Vorwurf: fahrlässige Tötung
Die 29 Jahre alte Berlinerin ist die Schwester der kleinen Elif. Die sieben Jahre alte Nichtschwimmerin aus Neukölln ist am 6. Juni 2016 während einer Klassenfahrt beim Baden im Werbellinsee ertrunken. Vier Pädagoginnen der Schule stehen wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen unter Anklage.
Das Unglück war laut Staatsanwaltschaft "vorhersehbar und vermeidbar". Obwohl die Berliner Gruppe aus der großen Zahl von insgesamt 72 Kindern bestand, an der Badestelle noch viele weitere Menschen waren und schlechte Sicht sowie Lärm für Unübersichtlichkeit sorgten, hätten die Angeklagten es unterlassen, sich den erforderlichen Überblick zu verschaffen. Ein Kind habe schließlich die Lehrerin einer anderen Schule darauf aufmerksam gemacht, dass das Mädchen leblos im Wasser treibt. Elif starb wenig später im Eberswalder Krankenhaus.
Der Verlust ihrer Schwester habe sie schwer getroffen. Für die ganze Familie sei es ein harter Schlag gewesen, erzählt Aylin Ermis. "Und es ist eine riesengroße Belastung, dass wir nach wie vor nicht wissen, wie und warum es dazu gekommen ist." Das mache es unmöglich, mit dem tragischen Ereignis abzuschließen.
Es sei unverständlich, dass sie als Nebenkläger gemeinsam mit ihrem Rechtsanwalt immer wieder darauf pochen müssten, dass die Aufarbeitung vor dem Eberswalder Amtsgericht vorankommt. "Der Staat muss doch eigentlich ein Interesse haben, dass das aufgeklärt wird."
Der Anklagebehörde in Frankfurt (Oder) sei nichts vorzuwerfen, aber das Amtsgericht Eberswalde habe mehr als zwei Jahre gebraucht, um den Prozess zu starten, monierte Rechtsanwalt Kerem Türker bereits zum Auftakt der Hauptverhandlung im Januar dieses Jahres. Das Vertrauen der Familienangehörigen in die Justiz sei erschüttert, gab er seinerzeit zu Protokoll.
Zu dem Zeitpunkt wusste er freilich noch nicht, dass sich die Hängepartie bald fortsetzen sollte. Mitte März wurde der Prozess coronabedingt ausgesetzt. Zu dem Zeitpunkt lagen fünf Verhandlungstermine hinter den Beteiligten, acht weitere sollten folgen. Doch der Saal am Eberswalder Amtsgericht war zu klein, um die Abstandsregeln einhalten zu können.
Das leuchtet den Nebenklägern in dem Verfahren durchaus ein. "Aber Corona darf keine Begründung sein, alles stehen und liegen zu lassen", betont Aylin Ermis. Sie arbeite im Finanzamt. Dort habe man schnell Lösungen gefunden, um den Geschäftsverkehr aufrecht zu erhalten. "Fast alles ist machbar, wenn man will", findet die Berlinerin. "Hat das Gericht zumindest versucht, extern einen größeren Raum zu finden?"
Späte Raumsuche wegen Corona
Der Direktor des Eberswalder Amtsgerichts räumt ein, dass diese Raumsuche erst jetzt allmählich beginnt. Es sei unklar gewesen, wie lange die coronabedingten Einschränkungen dauern, sagt Johannes Wolfs. "Wir wissen erst jetzt, wie groß der Bedarf tatsächlich ist." Für insgesamt 18 Verfahren könnten derzeit wegen der Raumproblematik keine Termine gemacht werden.
Schnelle Lösungen seien nicht in Sicht, bremst Wolfs die Erwartungen. Man setze sich jetzt mit den Kollegen anderer Gerichte wie etwa dem in Bad Freienwalde zusammen, um gemeinsam Wege zu finden. Es gebe dabei viel zu berücksichtigen, etwa dass für einen externen Saal zusätzliches Sicherheitspersonal bereitgestellt werden müsste.
Als Brandenburgs Justizministerin Susanne Hoffmann in der vergangenen Woche im Landtag Auskunft zur Lage gab, klang das ganz anders. "Wir haben keine nennenswerten coronabedingten Rückstände. Und die, die wir haben, werden jetzt zügig abgebaut", sagte die CDU-Politikerin im Rechtsausschuss. Das sei "eine schöne und positive Bilanz".
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Beschwerde und Rüge durch die Nebenklage
Schon vor Prozessbeginn ging es nach Einschätzung der Nebenklage im Elif-Verfahren kaum voran. 17 Monate habe das Gericht gebraucht, um die Anklage zuzulassen und das Hauptverfahren zu eröffnen. "Ich hatte seinerzeit Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die zuständige Richterin erhoben", sagt Anwalt Kerem Türker. Nach der coronabedingten Aussetzung habe er Eingaben gemacht, eine Verzögerungsrüge erhoben sowie um schnelle Neuterminierung gebeten. "Eine Reaktion seitens des Amtsgerichts steht bis heute aus." mat