Seit etwa 18 Jahren lebt Gerd Dehnhardt in Jerchel. Er betätigt sich als Chronist. Aktuell macht ausgerechnet der Mann aus dem Milower Land auf das Schicksal von Erika Löbner-Felski aufmerksam, die am 3. März 1922 in Rathenow geboren wurde.
Sie war ein Mädchen aus der Schützen-, heute Puschkinstraße. Ab 1940 wurde sie zur Lehrerin ausgebildet und nahm auch Schauspielunterricht. Zudem schrieb sie gern. 1948 schilderte sie auf launige Weise und mit havelländisch-brandenburgischer Schnauze Begebenheiten während einer sogenannten „Hamsterfahrt“. Titel: „Zwischen Stendal und Berlin“. In diesem kommt die Polizei nicht gut weg. Denn auf der Rückfahrt wird der Zug kurz vor Rathenow gestoppt, Polizisten setzen zur Durchsuchung an: Eier, Kohl und Kartoffeln sind in Gefahr...
Zwangsarbeit in der Sowjetunion, Höllenlager Workuta überlebt
Das Gedicht wurde der Schreiberin offenbar zum Verhängnis. Anfang 1950 wurde die Frau zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Nördlich des Polarkreises, rund 5.200 Kilometer von Rathenow entfernt und in der Nähe zum Eismeer, überlebte sie das Höllen-Gulag im sowjetischen Workuta. Das Lager wurde 1938 zur Kohleförderung errichtet und 1956 aufgelöst. Schätzungen zufolge schufteten dort über die Jahre insgesamt rund eine Million Häftlinge. Im Jahr der Höchstbelegung (1951) waren es knapp 73.000. Etwa 250.000 Menschen starben. Im Jahr 1955, nach Verhandlungen von Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) mit den Sowjets, kamen neben den deutschen Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion auch die deutschen Polithäftlinge aus Workuta frei.
Die Havelländerin wurde in Bayern beruflich erfolgreich
Erika Löbner-Felski zog nach Bayern und ließ sich zur Kosmetikerin ausbilden. 1959 heiratete sie Herbert Löbner. Laut Gerd Dehnhardt eröffnete die vormalige Havelländerin ein Kosmetikinstitut in München und produzierte ab 1980 eine eigene Kosmetiklinie in Altötting. In dieser Zeit hätte sie weiterhin Gedichte und Erzählungen geschrieben und einige Bücher veröffentlicht, darunter „Klawa, das Mädchen aus Charkow - der Leidensweg einer Strafgefangenen“ (1979) und „Geliebte Heimat, Havelland“ (1986). Ihr letztes Gedicht, „Meine Heimat“, soll vom 8. Januar 1992 stammen. Es war der Todestag von Erika Löbner-Felski.
„Zwischen Stendal und Berlin“ geeignet für den Schulunterricht?
Wie der Chronist aus Jerchel erklärt, sei die Frau für ihn eine große Entdeckung gewesen. Erstmals hatte er während einer Veranstaltung von ihr gehört, in der das Schreiben oder besser Abschreiben eines Gedichts auf der Tagesordnung stand. Eine Teilnehmerin trug „Zwischen Stendal und Berlin“ vor. Gerd Dehnhardt meint über Erika Löbner-Felski: „Ihre Werke könnten eine Initialzündung zur Beschäftigung mit unserer Heimat und der Vor- und Nachkriegsgeschichte sein - vielleicht auch im Schulunterricht. Eventuell sollte eine Auswahl ihrer Werke wieder aufgelegt werden.“