„Und gegenüber spielt die Blaskappelle“, lautet der Titel des Audiowalks von Frederike Moormann und Paulina Rübenstahl. Die beiden Medienkünstlerinnen und Absolventinnen der Bauhaus-Universität Weimar haben in gleichsam einfühlsamer wie erschreckender Weise erzählt, wie mitten in der Stadt Oranienburg am 21. März 1933, also nur wenige Wochen nach der Machtergreifung der Nazis, in der ehemaligen Kindl-Brauerei in der Berliner Straße ein Konzentrationslager der SA eingerichtet wurde. Politische Gegner, darunter Mitglieder von SPD und KPD, Intellektuelle, Künstler und Juden wurden ohne Verurteilung in Schutzhaft genommen. Unter den ersten Häftlingen befanden sich auch 40 Oranienburger. Sogar Kinder und Jugendliche waren inhaftiert.
Das KZ war das erste Lager in Preußen, galt als besonders berüchtigt und war länger als alle anderen der insgesamt 900 ersten Lager auf deutschem Boden in Betrieb. Die teilweise nur für wenige Wochen eingerichteten KZs dienten der Einschüchterung der politischen Gegner und der Bevölkerung.

Die Stadt Oranienburg unterstützte das KZ

Das alles geschah nicht nur unter den Augen der Oranienburger, sondern auch mit deren Unterstützung. Die NSDAP-Ortsgruppe, die Stadt Oranienburg sowie große Teile der Wirtschaft stimmten sich mit der SA ab, sagte die Historikerin Agnes Ohm von der Gedenkstätte Sachsenhausen am Freitag nach der Vorstellung des Audiowalks. „Das KZ wurde als gemeinsames Projekt verstanden.“ Gewalt habe zum Alltag des Lagers gehört. Mindestens 16 Gefangene überlebten die Haft nicht. Der Schriftsteller Erich Mühsam wurde im KZ Oranienburg ermordet. „Die Lager hatten ihr Ziel, die Opposition zu schwächen und zu brechen, erreicht“, erklärt Agnes Ohm.
Beim Hören des Audiowalks in der Berliner Straße: An das KZ Oranienburg erinnern nur noch eine Stele, Tafeln und eine Klinkerwand der früheren Brauerei, in der das Lager 1933 eingerichtet wurde.
Beim Hören des Audiowalks in der Berliner Straße: An das KZ Oranienburg erinnern nur noch eine Stele, Tafeln und eine Klinkerwand der früheren Brauerei, in der das Lager 1933 eingerichtet wurde.
© Foto: Klaus D. Grote
Knapp eine Stunde dauert der Audiowalk, der über die Homepage der Gedenkstätte Sachsenhausen und über einen QR-Code, der vor Ort bisher nur an der Tourist-Info am Schlossplatz angebracht ist, abgerufen werden kann. Dann kommt die Führung mit Geschichte und Geschichten über Smartphone und Kopfhörer in die Ohren. Eine Stimme leitetet die Zuhörenden durch die Straßen, berichtet von früher, lädt zum Nachdenken ein. Sehr eindringlich werden Details erzählt, zum Beispiel von der Kommunistenkneipe in der Breiten Straße oder von den ausländischen Journalisten, denen das KZ vorgeführt wird, bevor sie zum Bier eingeladen werden, während gegenüber die Blaskapelle spielt.

Geschichte rollt durch den Kopf

„Das lässt einen nicht kalt, das greift an“, sagt Henning Schluß, der den Audiwalk mitinitiiert und unterstützt hat. Die Erzählungen seien authentisch, gleichsam künstlerisch erzählt. „Es ist, als würde einem die Zeit durch den Kopf rollen“, sagt Schluß. Er geht auch auf die immer wieder aufgeworfene Frage ein, ob es nicht gut sei, dass solche Orte des Schreckens getilgt seien. Vom KZ in der alten Brauerei blieb ja nur eine Außenwand. Das Einebnen des Terrors und das Vergessen seien keine Lösung. „Es ist gut, wenn dieser Nicht-Ort in den Erzählungen lebendig bleibt“, so Schluß.
Zahlreiche Gäste kamen zur Vorstellung des Audiowalks auf den Schlossplatz und starteten von dort die über kleine Umwege geführte Tour in die Berliner Straße.
Zahlreiche Gäste kamen zur Vorstellung des Audiowalks auf den Schlossplatz und starteten von dort die über kleine Umwege geführte Tour in die Berliner Straße.
© Foto: Klaus D. Grote
Kulturministerin Manja Schüle (SPD), deren Haus den Audiowalk gefördert hat, sagt nach dem Hören und dem Gang durch Oranienburg, dass sie tief berührt sei. „Ihnen ist etwas Großes gelungen.“ Die Texte hätten Empathie ausgelöst und Wahrhaftigkeit bewiesen. „Es wird klar, wie brüchig Demokratie sein kann, dass sie nicht in den Schoß gelegt ist und dass wir darum kämpfen müssen“, sagt Manja Schüle. Es gehe nicht nur um die Frage, wie hätte ich mich damals verhalten, sondern auch darum, „wie werde ich mich in Zukunft verhalten?“.

Rattenfänger von rechts

Der SPD-Abgeordnete Björn Lüttmann sieht die Gefahr in der Gegenwart schon kommen, weil „Rattenfänger von rechts versuchen, die Stimmung zu schüren“. Dabei sei das Ziel, den Wunsch nach einem „starken Führer“ zu etablieren.
Der Audiowalk, so die wiederholt geäußerte Hoffnung, solle deshalb von vielen Menschen gehört werden - Oranienburgerinnen und Oranienburgern und Gästen.

Neugestaltung des Erinnerungsortes

Seit Jahren soll der frühere Ort des KZ Oranienburg neu gestaltet und damit sichtbarer gemacht werden. Viele Jahre lang galt dieser Teil der Geschichte zudem als vergessen. In der Gedenkstätte Sachsenhausen erinnert seit 2002 eine Dauerausstellung an das erste KZ in Preußen.
Eigentümer der Fläche ist der Brandenburgische Landesbetrieb für Liegenschaften und Bauen (BLB). Die Fläche des Erinnerungsortes solle an die Stadt übertragen werden, darüber herrsche Einigkeit, sagte Bürgermeister Alexander Laesicke (parteilos).
Die Neugestaltung sollte mit dem Bau des Wohnheims für Polizeischüler auf dem Gelände der früheren Polizeiinspektion erfolgen. Doch der Neubau liegt wegen einer nicht geklärten Finanzierung vorerst auf Eis.