Die Kontroverse zwischen Griechenland und der Türkei um die Bodenschätze im östlichen Mittelmeer spitzt sich wieder zu. Während trotz der Corona-Krise hunderttausende Urlauber an den Stränden der mediterranen Badeorte urlauben, bricht sich die nur wenig verhohlene Machtpolitik der Türkei wieder Bahn. Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan kündigt neue Erdgas-Explorationen in dem umstrittenen Seegebiet an, die türkische Kriegsmarine plant Manöver mit scharfer Munition. Erdogan beendet damit ein von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ausgehandeltes Stillhalteabkommen.

Athen benennt Delegationschef

Die Entspannung dauerte gerade mal zwei Wochen: Die Türkei werde vorerst auf Rohstofferkundungen im östlichen Mittelmeer verzichten, sagte Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin Ende Juli. Zu verdanken war das Einlenken einer Initiative von Merkel. Sie hatte sich in Telefonaten mit Erdogan und dem griechischen Premier Kyriakos Mitsotakis um eine Entschärfung der Krise bemüht, auf deren Höhepunkt die beiden historisch verfeindeten Nato-Partner ihre Kriegsflotten mobilisiert hatten. Auf Merkels Initiative sollten die Regierungen in Athen und Ankara Verhandlungen über die Abgrenzung der Wirtschaftszonen aufnehmen.
Doch nun ist es schon wieder vorbei mit dem Moratorium. "Wir haben unsere Erkundungen ab sofort wieder aufgenommen", sagte Erdogan Ende vergangener Woche in der seit Kurzem wieder als Moschee genutzten Hagia Sophia in Istanbul. Verhandeln will er mit den Griechen nun nicht mehr: "Es gibt keinen Anlass für Diskussionen mit jenen, die überhaupt keine Rechte im Mittelmeer haben", sagte er.
Damit reagiert Erdogan auf ein tags zuvor in Kairo unterzeichnetes Abkommen, mit dem Griechenland und Ägypten nach 15-jährigen Verhandlungen eine Abgrenzung ihrer Wirtschaftszonen im Mittelmeer zwischen dem 26. und dem 28. Längengrad vereinbarten. Das griechisch-ägyptische Abkommen durchkreuzt eine Ende 2019 zwischen der Türkei und Libyen geschlossene Übereinkunft, mit der beide Länder einen Seekorridor im Mittelmeer untereinander aufteilten, ohne Rücksicht auf darin gelegene griechische Inseln wie Kreta, Kasos, Karpathos und Rhodos. Griechenland, die EU und die USA betrachten das Abkommen als völkerrechtswidrig.
Diplomaten in Athen erwarten, dass die Türkei ihre vor zwei Wochen auf Intervention Merkels zurückgestellten Erdgaserkundungen vor der griechischen Insel Kastelorizo jetzt wieder aufnehmen wird. Darauf deutet hin, dass die türkische Kriegsmarine für Montag und Dienstag Manöver mit scharfer Munition zwischen Kastelorizo und Rhodos ankündigt. Griechenland versetzte daraufhin am Wochenende seine Marine in erhöhte Alarmbereitschaft. Zugleich bekräftigte Athen aber Verhandlungsbereitschaft: "Wir sind zu Gesprächen noch im August bereit", unterstrich Regierungssprecher Stelios Petsas am Sonntag. Die griechisch-türkischen Verhandlungen sollten am 28. August beginnen.
Athen hat bereits den Ex-Diplomaten und früheren Geheimdienstchef Pavlos Apostolidis als Delegationschef benannt. Nach Erdogans Absage ist es aber unwahrscheinlich, dass die von Kanzlerin Merkel eingefädelten Gespräche überhaupt in Gang kommen. Auch die gemeinsame Mitgliedschaft im transatlantischen Verteidigungsbündnis Nato sorgt nicht für Ausgleich. Die Führungsmacht USA hat bislang keine Initiative übernommen, um den Konflikt zu schlichten.
Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis sagte, wenn Verhandlungen mit der Türkei nicht zu einer Einigung führten, sei Griechenland bereit, den Streit um die Wirtschaftszonen vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag schlichten zu lassen. Die Türkei lehnt das bisher ab. Sie erkennt die Seerechtskonvention der Vereinten Nationen, auf deren Grundlage Staaten ihre Ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ) abgrenzen, nicht an.
Die Türkei macht nicht nur Griechenland, sondern auch dem EU-Staat Zypern seine AWZ streitig. Für zusätzliche Komplikationen sorgt, dass die Türkei die Republik Zypern völkerrechtlich nicht anerkennt. Die Spannungen zwischen der Türkei und den EU-Staaten Griechenland sowie Zypern stehen auf der Tagesordnung des nächsten EU-Außenministertreffens am 27. und 28. August in Berlin. Auch ein EU-Sondergipfel am 24. und 25. September wird sich mit dem Thema Türkei beschäftigen.

Diplomatische Probleme

Ein Konflikt zwischen der Türkei und Griechenland bringt die Europäische Union in eine diplomatische Bredouille. Weil Griechenland und auch das ebenfalls betroffene Zypern EU-Mitglieder sind, müssen die anderen Staaten eigentlich geschlossen hinter ihnen stehen. Auf der anderen Seite hat die EU aber auch ein großes Interesse, den Draht nach Ankara nicht zu zerschneiden. Nicht nur das Flüchtlingsabkommen spielt dabei nur eine Rolle. Griechenland  und die Türkei hatten in den 70er-Jahren einen Stellvertreterkrieg auf Zypern geführt. 1974 dann wurde die Insel geteilt und seitdem etwa ein Drittel von türkischen Zyprioten regiert, der Rest von griechischen  Zyprioten. gwb