Der ehemalige Operations- und Intensivtrakt der Charité, der auch viele Jahre als Notaufnahme diente, ist nicht mehr wiederzuerkennen. In den vergangenen fünf Jahren wurde der 80er-Jahre-DDR-Bau an der Luisenstraße 65 bis auf die Grundmauern entkernt und umfangreich saniert. „Wir haben die Decke rausgenommen und zwei Innenhöfe reingeschnitten“, erläutert Jochen Brinkmann, Bau-Chef der Charité.
Nun treten Besucher in ein lichtdurchflutetes Foyer mit sechs offenen Geschossen und umlaufenden Geländern. Durch das gläserne Dach des Atriums kann man das neue Bettenhochhaus der Charité in den Himmel aufragen sehen, zu dem es auch einen direkten Zugang gibt. „So haben wir kurze Wege zwischen Labor und Krankenbett“, erklärt Joachim Spranger, seit Anfang des Jahres neuer Charité-Dekan, am Donnerstag zur feierlichen Eröffnung.

Forschung und Klinik unter einem Dach

Die Nähe ist Programm, denn im neuen Rahel Hirsch Center sollen nicht nur innovative Therapien entwickelt werden, sondern im Rahmen klinischer Studien am Patienten angewendet werden. Dazu werden im umgebauten Gebäude mit einer Nutzfläche von rund 15.000 Quadratmetern etwa 9600 Quadratmeter für das Berlin Institute of Health (BIH) reserviert, das schon 2013 gegründet wurde.
Das BIH, das auch Institut für Gesundheitsforschung genannt wird, gehört offiziell schon seit 2021 zur Charité, gilt aber als eigenständige Institution und arbeitet zudem mit dem Max-Delbrück-Center zusammen.
In den neuen Laboren werden Wissenschaftler nach ihrem Einzug ab März unter anderem an Erbgut und Zellen forschen, die zu Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Autoimmunkrankheiten oder Alzheimer führen. Derzeit arbeiten die BIH-Forscher schon an Gen-Therapien, die im neuen Rahel Hirsch Center dann das erste Mal am Patienten angewandt werden sollen.
Der Fokus liegt dabei auf einer individuellen, auf den jeweiligen Betroffenen zugeschnittenen Medizin. „Wir müssen den Patienten in die wirkliche Welt begleiten“, erklärt Krebsexperte Christof von Kalle, der das gemeinsame Klinische Studienzentrum von BIH und Charité leitet.

Simulationszentrum für Gehirn-OPs

So werden im Rahel Hirsch Center künftig auch ambulante Therapien für Krebspatienten durchgeführt, aber auch genetisch bedingte Muskel- sowie Hauterkrankungen spielen eine Rolle. Weil man die Haustechnik auf das Dach verlegte, gibt es im Keller noch zusätzlich Platz für ein Simulationszentrum der Charité, in dem unter anderem OP-Trainings am Gehirn geprobt werden.
Doch in dem modernen, offenen Gebäude sollen sich die Wissenschaftler, Ärzte und Patienten vor allem täglich persönlich begegnen. Die Forscher sollen live mitbekommen, was im Klinikalltag wirklich gebraucht wird.
Das nach oben hin offenen Foyer des neuen Rahel Hirsch Centers der Charité in Berlin bietet Platz für Veranstaltungen, wie hier die Eröffnungsfeier. Künftig sollen dort öffentliche Ausstellungen zu Medizin-Themen gezeigt werden.
Das nach oben hin offenen Foyer des neuen Rahel Hirsch Centers der Charité in Berlin bietet Platz für Veranstaltungen, wie hier die Eröffnungsfeier. Künftig sollen dort öffentliche Ausstellungen zu Medizin-Themen gezeigt werden.
© Foto: Maria Neuendorff
Dafür sorgen alleine schon die offenen Stockwerke im Atrium, deren Gänge von überall einsehbar sind. „Ein großes Anliegen war es, vor allem Licht und Luft in das Gebäude zu bringen, in dem Mitarbeiter jahrzehntelang nur bei Kunstlicht arbeiten mussten“, erklärt Bauchef Brinkmann, der auch schon das Bettenhaus bei laufenden Betrieb saniert hat.
Manche Charité-Mitarbeiter freuen sich trotzdem, dass nun auch der kleinere Sockelbau nebenan im Kern nicht abgerissen wurde. „Viele haben eigene Erinnerungen an das Haus. Manche Mitarbeiter haben sich in den OPs kennen und lieben gelernt. Wir hatten Handwerker, die hier als Säuglinge auf der Neonatologie lagen“, berichtet Bau-Projektleiterin Ulla Heinz während eines Rundgangs.

Aus Forschung wird Gesundheit

Die Generalüberholung des fast schon historischen Baus kostete knapp 100 Millionen Euro. 60 Prozent davon übernahm der Bund, auch weil das Center ein „Leuchtturmprojekt ist, in dem das Motto ,aus Forschung wird Gesundheit‘ umgesetzt wird“, sagt Judith Pirscher (FDP), Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Forschung, die wie auch Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) zur Eröffnung kam.
Mit dem Abschluss der Bauarbeiten sind nun 19 Prozent des Charité-Bestandes, der sich an drei Standorten über ganz Berlin verteilt, im Neubauzustand. Dass noch viel zu tun ist, um Europas größte Universitätsklinik auch baulich auf Spitzenniveau zu bringen, bestätigt die Aussicht von der großzügigen Terrasse in der sechsten Etage des neuen Centers, von der aus man direkt auf die in den 1950er-Jahren errichtete und sichtbar heruntergekommene Hautklinik blickt.

Weitere Neubauvisionen

„Da würden wir auch gerne ran“, sagt Brinkmann. Doch dazu müssten erst einmal wieder neues Geld bewilligt und Ersatzflächen geschaffen werden, damit Mitarbeiter und Patienten innerhalb des Campus für die Bauzeit umziehen können.
Weitere Neubauvisionen will der Charité-Vorstand Ende März vorstellen. Auch vom zweiten Charité-Hochhaus in Mitte könnte dann erneut die Rede sein.

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie modernisiert

Bis 2050 will die Charité rund 1,8 Milliarden Euro in Sanierung, Neubau und ihre inhaltliche Weiterentwicklung investieren. Erst am Mittwoch wurde die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Campus Mitte nach aufwändiger Sanierung eingeweiht.
Dort wurden mit 25 Millionen Euro Landesmitteln das Dach rekonstruiert und die technischen Infrastruktur vollständig erneuert. Ein besonderer Fokus lag auf den Stationen und Patientenzimmern, die modern, komfortabler im Sinne einer „heilenden Architektur“ gestaltet wurden.

Neues Herzzentrum auf dem Virchow-Campus

Der Spatenstich für ein neues Gebäude des Deutschen Herzzentrums der Charité mit 20 Operationssälen auf dem Campus des Virchow-Klinikums in Wedding ist für Ende des Jahres anberaumt.
Das Rahel Hirsch Center, nur ein paar Schritte vom Berliner Hauptbahnhof entfernt, soll künftig auch der gesunden Öffentlichkeit offenstehen. Das Foyer wird ab Juni die Ausstellung zum 200. Geburtstag Rudolf Virchows dauerhaft beherbergen. Dazu wird es ab Mai eine Sonderausstellung zum Thema „Berühmte Wissenschaftlerinnen“ geben.
Wie der Name des neuen Centers sowie der neuen angrenzenden Rahel-Hirsch-Straße schon sagt: Die Charité will künftig mit Neu- und Umbenennungen auch mehr an ihre weiblichen Koryphäen erinnern.

Wer war Rahel Hirsch?

Rahel Hirsch war die erste Frau in Deutschland (damals noch Königreich Preußen), die einen Professorentitel in Medizin erhielt. 1870 als eines von elf Kindern in Frankfurt am Main geboren, studierte sie in Zürich Medizin und wurde 1903 Assistenzärztin an der Berliner Charité. Damit war Hirsch nach Franziska Tiburtius (1843-1927) die zweite Ärztin in der Klinikgeschichte der Charité.
Hirsch forschte zum Thema Darmschleimhaut und führte Experimente zum Übergang von Nahrungspartikeln vom Darmtrakt in den Harntrakt durch. 1908 übernahm sie die Leitung der Poliklinik der II. Medizinischen Klinik der Charité, bekam jedoch dafür weder Gehalt noch einen Lehrstuhl.
So machte sie sich 1919 mit einer eigenen Praxis selbstständig. 1928 eröffnete sie am Kurfürstendamm zusätzlich ein Röntgeninstitut. Weil sie Jüdin war, entzogen ihr die Nazis die Kassenzulassung. 1938 emigrierte Rahel Hirsch nach London, wo ihre Approbation nicht anerkannt wurde, und sie als Laborassistentin und Übersetzerin arbeiten musste.
In der aktuellen Ausgabe des BIH Podcast erzählt Dr. Benjamin Kuntz aus dem Leben von Rahel Hirsch.