In Deutschland werden zwei Corona-Tote gemeldet. Die Bundesregierung rät von Auslandsreisen ab. Die 80 Sänger kommen in einem 120 Quadratmeter großen Saal zusammen. Die wenigsten geben sich noch die Hände zur Begrüßung. Man ist schon vorsichtig geworden.
60 von 80 Sänger werden krank
Was zu diesen Zeitpunkt aber keiner weiß: Unter ihnen ist eine Frau, die sich in Südtirol angesteckt hat. Nur wenige Tage später bekommen 30 Chormitglieder ein positives Testergebnis. Kantor Tobias Brommann geht sogar von doppelt so vielen Infizierten aus. "Es wurden nicht alle von uns getestet. Es herrschte damals in Berlin Chaos. 60 von uns hatten die typischen Symptome von Fieber bis Geruchs- und Geschmacksveränderungen. "
Brommann schickt alle schnell in Quarantäne. Auch er selbst bekommt fünf Tage später Fieber, Gliederschmerzen und ein positives Testergebnis, obwohl er mehrere Meter vom Chor entfernt auf dem Dirigentenplatz stand. Auch andere Chormitglieder, die mehr als zwei Meter von der infizierten Person entfernt probten, wurden krank, darunter auch die Klavierspielerin, die separat an ihrem Flügel saß.
Die Sitzanordnung vom 9. März wurde nun noch einmal für die Wissenschaftler des Robert-Koch-Instituts mit leeren Stühlen nachgestellt. Denn im Fall des Berliner Doms zeigt sich: Das neuartige Covid-19-Virus scheint sich nicht nur durch Tröpfchen-Infektion, sondern besonders auch über Aerosole, winzig kleine Luft-Partikel, die nicht schnell zu Boden sinken, und sich in ungelüfteten Räumen auch über größere Distanzen zu verbreiten. "Es gibt dazu einen ziemlich derben Vergleich, der es aber gut erklärt", sagt der Kantor: "Irgendwann wissen alle im Raum, dass jemand gepupst hat".
Übertragung durch Luftpartikel
Zur Übertragung durch kleine Luftpartikel schreibt das Robert-Koch-Institut auf seiner Homepage: "Auch wenn eine abschließende Bewertung zum jetzigen Zeitpunkt schwierig ist, weisen die bisherigen Untersuchungen insgesamt darauf hin, dass SARS-CoV-2-Viren über Aerosole auch im gesellschaftlichen Umgang übertragen werden können."
So könnte nun die Berliner Domkantorei zur Folie für das Infektionsgeschehen in geschlossenen Räumen werden. Brommann hält aktuelle Studien vom Institut für Musikermedizin in Freiburg und die Testreihe des Instituts für Strömungsmechanik in München allerdings für unzureichend. "Sie schauen nur auf die Abstände im Raum und lassen den Zeitfaktor aus", sagt der 52-Jährige. Brommann verweist dabei auch auf die Masseninfektion auf einer Büroetage in Friedrichshain sowie bei einem Chor in den USA, bei dem schon die Hygiene- und Abstandsregeln eingehalten wurden.
Aber auch über das besonders intensive Atmen beim Singen und den Einfluss auf das Infektionsrisiko gibt es noch zu wenige Erkenntnisse. Brommann und seine Mitglieder hatten damals zweieinhalb Stunden geprobt. Es gab keine Todesfälle, aber zwei Sänger mussten ins Krankenhaus und künstlich beatmet werden. "Wir sind ein verhältnismäßig junger Chor, bei uns singen auch viele Studenten", betont der Kantor.
Chorprobe per "Zoom"
Der zweitschwerste Fall sei ein Mitglied Mitte 40 gewesen, das keine Vorerkrankungen gehabt habe und mit doppelseitiger Lungenentzündung auf die Intensivstation musste. Brommann selbst hatte Glück, litt aber dreieinhalb Wochen an dem Virus. "Das Schlimmsten waren die starken Kopfschmerzen", berichtet der 52-Jährige. Richtig fit sei er sogar erst nach zwei Monaten wieder gewesen.
Wenn nun Chorprobe ist, setzt sich der Domkantor in seiner Reinickendorfer Wohnung ans E-Piano mit Mischpult und fährt den Computer hoch. "Beim Zoom-Meeting werden normalerweise die Nebengeräusche herausgefiltert, die gerade bei einer Musikprobe wichtig sind", erklärt der leidenschaftliche Musiker. Dazu gibt es Zeitverzögerungen. Die Sänger hören nur sich selbst und den Chorleiter. "Es ist nur ein Strohhalm, aber besser als nichts", sagt Brommann.
Für die Gottesdienste probt er inzwischen wieder im Dom. Aber nur noch mit maximal acht Personen, wenn möglich mit Ehepaaren und maximal eine Stunde lang. "Eigentlich beschneide ich mich selbst in meinen Beruf", sagt der Kantor. "Aber wenn mich jemand fragt, sage ich: Bitte habt Geduld."
Viren schweben in der Raumluft
Die Forscher gehen davon aus, dass das Coronavirus meist durch Tröpfchen übertragen wird, wenn Menschen niesen, husten oder sprechen. Höchstwahrscheinlich wird es aber auch über sogenannte Aerosole verbreitet, kleine Partikel, die stundenlang in der Luft schweben können. neu