Fast neun Jahre liegt es zurück, dass Bahnitz im westlichen Havelland mit einer originellen Aktion in die Medien kam. Am 30. April 2014 wurden etwa 1.000 einjährige Babyfische in die Havel gesetzt. Damit verbunden war die Hoffnung von Dr. Jörn Gessner, Leiter des in Berlin ansässigen Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB), dass der Europäische Stör (Acipenser sturio) irgendwann zum Laichen zurückkehren wird. Schon damals war aber klar, dass das ohne staatliche Hilfe nichts werden kann.
Insgesamt 5.000 Störe wurden zwischen 2009 und 2015 an verschiedenen Stellen von Unter-, Mittel- und Oberhavel auf Wanderschaft geschickt, allein 1.000 in Bahnitz. Nur etwa 10 Zentimeter lang waren die dortigen Störe, als sie 2014 auf und davon schwammen. Die Richtung war klar: flussabwärts gen Elbe und dann weiter gen Nordsee.

Europäischer Stör: bis zu 100 Jahre alt, 600 Kilogramm schwer und 5,5 Meter lang

Etwa 90 Prozent des ausgesetzten Nachwuchses erreicht nicht das nächste Lebensstadium. Der Rest wächst und wächst. Erst als geschlechtsreifer Fisch im Alter von 12 bis 16 Jahren verlässt der Stör die Küstengewässer, um zur Fortpflanzung in die Heimat zurückzuschwimmen. Dann ist er inzwischen schon mindestens etwa 1,80 Meter lang. Er wächst, wenn man ihn lässt, bis zu 100 Jahre weiter – bis auf 5,5 Meter kann es der Europäische Stör bringen. Mit der haiartigen Körperform und -masse von bis zu 600 Kilogramm sind aber Wehre und Dämme in Flüssen für ihn unüberwindbare Barrieren.
Am Elbe-Wehr in Geesthacht (Schleswig-Holstein) wurde 2010 eine der größten Fischtreppen Europas geschaffen, sonst hätte der Europäische Stör keine Chance zur Rückkehr aus der Nordsee. In die Havel kann der Fisch wegen der komplexen Wehranlage des Vorfluters nicht einbiegen - die Fischaufstiegsanlage in Gnevsdorf sei der derzeit einzige Weg in die Havel, und deren Eignung werde aktuell erst einmal wieder überprüft, so Jörn Gessner. Dass es hier Probleme nicht nur für den Stör geben könnte, war freilich schon 2014 bekannt.

Initiative aus Brandenburg, Berlin und Sachsen-Anhalt: Dreiländerpapier liegt seit 2014 beim Bund auf dem Schreibtisch

Dass Fische dennoch in der Hoffnung in die Havel gesetzt wurden, dass sie zurückkehren, basiert auf einem Dreiländerpapier, das seit 2014 beim Bund auf dem Schreibtisch liegt. Brandenburg, Berlin und Sachsen-Anhalt haben sich positioniert, was die Förderung der Wanderschaft betrifft. Die Havel sieht man hier als Hauptwanderweg und Einstieg ins damit verbundene Gewässernetz. Das in den 1950er Jahren gebaute Gnevsdorfer Wehr befindet sich zwar in Zuständigkeit des Landes Brandenburg, ist aber eine vom Bund betriebene Anlage.
Die Dreiländer-Diskussion mit dem Bund ist laut Gessner um 2015 steckengeblieben. Da die Durchlässigkeit viel Geld kostet, sei der Bund entsprechend zurückhaltend. Man warte jetzt wohl ab, bis die Störe tatsächlich an das Gnevsdorfer Wehr klopfen, so Gessner. Er sagt aber auch, dass es dahinter noch nicht viel weiter ginge. Für meterlange Störe sind die Fischaufstiegsanlagen, auch die am Bahnitzer Wehr, nicht ausgelegt. Hier müsste ebenso investiert werden. Zwischen 2020 und 2022 wurden erste Rückkehrer in der Unterelbe nachgewiesen, wenn alles nach Plan liefe, könnten auch in der Havel in den nächsten Jahren erste Rückkehrer zu beobachten sein.

Auch in Deutschland sorgte Stör für Kaviar – Überfischung wurde zum Problem

Störe gibt es in vielen Arten. Etwa der Baltische Stör (Acipenser oxyrinchus) stellt ein eigenes Besatzprojekt an der zur Ostsee (Baltikum) fließenden Oder dar.
Am bekanntesten sind wohl die Vertreter in Russland, deren Eier zu Kaviar verarbeitet werden. Allerdings handelt es sich mittlerweile um Fische in Zuchtanlagen. Freilebend sind sie auch dort sehr selten geworden. In Deutschland kam man Mitte des 19. Jahrhunderts auf den Geschmack von Kaviar.
Insbesondere wegen Überfischung gingen die Bestände des Europäischen Störs dramatisch zurück. Weil die Fischerei die zum Laichen in die Flüsse wandernden Tiere fing, konnten diese sich nicht vermehren, was den rapiden Rückgang beschleunigte. Der letzte Stör-Fang in der Havel soll 1903 bei Plaue erfolgt sein.

Renaturierung der Unteren Havel würde Europäischem Stör in die Flossen spielen, meint Dr. Jörn Gessner

Wie Dr. Jörn Gessner meint, würde die aktuell laufende Renaturierung der Unteren Havel zwischen Havelberg und Bahnitz dem Stör sozusagen in die Flossen spielen. Sollte er jemals wieder bis in diesen Flussabschnitt gelangen können, hätte er ein sehr gutes Nahrungsangebot. Insektenlarven, Würmer, kleine Krebse etc. mag er am liebsten. Die Wasserqualität ist inzwischen auch wieder geeignet.
Die Havel muss nicht unbedingt klar sein, dem Stör genügt es, wenn die biologische und chemische Belastung gering ist. Für das Aussterben des Europäischen Störs waren einst auch Fäkalien und Industrieabwässer verantwortlich, die ungeklärt in die Flüsse geleitet wurden. Die durch Berlin und Potsdam fließende Havel wurde in den letzten Jahrzehnten immer lebensfreundlicher.