Der kleine blaue Wellensittich piepst aufgeregt, als ihn Eva Schüler aus dem Käfig holt. „Die Flügel sehen gut aus, aber der Schnabel ist zu lang“, sagt die Tierärztin. Mit geübten Handgriffen, beruhigenden Worten und einem kleinen Knipser stutzt sie Schnabel und auf ein gesundes Maß zurück.
„Sonst droht er von alleine einzureißen, was zu Schmerzen und Wunden führen kann“, erklärt die Medizinerin, bevor sie seine gelbgefiederte Gefährtin untersucht. Bei ihr sieht der Schnabel gut aus, sie hat allerdings eine relativ dicke Wachshaut. „Das könnte mit Leberproblemen zusammenhängen, die bei zu fett- und zuckerreicher Vogelnahrung auftreten“, erklärt die junge Veterinärmedizinerin.
Vögel sind bisher eher die Ausnahme in der Rex-Tierarztpraxis, die vor drei Monaten an der Hermannstraße in Berlin-Neukölln eröffnet hat. „Unsere Patienten sind zu über 90 Prozent Hunde und Katzen“, erklärt Gründer Jonathan Loesing. Der 31-jährige Start-up-Unternehmer will gemeinsam mit seinem Partner Julian Lechner in der deutschen Hauptstadt eine zukunftsweisende Tierarztkette aufbauen, die unter anderem mit digitalisierten Patientenakten und Telemedizin arbeitet, und sich alleine schon mit ihrem Ambiente von alteingesessenen Tierarztpraxen unterscheidet.
So gibt es unter anderem getrennte Wartezimmer für Hunde und Katzen. Aus einem Duftspender strömt Katzenminze, ein Geruch, den nur die Katzen wahrnehmen und der beruhigend auf sie wirkt.
Labor-Ergebnisse schon nach zwei Stunden
Für Hunde gibt es gesunde Leckerli aus Futterspendern. Neben dem geschwungenen holzverzierten Empfangstresen haben die Innenreinrichter ein Podium für Katzenboxen platziert. „Die Tiere mögen es nicht, wenn man sie ebenerdig abstellt“, erklärt Loesing, während er durch die modernen Räume führt, die sich über das Erdgeschoss eines Neubaus am U-Bahnhof Boddinstraße erstrecken.
Zu ihnen gehören auch Operationssäle, in denen unter anderem Tumore entfernt werden, ein eigenes Labor, durch das Tierhalter die Ergebnisse der Blut- und Urinproben schon nach ein bis zwei Stunden erfahren können, sowie ein Röntgenraum, in dem die Bilder gleich digitalisiert und per E-Mail weitergeleitet werden können.
Digitale Patientenakten für Hunde und Katzen
Digitalisierung ist dann auch das große Stichwort, das sich die Rex-Gründer auf die Fahnen geschrieben haben. Vor der ersten Praxiseröffnung 2021 in Berlin-Friedenau arbeitete Loesing drei Jahre lang als Unternehmensberater der Firma McKinsey für das Gesundheitswesen. Dabei wurde ihm schnell klar, wie schwerfällig die Digitalisierung in der Humanmedizin voranschreitet, unter anderem wegen gesetzlicher Datenschutzvorgaben.
Doch Online-Akten für Tiere anzulegen, die von allen Ärzten sowie von den Kunden selbst eingesehen werden können, sei dagegen kein Problem, da Tiere keine Persönlichkeitsrechte haben, erklärt der Gründer.
Für die Patienten sowie für Frauchen und Herrchen kann die Digitalisierung aber durchaus große Vorteile haben, glaubt der Start-Up-Unternehmer. Die Kunden bekommen bei Rex einen eigenen Account, über den sie bequem und zeitnah Termine online buchen. Impferinnerungen können sie per Push-Nachricht auf das Handy bekommen. Wenn das Tier schon mal in der Praxis vorstellig war und es um das selbe Leiden oder die Nachsorge geht, können die Tierärzte auch per Video-Sprechstunde weiterhelfen. Abgerechnet wird wie in normalen Tierarztpraxen nach einem allgemeingültigen Gebührenkatalog.
Tierarztpraxis ist auch am Sonnabend geöffnet
Dafür bleibt in der Rex-Praxis das Dauer-Telefonklingeln aus, das nicht nur bei Tieren, sondern auch bei mancher Arzthelferin für Stress sorgen kann. Längere Wartezeiten fallen weg. Die Öffnungszeiten - Montag bis Sonnabend von 8 bis 20 Uhr – sind Arbeitnehmer freundlich. Die Nachfrage ist so groß, dass die Gründer schon im Oktober ihre dritte Filiale in Friedrichshain in der Nähe des RAW-Geländes eröffnen. „Wir schauen uns auch schon nach einem vierten Standort um, vielleicht noch weiter Richtung Osten, oder auch im Norden Berlins sind wir ja noch nicht vertreten“, sagt Loesing.
Langfristig wolle man sogar über die Stadtgrenzen hinauswachsen. Das Geld dafür kommt unter anderem vom Wagniskapitalinvestor Vorwerk Ventures, der in der ersten Finanzierungsrunde fünf Millionen Euro locker machte.
Denn das Kunden-Potenzial ist da. Laut Zentralverband Zoologischer Fachbetriebe hat sich die Anzahl der Hunde und Katzen in Deutschland in den vergangenen Jahren auf 34,4 Millionen verdoppelt. Die Einsamkeit während Corona sowie die Möglichkeiten des Homeoffice sorgten zusätzlich für einen Haustierboom. „In Berlin sind die allermeisten Haustierbesitzer zwischen 25 und 40 Jahren alt“, erklärt Loesing. Diese urbanen Millennials sind genau die Zielgruppe, die er im Blick hatte, als er sein Start-Up gründete.
Zu diesen um die Jahrtausendwende Geborenen gehören auch Rüya Kaya und ihr Bruder, die ihre zwei Wellensittiche zum ersten Mal in der neuen Rex-Praxis durchchecken lassen. „Wir waren noch nie beim Tierarzt und haben die Praxis eher zufällig entdeckt“, erzählt die 23-Jährige, die sich Sorgen machte, weil einer ihrer Vögel plötzlich keinen Salat mehr aufpicken konnte.
Tipps zur richtige Tierpflege
Die Tipps, die ihr die Tierärztin in Sachen Ernährung und Haltung nach der Untersuchung noch aufschreibt, damit sie nicht allzu oft zum Schnabelstutzen kommen muss, nimmt die junge Berlinerin dankend an. Sie werden auch nochmal per E-Mail nachgereicht und natürlich in der digitalen Patientenakte notiert.