„Mein Grundgefühl war eigentlich Angst. Angst und Ohnmacht“, sagt Hendrik Bolz über seine Jugend in Ostdeutschland. Der Rapper und Autor („Nullerjahre“), Jahrgang 1988, ist in Leipzig geboren und in Stralsund aufgewachsen.
Gesprühte Hakenkreuze an Hauswänden, Hitlergrüße in der Jugenddisco und Schlägereien gehörten zum Alltag. Erst Jahre später begriff Bolz, dass diese „permanente Bedrohungslage“ nicht normal war. Sie war ein Ausnahmezustand.
Die Wende hinterlässt tiefe Furchen
Ihn kennen auch die sechs anderen Protagonistinnen und Protagonisten der MDR-Doku „Generation Crash – Wir Ost-Millennials“. Den Mauerfall erleben sie als Kleinkinder kaum bewusst. Trotzdem prägt sie der Osten. Die Perspektivlosigkeit, der Frust, die Wut der Wendejahre hinterlassen tiefe Furchen in ihren Biografien. Aller individuellen Unterschiede zum Trotz.
„Generation Crash“ richtet den Blick auf die gesellschaftlichen Verwerfungen nach der friedlichen Revolution. Anders als in unzähligen DDR-Dokus vor ihr, geht es ihr aber nicht um politische Entscheidungsträger, sondern um die emotionale Erfahrungswelt jener, die in diese Verwerfungen erwachsen wurden.
Mit den Kindern sprach keiner über die gefühlte Ohnmacht
Der Ausverkauf der ostdeutschen Industrie durch die Treuhand etwa. Wo einst Arbeitsplätze für Zehntausende war, blieb plötzlich nur noch Konkursmasse. Viele, die sich in der Arbeitslosigkeit wiederfanden, ereilte damals das Gefühl, nichts wert zu sein. So weit, so bekannt. Weniger bekannt ist, dass über die omnipräsente Ohnmacht, die Verzweiflung mit den eigenen Kindern oder Großkindern kaum gesprochen wurde.
So jedenfalls schildert es die in Jena geborenen Politologin Anna Stiede. Sie erlebte den „Crash“ in Apolda, der einstigen Textilmetropole. Zwar nahm sie die Stimmung von damals sehr wohl wahr. Dass sie mit dem Wegfall von Arbeitsplätzen und Identitäten zusammenhing, verstand sie aber erst Jahre später. Reflexion im Rückblick. Allein. Denn gefragt, was passierte, nachdem die DDR aufgehört hat zu existieren, sagte Stiede, habe damals niemand.
Zuflucht in Subkulturen und Musik
Einen Umgang mit den Gefahren und der gefühlten Aussichtslosigkeit, die die eigene Lebenswelt dominierten, mussten die Kinder häufig selbst finden. Zuflucht boten vielen Ost-Millennials Subkultur und Musik. „Punkrock hat mir das Leben gerettet“, sagt etwa die Soziologin Katharina Warda, die als Person of Color in Wernigerode immer wieder mit Rassismus konfrontiert war. Auch der aufkommende deutsche Gangster-Rap holte viele Jugendliche damals ab.
Rapper wie Sido lieferten mit ihren rauen Texten ein Identifikationsangebot für jene, die ein Ventil für ihre Wut brauchten, aber sich nicht den Nazi-Banden anschließen wollten. Hendrik Bolz war einer von ihnen. Auch Andy Zirnstein, der 1988 als Sohn einer Deutschen und eines Vietnamesen geboren wurde, fühlte sich im Hip-Hop weniger fremd als in Großröhrsdorf bei Bautzen, wo er aufwuchs. Auch er ist heute als „Der Asiate“ mit eigener Rapmusik erfolgreich.
„Hier ist einfach nichts zu holen“
Dennoch trieben fehlende Perspektiven die Ost-Millenials oft aus dem Heimatort. „Es war eigentlich relativ früh schon klar in den Nullerjahren: Hier muss ich weg. Hier ist einfach nichts zu holen“, erinnert sich Anna Stiede. Dass die porträtierten Zeitzeugen, die einst mit ihren Gefühlen allein gelassenen wurden, trotzdem einen Weg aus der Ohnmacht fanden, auch davon erzählt der Film. Ganz zurücklassen können sie den Osten und die 90er aber trotzdem nicht. Sie alle setzen sich noch Jahre später mit ihm auseinander, sei es künstlerisch oder wissenschaftlich.
Regisseur Nils Werner, Anfang der 1970er in Thüringen aufgewachsen, richtet seine Kamera auf die, die zu lange mit ihren gelebten Erfahrungen allein gelassen wurden. Am steht eine Collage über eine Zeit, die im kollektiven Gedächtnis noch immer ein sträflich weißer Fleck ist. Die gezeigten Ost-Millenials haben sich mit ihr auseinandergesetzt. Zeit, dass dies auch andere tun.
Beide Teile von „Generation Crash – Wir Ost-Millennials“ sind in der ARD Mediathek abrufbar. Die TV-Ausstrahlung ist im Oktober geplant.