicz zu – im Wissen darum, dass er mit den Brüchen in seiner Erwerbsbiografie vor allem im Osten Deutschlands nicht allein dasteht. In der Bundesrepublik gebe es genug Geld, jedoch sei es unfair verteilt, urteilt er. Zum Einen gönne sich der Staat Luxus-Pleiten wie den Flughafen BER, zum Anderen lasse er zu, dass Rentner, die ihr Leben lang schwer gearbeitet hätten, zur Tafel gehen müssten. "Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich komme über die Runden, auch wenn ich mir keine großen Sprünge leisten kann. Mir geht es ums Prinzip", betont der Klempnermeister im Ruhestand.
Am 15. Februar geht es weiter
"Endlich Rente – und dann reicht’s nur für die Tafel", hat Petra Dietz (63) aus Eberswalde eigenhändig auf ihr Plakat geschrieben. Um ihre eigene Rente macht sich die kaufmännische Angestellte keine Sorgen. Doch dass auch in Eberswalde die Zahl der Rentner steige, die es sich kaum noch leisten könnten, regulär im Supermarkt einzukaufen, sei bedrohlich. "Dass Renten überhaupt besteuert werden, ist unglaublich ungerecht", findet sie.
Die erste "Fridays gegen Altersarmut"-Mahnwache geht friedlich zu Ende – zur Freude von Gerda Curella. Für den 15. Februar, 14 Uhr, lädt sie erneut zum stillen Protest auf dem Markt ein.
Ein kurzer Blick in die Statistik
In Januar 2020 haben im Kreis Barnim von 461 Personen, die leistungsberechtigte Altersrentner sind, 402 Einzelleistungen aus der Grundsicherung erhalten, teilt Oliver Köhler, Pressesprecher der Kreisverwaltung, auf Anfrage der Märkischen Oderzeitung mit. Dabei handele es sich um Beträge ab 20 Euro. Die Zahl der Rentner mit Grundsicherungsanspruch steige langfristig und linear. Das habe einerseits mit der älter werdenden Gesellschaft und andererseits mit den seit der Wende aufgetretenen "gebrochenen Erwerbsbiografien" zu tun. Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass in den vergangenen Jahren grundsätzlich ein kontinuierlicher Rentenanstieg zu verzeichnen sei, der teilweise prozentual höher ausfalle als die Lohnsteigerungen. Für die Stadt Eberswalde teilt die Pressestelle mit, dass von den über 40 000 Einwohnern etwa ein Viertel im Rentenalter seien. red