Polen ist ein Land, das derzeit in aller Munde ist und mit positiven Aussagen nahezu überhäuft wird – den schier ewigen Querelen der polnischen Regierung mit der EU zum Trotz. Zudem hat die Hauptstadt Warschau zum Jahresanfang den internationalen Wettbewerb „European Best Destinations 2023“ als interessantestes touristisches Ziel der Welt gewonnen.
Darüber hinaus hat sich die Ökonomie seit dem EU-Beitritt weit mehr als verdoppelt und ist für Experten schon seit langem die Wachstumslokomotive schlechthin in der Region.
Polen – auch attraktive Digital-Jobs für Deutsche?
Deswegen stellt sich immer mehr die Frage, ob das Nachbarland nicht auch als Arbeitsmarkt für Deutsche interessant sein könnte. Tatsächlich sind etwa seit Jahresanfang in den sozialen Medien wie Facebook immer mehr Angebote für Deutsche in Polen zu sehen, die dort unterschiedliche Jobs übernehmen können – beispielsweise im digitalen Marketing, im Kundenservice mit IT-Kenntnissen oder in der Buchhaltung. Meistens sollen die Kandidatinnen und Kandidaten für internationale Firmen deutschsprachige Kunden bedienen.
Es gibt aber auch Jobs, in denen man im Vertrieb arbeiten und IT-Produkte oder andere Waren verkaufen soll. Auf Facebook existiert eine Gruppe, in der ganz gezielt Arbeitsplätze angeboten werden, für die zumindest gute Deutschkenntnisse erforderlich sind.
Jenseits der Oder letztlich nur perfektes Deutsch gefragt
Das Wichtigste ist letztlich, dass jemand perfektes Deutsch spricht, weil er direkten Kontakt zu Kunden aus Deutschland hat. Der Arbeitsplatz befindet sich allerdings in Krakau, in Gdansk (Danzig) oder anderen Städten Polens. Oder man kann von zu Hause aus arbeiten, muss aber in Polen wohnen. Die deutschen Kunden, die auf den Hotlines der Firma anrufen, sollen nicht merken, dass sich die Leitung, die sie kontaktieren, gar nicht in Deutschland, sondern in Polen befindet.
Die Gehälter beginnen bei 7.000 bis 14.000 Złoty brutto (rund 1.600 Euro bis 3.200 Euro). Netto sind das etwa 5.100 bis 9.900 Złoty (rund 1.200 bis 2.200 Euro). Für Polen ist das bei einem Durchschnittseinkommen von brutto 6.400 Złoty (1.400 Euro) ein mehr als ordentliches Gehalt.
Kunden internationaler Konzerne sollen bedient werden
„Vorkenntnisse sind nicht erforderlich“, sagt Peter Vyvra, Vertreter von Ahoy Career, einer Personalagentur. Sie sucht gerade einen „Digital Marketing Sales Representative with German. „Bei der Arbeit geht es darum, die Online-Werbekunden unseres Kunden zu beraten - und zwar die, die Google Ads nutzen“, so der Personalfachmann im Gespräch mit diesem Nachrichtenportal. „Sie arbeiten direkt mit dem Kunden an seinem Google Ads-Konto, um seine Produkte zu verstehen und seine Kampagnen zu analysieren“, erklärt er. Der Kunde sei ein amerikanisches Unternehmen, das in seiner polnischen Niederlassung für die bekannte globale Suchmaschine arbeitet. Das Unternehmen beschäftigt seinen Angaben zufolge weltweit über 60.000 Mitarbeiter.
Personalkultur in Polen verlangt nur guten Willen zur Einarbeitung
Das Interessante: Die Personalfachleute, die deutschsprachige Kandidatinnen und Kandidaten suchen, konzentrieren sich darauf, dass diese gutes Deutsch sprechen. Die Fachkompetenz kann sie oder er später dazu lernen. Eigentlich ist nur ein guter Wille erforderlich, sich schulen zu lassen. Das entspricht auch der polnischen Kultur, die auf Improvisation im Berufs- und im Privatleben ausgelegt ist.
Dies ist eine Personalsuche, die für deutsche Verhältnisse völlig ungewöhnlich ist. Grundsätzlich suchen Firmen in Deutschland eher Arbeitskräfte, die am besten einen lückenlosen Lebenslauf aufweisen und eine gute Ausbildung vorweisen können. Das wird mittlerweile nicht mehr so streng gehandhabt. Doch hat sich hier im Grundsatz nur wenig geändert. Die Sprachkenntnisse stehen hier nicht im Vordergrund, sondern die fachliche Qualifikation.
Wenn also letztlich nur ein guter Wille und deutsche Muttersprache gefragt ist, und die Löhne für die Zuwanderer mehr als ordentlich sind, dann könnte dies für Deutsche sehr lukrativ sein.
Kommen jetzt immer Deutsche nach Polen?
Sind die Angebote im Netz somit schon der erste Beginn einer Migrationswelle von Deutschland nach Polen?
„Es kann natürlich sein, wenn sich die Wirtschaftsräume weiter angleichen, der Aufstieg von Polen sich fortsetzt und das Lohnniveau sich weiter so entwickelt wie bisher, dass ein Anreiz für Deutsche besteht, dort zu arbeiten“, sagt Christopher Fuß, der Polen-Korrespondent von der deutschen Wirtschaftsförderungsgesellschaft GTAI. Bisher sei dies allerdings kein Massenphänomen. „Die Bewegung ist nach wie vor immer noch mehr von Polen nach Deutschland“, erklärt der Fachmann. Seinen Aussagen zufolge ist dies bei Tesla ersichtlich, wo Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Polen angeworben werden. „In Polen gibt es natürlich durchaus eine deutsche Community“, sagt Fuß. Dies seien alles Leute, die einen starken Polen-Bezug haben.
Klare Worte in dieser Frage findet zum Schluss auch Agata Bajon, die Vertreterin des Arbeitsamtes Zielona Gora (Grünberg) auf Anfrage dieses Nachrichtenportals:
„Die Angebote auf dieser Website stammen von Unternehmen in großen Städten wie Warschau und Krakau. In der Woiwodschaft Lubuskie (Lebus) gab es in den vergangenen Jahren keinen einzigen Arbeitgeber, der einen deutschen Staatsbürger in Polen einstellen wollte.“