Als der Krieg vor bald 14 Tagen ausbrach, hörten sie am Morgen die Bomben in ihrer Heimatstadt Kiew detonieren: Ljudmilla und Vita verschanzten sich mit den Kindern im Keller ihres Wohnhauses, übernachteten auch dort. Cousinen sind die Frauen, deren Männer den Gestellungsbefehl bekamen und zum Dienst für das Vaterland verpflichtet wurden.
Nach einigen Nächten im Keller gelang den Frauen die Flucht, „als es möglich wurde, Menschen zu evakuieren“, berichten beide. Deutsch können sie noch nicht, Mira Lazarenko bot sich freundlicherweise an, zu übersetzen, Fürstenbergern noch in guter Erinnerung als Betreiberin des Cafés gegenüber der Burg. Im Haus von Familie Domscheit-Berg kann das Gespräch mit den ukrainischen Frauen stattfinden. Dort haben sie eine Bleibe finden können. Sonnendurchflutet ist das Zimmer, Frühlingszwitschern dringt durch die geöffnete Balkontür. Völlig absurd, denkt man, dass in der Ukraine ein furchtbarer Krieg tobt.
Ljudmilla ist 35 Jahre alt, Vita 36. Sie wirken deutlich gezeichnet – von den schrecklichen Ereignissen in der Heimat, von den Zumutungen einer dreitägigen Flucht durch Osteuropa bis Deutschland und von der Ungewissheit, wie es den Ehemännern ergeht, der Familie, den Verwandten, Freunden. Nachvollziehbar wird das, wenn sie vom Krieg und der Flucht berichten. In den Kellern seien sogar Kinder zur Welt gekommen. Unterwegs begegneten ihnen junge Mütter mit Säuglingen. Das Elend und die Panik seien kaum in Worte zu fassen. Und dennoch haben sie nur einen sehnlichen Wunsch: Die Frauen wollen wieder zurück.
Nur wenig Gepäck konnten sie mitnehmen
Der Stress fing schon unmittelbar vor der Abfahrt am Bahnhof in Kiew an. Ein Zug sollte in Richtung Westen losfahren. Dichtes Gedränge vor dem Bahnhofsgebäude, eine riesige Menschenmenge begehrte Ein- und Durchlass zum Bahnsteig. Die Türen seien aber von Polizisten mit Gewehren besetzt gewesen. Sie ließen wie durch eine Schleuse nur einzelne Personen durch. Ljudmilla und Vita gelang es, den Zug mit ihren Kindern Iwanka (10) und Margarita (14) sowie ihrem dreijährigen Sohn zu erreichen. Als Gepäck hatten sie nur das Nötigste mitgenommen, wichtige Papiere, Proviant, Wäsche und dergleichen. Das passte in anderthalb Koffer, alles andere befindet sich noch bei ihnen zu Hause in Kiew. „Wir haben Leute gesehen,, die haben nur einen Rucksack bei sich“, wohl in der Hoffnung, die die Flüchtlinge alle eint, das Gemetzel werde bald zu Ende sein. „Es gibt Menschen, die inzwischen zum zweiten Male in der Ukraine die Flucht angetreten haben, Menschen aus der Ostukraine“, wo ja bekanntlich schon seit 2014 kriegerische Auseinandersetzungen den Alltag bestimmen.
Ihre Kinder besuchen jetzt das Carolinum-Gymnasium in Neustrelitz
Die Fahrt mit dem Zug endete in Prag, dann ging es weiter nach Plzen, dann Deutschland, Berlin, der Hauptbahnhof. Anke Domscheit-Berg berichtet, „als wir die Frauen mit ihren Kindern vom Bahnhof abholten, haben sie gefroren, waren übernächtigt, erschöpft, sie froren und waren total abgespannt“. Die Linke-Bundestagsabgeordnete und ihr Mann sind bekannt für ihre Aktivitäten, die weniger der Selbstdarstellung, vielmehr dem Credo dienen: Stets propagierten Werte wie Solidarität, Empathie und tätige Hilfe selbst zu leben. Sie gaben den ukrainischen Frauen eine Bleibe und sorgten sogar dafür, dass die Kinder die Schule besuchen können, das Carolinum in Neustrelitz. „Dort gibt es bereits eine Klasse mit ausnahmslos ukrainischen Schülern.“ So etwas schwebt den Fürstenbergern auch für die Heimatstadt vor.
Eine der Schwestern trifft am 10. März ein
Das Gefühl, die Geschehnisse sind an Absurdität nicht mehr zu überbieten, manifestierte sich bei Ljudmilla und Vita so richtig in Fürstenberg. Sie kamen aus einer Situation des absoluten Stresses, von Ängsten und Sorgen gepeinigt. Und sie sind in eine geradezu idyllische Ruhe gelangt, spüren paradiesischen Frieden, haben ein Dach überm Kopf, Wärme und können sich in einem „normalen Leben“ zurückziehen und einrichten. Wie in einer Schneekugel könnte sich das aufgewühlt sein allmählich legen. Tut es aber nicht. Mehrmals bricht Vita in Tränen aus. So hätten sich beide Frauen immerzu gefragt, warum haben wir es geschafft, rauszukommen, andere aber nicht. Wie ergeht es einer der Schwestern, die in Krakow gestrandet ist. Für 10. März sei ihre Ankunft in Berlin geplant. Zwei kleine Kinder an der Hand, eins drei das andere vier Jahre alt.
Am Dienstagabend jedenfalls sind die nächsten drei ukrainischen Familien in Fürstenberg eingetroffen. Anke und Daniel Domscheit-Berg bemühen sich auch um diese Menschen. Wohl zu Recht sei eine gigantische Bürokratie in Deutschland zu beklagen, merkt Daniel an. So seien keinerlei Lehren aus der Flüchtlingskrise 2015 gezogen worden, etwa indem eine dauerhafte Infrastruktur geschaffen wird für Flüchtlings-Notsituationen. „Denn im Zuge der weltweiten Migrationsströme auch wegen der vielen Kriege werden sich diese Tendenzen noch verstärken“, meint er.
Umsonst-Laden ist in Planung
Und er verweist auf seinen Verstehbahnhof, der soziale Teilhabe fördert, jedermann eine Perspektive eröffnen könnte. Anke merkt an: „Gesellschaftliche Resilienz, also Widerstandskraft in solchen zugespitzten Situationen, ist in Deutschland sträflich vernachlässigt worden“, sei es auf dem Sektor der Migration, in der Bildung und bei allen Themen, die keinen Profit abwerfen.
Die Beiden halten dagegen. Im Verstehbahnhof soll ein Deutschunterricht für die ukrainischen Flüchtlinge etabliert werden. „Es geht darum,. dass sie die Sprache rasch erlernen, zumindest das, was man benötigt beim Bewältigen des Alltags“, erklärt Daniel. Und in Verhandlungen sei man mit einem Vermieter, der ein Ladenlokal in der Altstadt zur Verfügung stellen könnte. Die Stadtverwaltung unterstützt diese Idee. „Ein Umsonst-Laden für Ukraine-Flüchtlinge soll dort eingerichtet werden, also Sachspenden können abgegeben werden, die Flüchtlinge erhalten können.
Für 19. März um 11 Uhr ist auf dem Marktplatz in Fürstenberg ein Soli-Tag geplant. Mit geselligem Charakter, so dass die Menschen ins Gespräch kommen.
Neue Initiative für Flüchtlinge gegründet
Daniel Domscheit-Berg hat derweil mit bundesweit vernetzten Experten-Kollegen eine eigene Website ins Netz gestellt. unterkunft-ukraine.de. 260.000 Betten sind bereits zusammengetragen worden, die den in Deutschland eintreffenden Flüchtlingen angeboten werden. „Allein für Oberhavel haben wir 550 Betten in petto“, sagt er. Gerne würde man in dieser Sache mit dem Landkreis zusammenarbeiten, fügt er hinzu. Zum Beispiel indem Domscheit-Berg die für Oberhavel relevanten Daten dem Landratsamt übermittelt. „Wobei wir dafür eintreten“, merkt Anke an, „dass zwar die Angebote zentral gesammelt werden, aber die Vermittlung dezentral erfolgt und vor allem unter behördlicher Aufsicht. „Damit Kriminelle keine Chance haben, ihr Süppchen zu kochen.“
Was die beiden froh stimmt und wovon Ljudmilla und Vita profitieren werden: Am vergangenen Wochenende hat sich in der Wasserstadt eine neue Willkommensinitiative gegründet. 20 Personen engagieren sich. Erst einmal wolle man Strukturen schaffen, dass Leute, die plötzlich etwa nachts eintreffen, eine kurzfristige Bleibe bekommen.