Am 17. Mai 1990 strich die WHO Homosexualität von der Liste der psychischen Erkrankungen. Mit dem Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie wird an diesen Meilenstein erinnert – überall wehen seit 2005 Regenbogenfahnen. Immer mehr Kommunen in Oberhavel schließen sich an. In Oranienburg fand zudem ein „Rainbow Day“ statt.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) stellte vor wenigen Tagen die bundesweiten Fallzahlen zu Straftaten gegen queere Menschen vor. Im vierten Jahr in Folge ist die Zahl 2022 gestiegen. Im Unterthemenfeld „sexuelle Orientierung“ wurden 1005 Straftaten (davon 227 Gewaltdelikte) und im Feld „geschlechtliche Diversität“ 417 Straftaten (davon 82 Gewaltdelikte) erfasst.

Vereine und Schulen mit Fahnen

Der Lesben- und Schwulenverband geht von einer hohen Dunkelziffer – bis zu 90 Prozent – aus. „Mangelnde Sensibilität bei der Polizei und die Angst, dort nicht ernst genommen zu werden, sorgen dafür, dass Straftaten von Betroffenen oft nicht angezeigt werden“, teilte der Verband am Mittwoch (17. Mai) mit. Sichtbarkeit führe zu Sicherheit, heißt es. In Oberhavel wurden am Mittwoch an zahlreichen Standorten Regenbogenflaggen gehisst.
Hennigsdorf, Kremmen, Oberkrämer und Zehdenick beteiligten sich erstmals. Oberkrämers Politik lehnte das in den Vorjahren immer ab. Jetzt brauchte es durch die Kreis-Aktion keinen Beschluss – und Bürgermeister Wolfgang Geppert (Freie Wähler) nutzte, anders als sein Vorgänger, sein Hausrecht. Der Landkreis hatte nach einem Aufruf mit dem Kreisjugendring mehr als 40 Fahnen – auch an acht teilnehmende Vereine und elf Schulen – verschickt. Landrat Alexander Tönnies (SPD) sagte zur Hissung vor dem Landratsamt, dass die Betonung einer Selbstverständlichkeit zeige, „wie weit der Weg noch ist“.
Vor der Kreisverwaltung weht die Flagge zum fünften Mal. Zur Hissung dabei waren unter anderem Landrat Alexander Tönnies, der stellvertretende Kreistagsvorsitzende Dirk Blettermann und Valérie Stroh vom Gleichstellungsbüro (von links).
Vor der Kreisverwaltung weht die Flagge zum fünften Mal. Zur Hissung dabei waren unter anderem Landrat Alexander Tönnies, der stellvertretende Kreistagsvorsitzende Dirk Blettermann und Valérie Stroh vom Gleichstellungsbüro (von links).
© Foto: Marco Winkler
Auch in Oberhavel gebe es noch Beleidigungen und Anfeindungen von queeren Personen sowie Übergriffe auf queere Menschen. „Dem stellen wir uns ganz entschieden entgegen“, so Valérie Stroh aus dem Gleichstellungsbüro des Kreises. „Jeder Mensch hat das Recht, selbst zu bestimmen, wie er leben möchte.“ Der Kreis verteilte in diesem Jahr eine „Progress-Flagge“, die mit zusätzlichen Farben Menschen anderer Hautfarbe und trans Personen inkludiert. „Das Symbol des Keils auf der Flagge symbolisiert, dass noch einiges an Fortschritt – auf Englisch progress – vor uns liegt“, so Valérie Stroh.
Die bunte Fahne wird seit 2021 in Velten gehisst. „Geschlecht, Herkunft, Hautfarbe, sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität dürfen nicht zu Ausgrenzung und Gewalt führen“, so die Gleichstellungsbeauftragte Kerstin Husarzewsky. Bürgermeisterin Ines Hübner (SPD) ist das Zeichen für Vielfalt und Akzeptanz wichtig: „In einer modernen Gesellschaft und in einer Demokratie, die für alle da ist, ist kein Platz für Diskriminierung.“
In Velten weht die Regenbogenfahne seit 2021 jeweils eine Woche. Gehisst wurde sie von Ines Hübner, Jennifer Collin-Feeder, Kerstin Husarzewsky und Daniel Gericke (von links).
In Velten weht die Regenbogenfahne seit 2021 jeweils eine Woche. Gehisst wurde sie von Ines Hübner, Jennifer Collin-Feeder, Kerstin Husarzewsky und Daniel Gericke (von links).
© Foto: Stadt Velten/Nicole Glomb
Zur Erinnerung: Erst in 33 von 193 UN-Mitgliedsstaaten ist die gleichgeschlechtliche Ehe erlaubt, in 64 Staaten sind gleichgeschlechtliche Beziehungen noch unter Strafe gestellt. In vielen Ländern, darunter Deutschland, nimmt die Queerfeindlichkeit zu. Queere Menschen werden kriminalisiert, stigmatisiert und verfolgt. In Ungarn ist „Propaganda“ für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt verboten. Die EU-Kommission verklagte Ungarn deshalb. In Uganda könnte ein öffentliches Outing demnächst sogar zur Todesstrafe führen. In den USA greifen in vielen Staaten Anti-LGBT-Gesetze.

Aufklärung am Runge-Gymnasium Oranienburg

Teil einer modernen, fortschrittlichen Gesellschaft ist eine Gruppe am Oranienburger Runge-Gymnasium. „Pro Individualität“ setzt sich für die LGBTQI-Community ein und engagiert sich gegen Sexismus. In Workshops und mit kleinen Aktionen will die Gruppe informieren. „Es geht um Aufklärung“, sagte Manja Pätke abseits der Flaggenhissung in Oranienburg. Die Gruppe sei ein „safe space“, ein sicherer Ort.
„Bei uns in der Schule ist das kein Tabu-Thema mehr“, berichtete Jeffrey Petzold. Das liegt auch an der Sichtbarkeit. Gerade wenn der Umgang mit queeren Lebensformen fehlt, gebe es viel Unverständnis. Der Gruppe sei es wichtig, nicht nur queere Jugendliche anzusprechen. Jeder solle sich mit den Themen beschäftigten, da es allen ein Anliegen sein sollte, „dass sich andere Menschen nicht unwohl fühlen“, so Petzold.
Jeffrey Petzold und Manja Pätke von der Runge-AG "Pro Individualität" engagieren sich in ihrer Schule für LGBT-Themen und gegen Sexismus. Susann Reissig vom Kreisjugendring und Valérie Stroh vom Gleichstellungsbüro Oberhavel unterstützen das Engagement.
Jeffrey Petzold und Manja Pätke von der Runge-AG „Pro Individualität“ engagieren sich in ihrer Schule für LGBT-Themen und gegen Sexismus. Susann Reissig vom Kreisjugendring und Valérie Stroh vom Gleichstellungsbüro Oberhavel unterstützen das Engagement.
© Foto: Marco Winkler
Runge-Sozialarbeiterin Christina Mellem verglich ihre Schulzeit mit der heutigen. „Es ist offener geworden“, sagte sie. „Pro Individualität“ ermögliche, dass sich Jugendliche wohler fühlen. Erst kürzlich hatte das Outing eines jungen Mannes begleitet. „Er wollte es seiner Klasse mitteilen, wusste aber nicht, wie.“ Das Outing ist gelungen. „Die Gruppe war sein ‚safe space‘, er ist jetzt selbst in ihr“, sagte Christina Mellem.
Schulen wie das Marie-Curie-Gymnasium und die Hugo-Rosenthal-Oberschule in Hohen Neuendorf beteiligten sich ebenfalls am Aktionstag und hissten die Flagge. Bürgermeister Steffen Apelt (CDU) freute sich über die hohe Beteiligung. Es verdeutliche, wie wichtig es sei, eine klare Haltung zu zeigen. „Auch in Deutschland sind queere oder sich nicht mit dem binären System identifizierende Menschen vielfach Intoleranz, Abneigung oder sogar feindlichen Übergriffen ausgesetzt“, sagte Hohen Neuendorfs Gleichstellungsbeauftragte Ramona Lopitz.
In Hohen Neuendorf wird die Regenbogenflagge seit 2019 vor dem Rathaus gehisst.
In Hohen Neuendorf wird die Regenbogenflagge seit 2019 vor dem Rathaus gehisst.
© Foto: Stadt Hohen Neuendorf
Vor dem Schloss Oranienburg wurde der zweite „Rainbow Day“ mit zahlreichen Mitmach- und Informationsständen gefeiert. Die Pride-Flagge weht eine Woche lang im Wind. „Vielfalt lohnt sich und ist wichtig für die Gesellschaft“, sagte Oranienburgs Gleichstellungsbeauftragte Christiane Bonk. Sie verwies auf ein Zitat, das sie aufgeschnappt hatte: Die Natur liebt Vielfalt, die Gesellschaft hasst sie. Laut Bürgermeister Alexander Laesicke (parteilos) brauche es engagierte Menschen, die vorneweg gehen und sagen, „das ist die Gesellschaft, in der wir leben wollen“.
Zeichen für Vielfalt und Akzeptanz. Noch immer wird vielerorts diskutiert, welchen Sinn die Regenbogenflagge überhaupt hat.
Zeichen für Vielfalt und Akzeptanz. Noch immer wird vielerorts diskutiert, welchen Sinn die Regenbogenflagge überhaupt hat.
© Foto: Marco Winkler
Die Bundestagsabgeordnete Ariane Fäscher (SPD) nutzte den Tag, um in ihrem Wahlkreismobil über das sich gerade in der Debatte befindliche Selbstbestimmungsgesetz zu informieren, welches das diskriminierende Transsexuellengesetz ablösen soll. In einem vereinfachten Verfahren – ohne entwürdigende psychologische Gutachten und richterlichen Beschluss – sollen Menschen, die trans, intergeschlechtlich oder nicht-binär sind, ihr Geschlecht künftig beim Standesamt ändern können. „Ich finde es richtig, dass Menschen in Eigenverantwortung entscheiden können, welche Identität sie haben und diese auch selbstbestimmt umsetzen können“, so Ariane Fäscher. Familien- und Justizministerium rechnen laut Tagesschau mit etwa 4000 Fällen pro Jahr.
Die Regenbogenflagge sieht sie nicht als reine Symbolpolitik. Im Gegenteil. „Zivilgesellschaftliches Engagement ist eine Grundvoraussetzung für eine funktionierende Demokratie“, sagt sie. Symbolische Akte solle etwas stören und Diskussionen anschieben, die Menschen beschäftigen. Das sei an einem öffentlichen Platz am besten möglich. „Ich halte es für wichtig, dass sich Kommunen dazu bekennen und für Vielfalt und gegen Ausgrenzung einstehen.“