„Deprimierend“ – so fasst Tomasz Aniśko seinen Eindruck in der Flüchtlingsunterkunft auf dem Truppenübungsplatz in Wędrzyn (Wojewodschaft Lubuskie) zusammen. Die Menschen zerrten regelrecht an ihm, zeigten ihm ihre unbehandelten Wunden. Sechs Stunden verbrachte er bei einem Besuch am Montag in der Einrichtung, gut 50 Kilometer von Frankfurt (Oder) entfernt.
Dem polnischen Grünen-Abgeordneten aus dem Landkreis Słubice, der 2019 über die Liste eines breiten oppositionellen Bündnisses ins polnische Parlament einzog, war es gelungen, einen Termin in der seit drei Monaten eröffneten provisorischen Unterkunft zu bekommen. Eingerichtet wurde sie vom polnischen Grenzschutz, um die wachsende Zahl von Migranten und Geflüchteten unterzubringen, die es trotz aller Abschottungsversuche an der Ostgrenze geschafft haben, nach Polen zu kommen.
Dass die Baracken auf dem großen Militärgelände der Polnischen Armee liegen, das in der Regel nur mit Genehmigung vom Ministerium in Warschau zugänglich ist, macht es dem Grenzschutz leicht, Journalisten, insbesondere von ausländischen Medien, den Zutritt zu verwehren. MOZ-Anfragen, die bewachte Unterkunft, zu besuchen, wurden bisher abgelehnt. Es gelang nur, von außen einen flüchtigen Blick auf die tief im Wald bei Sulęcin gelegenen Unterkunft zu werfen, die mit Stacheldraht eingezäunt ist, wie ein Gefängnis wirkt und auch nicht verlassen werden darf.
Auch Delegation des Bürgerrechtsbeauftragten kritisierte Zustände
Er sei die erste Person von außen gewesen, die in die Unterkunft kam und auch mit den dort internierten Männern – aktuell sind es 600, fast doppelt so viele vor einem Monat – ins Gespräch kam. Aniśko sprach auch mit den Grenzschutzbeamten. „Ich erhielt zwei völlig voneinander abweichende Sichtweisen auf die Zustände“, resümiert er. Während die Grenzschützer behaupten: Unterstützung von außen und Rechtsbeistand seien gewährleistet, hört er von den Insassen lauter ungeklärte Fragen zu ihrem Status. Während die Wachen sagen, der Arzt – ein älterer Herr in Rente – tue zwölf Stunden vor Ort Dienst, sagen die Bewohner, es seien zwei und kaum möglich, einen Termin zu bekommen.
Im Oktober war bereits eine Delegation des polnischen Beauftragten für Bürgerrechte vor Ort und beurteilte die Zustände als „sehr schlecht“. Neben unzureichender Hygiene, wurde vor allem kritisiert, dass Menschen, die vor bewaffneten Konflikten geflüchtet seien, nun auf einem Militärgelände leben, wo sie durch Manöver alltäglichen Schüssen und Explosionen ausgesetzt sind, die Traumata verstärken können. Allerdings kam es bei dem Besuch kaum zu Gesprächen mit den Insassen.
Diese, untergebracht überwiegend in Acht-Bett-Zimmern, sind aus Afghanistan, Syrien und dem Irak, also Krisengebieten, hat Aniśko erfahren. In geringerer Zahl auch Tadschiken, Tschetschenen, Georgier, Männer aus afrikanischen Ländern. „Die Leute wissen nicht, warum sie dort sind“, hat Aniśko festgestellt. Nicht ausnahmslos kommen sie über die Belarus-Route, manche befinden sich seit längerem in Polen, aber ihnen fehlen Dokumente, ihr Aufenthalt ist nicht geklärt oder es steht ihnen eine Abschiebung bevor. Auch einen palästinensischen Menschenrechtler traf Aniśko in Wędrzyn an. Nicht wenige suchen Angehörige, die in Polen oder auch anderswo in Europa leben, doch Kontaktaufnahme sei kaum möglich. „Die Menschen werden wie Kriminelle behandelt“, kritisiert Aniśko. Er weiß auch, dass viele nach Deutschland weiterziehen würden, könnten sie das Gelände verlassen.
Smartphones und Geld werden abgenommen
Eigene Smartphones würden den Leuten abgenommen, damit sie keine Fotos machen könnten, erzählt er. „Aus Sicherheitsgründen“ – wie es so oft heißt. Stattdessen könnten sie Diensttelefone nutzen, mit denen man nur anrufen kann. Computer gibt es drei an der Zahl, für 600 Menschen. Die Internetverbindung funktioniere kaum, genauso wenig wie der Fernseher. Auch das Geld wird den Bewohnern in Wędrzyn abgenommen – als Pfand für die Kosten einer Rückführung. Wer Kaffee oder Tee oder Zigaretten haben will, dem kauften die Grenzschützer von ihrem Geld etwas – als Freundschaftsdienst.
Asylbewerber werden eigentlich in offenen Einrichtungen der polnischen Ausländerbehörde untergebracht, innerhalb von drei Monaten muss über ihren Antrag entschieden sein. Haben die Menschen jedoch illegal die Grenze übertreten, kommen sie in der Regel in eine geschlossene Einrichtung des Grenzschutzes – auch wenn sie dann einen Asylantrag stellten. Geschlossene Einrichtungen sind in Polen nichts Neues. Illegale Einreise ist allerdings auf der aktuellen Route über Belarus der Regelfall. Denn Asylgesuche von Menschen, die ordentlich am Grenzübergang vorsprechen, nimmt Polens Grenzschutz seit längerem nicht mehr zur Kenntnis. So müssen nun vergleichsweise viele Menschen untergebracht werden, die ursprünglich von der Armee genutzten Baracken in Wędrzyn fassen bis zu 800 Menschen. Könnten sie sich frei bewegen, würden viele Richtung Deutschland weiterziehen, sagt Aniśko.
Die Dreimonatsfrists ist bei vielen Insassen gerade abgelaufen, die Ausländerbehörde habe sie um weitere drei Monate verlängert, was ebenfalls rechtens ist. „Unsere Behörden sind nicht darauf vorbereitet, so viele Asylanträge zu bearbeiten“, sagt Tomasz Aniśko. Länger als ein halbes Jahr können die Menschen nicht festgehalten werden. Der Grünen-Politiker will nun Ärzte und Anwälte von Menschenrechtsorganisationen finden, die im Lager helfen. Sein Ziel: „Soviele Menschen von außen wie möglich, müssen nach Wędrzyn kommen.“