Altlandsberg nennt sich selbst Ackerbürgerstadt. Zwar ist dort vieles in der Entwicklung, aber die Einwohner schätzen das eher ländliche Flair der Kommune nicht weit vor den Toren Berlins. Die sanierte historische Altstadt wird von zwei Türmen begrenzt – dem Berliner Turm im Süden und dem Storchenturm am Scheunenviertel. Und genau dort ist es zu dem Vorfall gekommen, der von vielen mitverfolgt wurde und nun für Diskussionen sorgt.
Die Störche Elsa und Horst sind seit Jahren ein Paar. Den Winter verleben sie in Afrika, aber Anfang April zieht es das Storchenpaar wieder in Richtung Norden nach Altlandsberg. So auch in diesem Jahr. Es dauerte nicht lange, da paarten sich die beiden und schon bald war das erste Ei im Nest zu sehen. Wie viele werden es diesmal sein, fragten sich die Webcam-Zuschauer. Im vorigen Jahr 2022 sollen es insgesamt fünf Eier gewesen sein. Nicht alle konnten ausgebrütet werden.
Der Schreck war groß, als am 13. April ein fremder Storch das Nest kaperte und das Ei vom Turm stieß. Hilflos sahen Menschen aus der ganzen Welt zu. „Tatsächlich bekomme ich immer wieder Meldungen, dass ehemalige Altlandsberger oder Gäste aus ganz entfernten Orten per Internet die Störche beobachten. Bundesweit sowieso, aber auch aus Malaysia kamen schon Nachrichten“, erzählt Lutz Bähr, Chef vom Unternehmerverein, der die Storchencam seit 2015 betreibt.
Im Vorfeld gab es viele Diskussionen darum, ob man mit solch einer Kamera die Störche gar vergrämen würde. Doch denen ist der Kasten am Nest völlig egal. Inzwischen hat die Webcam hunderten Menschen weltweit die Natur und auch Altlandsberg ein ganzes Stück nähergebracht.
Regelmäßige Wartung ist Pflicht
So ein Livestream aus dem Nest zu betreuen, das ist nicht ohne, erklärt Lutz Bähr. Zwar sei das Nest auf guten menschengemachten Grund gebaut, aber die Störche packen jedes Jahr noch etwas Polster drauf. „Nach ein paar Jahren würde die Kamera keine schönen Bilder mehr liefern, da dann nur noch die Füße zu sehen sein würden. Deshalb müssen wir da regelmäßig ran“, sagt Bähr. Mit einem Leiterwagen, der nicht ganz bis an das Nest in 22 Meter Höhe heran ragt, wird dann das Nest wieder in Form gebracht und gleichzeitig geschaut, ob alles noch Storchenfamilien-tauglich ist. Kamera und Kabel werden überprüft, die Ausrichtung und der Blickwinkel justiert, damit keine Anwohner in unmittelbarer Umgebung plötzlich im Livestream auftauchen. Inzwischen sind beim ihm viele Spenden für die Unterstützung der Storchencam eingegangen.
Das Sanierungsbüro von Grit Burckhardt im Storchenturm liefert die notwendige Internetleitung, damit die Bilder weltweit abrufbar sind. Zu den Stammzuschauern zählen viele Schulen. „Neben Altlandsberg gehören auch Berliner Schulen dazu. Das macht mich besonders froh, weil sie so einen Einblick in die Natur bekommen“, sagt Lutz Bähr.
Im Livechat, der auf der Seite der Webcam eingebunden ist, wird fast jede Aktion im Netz kommentiert. Antonie30 guckt seit 22 Jahren Störche: „Jede Saison ist anders spannend, aufregend, traurig und erfolgreich.“ Tiercams gehören in jedes Pflegeheim oder Krankenhaus, „weil sie so klasse sind“, fordert sie.
Anette ist seit 2014 Storchenguckerin in Altlandsberg und führt Statistik. Störchin Elsa hat in fünf Jahren 20 Eier in dieses Nest gelegt, daraus sind 20 Küken geschlüpft, von denen 17 flügge wurden. „Die Rückkehr aus Afrika, der Nestbau, ihr Umgang miteinander, das Brutgeschäft, das fünf Wochen dauert, die Aufzucht der Jungen (zehn Wochen), der Urlaub zu zweit der Eltern, wenn die Jungen schon auf Reisen sind, der Abschied – all' das ist immer wieder großartig und das gemeinsam zu erleben, ist die Krönung“, schreibt Anette.
Elsa (ihr amtlicher Name lautet Brutstörchin DEH H7658) und der noch unregistrierte Horst sind ein besonderes Paar, sind sich die Fans einig. Über die gemeinsamen Storchenbeobachtungen sind sich auch die Fans nähergekommen, es gibt Treffen und sogar echte Freundschaften sind daraus entstanden. Es gibt aber auch viele stille Zuschauer, die oftmals nur schauen, was „ihre“ Störche machen.
Derzeit bangen alle live mit, wie Elsa und Horst die Fremdstörche vertreiben, damit es auch in diesem Jahr Altlandsberger Storchennachwuchs von Elsa und Horst geben kann.
Storchenstadt und Storch-ade-Fest
Vom Storchenjahr 2021 hat Karin4 ein Fotobuch erstellt. „Das kann gerne bei uns im Verein Hand in Hand in der Poststraße 11 angesehen werden. Ich bin immer dienstags von 10 bis 12 Uhr vor Ort“, schreibt sie in den Chat.
Für Lutz Bähr ist das Grund genug, den Gedanken des Storch-ade-Festes, das während der Corona-Pandemie als Ersatz für das Vogelscheuchenfest gefeiert wurde, weiterzuspinnen, um den Abflug der Störche zusammen zu erleben.
Bettina Reinfeld, Geschäftsführerin des Schlossgutes, ist bekennender Storchenfan. Sie schlägt vor, weitere Nester in Altlandsberg den Störchen anzubieten, damit man solche Fremdstorch-Attacken aus Wohnungsnot minimieren kann.
Diese Idee weitergesponnen, könnte Altlandsberg – ähnlich wie Hoppegarten als Rennbahngemeinde – den offiziellen Namenszusatz Storchenstadt bekommen. Verdient hätten sie es sich. Aber auch ohne offizielle Würdigung ist Altlandsberg besonders eng mit Störchen verbunden. Die vielen Webcam-Fans beweisen es.