Es spricht Bände, dass einige der bekanntesten Bilder der DDR-Geschichte gar nicht auf dem Boden des sozialistischen Staates entstanden sind: Barbara Klemms Aufnahmen von Wolf Biermanns Konzert am 13. November 1976 in der Kölner Sporthalle sind ein Stück Zeitgeschichte. Sie dokumentieren einen entfesselten Barden: Biermann wild gestikulierend, Grimassen schneidend, die Bühne mit seiner Gitarre abschreitend. Ein Energiebündel.
Und das ist angesichts der Jahre, während derer Wolf Biermann zum inneren Exil in seiner Berliner Wohnung verdammt war, eine echte Überraschung. Ein buchstäblicher Befreiungsschlag. Allerdings ein ambivalenter Befreiungsschlag, wie sich zeigen sollte. Denn auf das Konzert folgte die zwangsweise Ausbürgerung des Liedermachers aus der DDR.
05.07.2023, Berlin: Ein Umlauf-Karteigerät Typ KG II für Kartei F 16 (Gotha 1981) aus dem Besitz der Staatssicherheit ist in der Ausstellung «Wolf Biermann. Ein Lyriker und Liedermacher in Deutschland» zu sehen. Rechts Biermanns Tagebücher. Die Ausstellung ist von 07.07.2023 bis zum 14.01.2024 in Berlin zu sehen.
05.07.2023, Berlin: Ein Umlauf-Karteigerät Typ KG II für Kartei F 16 (Gotha 1981) aus dem Besitz der Staatssicherheit ist in der Ausstellung «Wolf Biermann. Ein Lyriker und Liedermacher in Deutschland» zu sehen. Rechts Biermanns Tagebücher. Die Ausstellung ist von 07.07.2023 bis zum 14.01.2024 in Berlin zu sehen.
© Foto: Gerd Roth/dpa
Die Ausstellung „Wolf Biermann. Ein Lyriker und Liedermacher in Deutschland“ im Deutschen Historischen Museum (DHM) kreist um dieses Konzertereignis, das für manche Historiker den Anfang vom Ende der DDR markiert. Denn mit den Solidaritätsbekundungen etlicher DDR-Kunstschaffender, die einen Protestbrief an die DDR-Führung unterzeichneten, hatten die Adressaten kaum gerechnet.
Die Schau vereint Tagebücher, Ton- und Videoaufnahmen, Plakate, Zeitungsberichte, Musikinstrumente und persönliche Objekte. Vieles stammt aus dem Vorlass Biermanns, der in der Berliner Staatsbibliothek lagert, aber auch aus den Beständen des DHM. Wie DHM-Präsident Raphael Gross beim Pressetermin am Mittwoch mitteilte, habe der Liedermacher zudem Gegenstände aus seinem Privatbesitz zur Verfügung gestellt. Wohl wissend, dass es „keine Ausstellung von oder für, sondern eine über Wolf Biermann“ werden würde.
Wolf Biermann 1976 in der Sporthalle Köln, auf das hin die DDR mit der Ausbürgerung des Liedermachers reagierte.
Wolf Biermann 1976 in der Sporthalle Köln, auf das hin die DDR mit der Ausbürgerung des Liedermachers reagierte.
© Foto: Barbara Klemm

Inneres Exil und Oppositionellen-Treff in der Chausseestraße 131

Elf Jahre lang hatte der 1936 geborene Biermann vor seinem Kölner Konzert nicht auftreten dürfen. In seiner Wohnung in der Chausseestraße 131 in Berlin-Mitte hatte er seine Musik eingespielt, die dann als Schmuggelware ausschließlich im Westen veröffentlicht worden ist. Mit Hintergrundgeräuschen von der Trambahn, die unter seinem Fenster vorbeiratterte. In seiner Altbauwohnung hatte Biermann Intellektuelle und Kunstschaffende wie Günter Grass und Joan Baez empfangen. Das alles unter den Augen und Ohren der Staatssicherheit, die Biermann auf Schritt und Tritt verfolgte.
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Kultur in der DDR
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Der Liedermacher war zu bekannt und zu beliebt, um ihn einfach hinter Gittern verschwinden zu lassen. Noch dazu genoss er als Sohn eines Kommunisten und Juden, der 1943 in Auschwitz ermordet worden war, in der DDR einen gewissen Schutz. In Wahrheit ist das Verhältnis Biermanns zum SED-Staat aber noch ein wenig komplexer gewesen. Margot Honecker hatte den Liedermacher in mehreren persönlichen Gesprächen umworben. Der Staat hätte sich gerne mit diesem Poeten geschmückt, der das beherrschte, was man sich ersehnte: volkstümliche Liedkunst mit sozialistischen Inhalten. Noch dazu Bühnencharisma im Überfluss.
Biermann aber nutzte jede Gelegenheit, nutzte jeden Auftritt, um sogleich Kontroverses über den sozialistischen Staat zu äußern, dem er sich idealistisch verbunden fühlte, dessen politische Praxis samt Zensur ihn aber abstieß. Die angebotene Karriere als Staatskünstler ersten Ranges schlug der selbstbewusste junge Poet in den Wind, und textete lieber aufrührerische Lieder wie „Ermutigung“ oder „Warte nicht auf bessre Zeiten“.
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Ein Enfant terrible. Ein Politikum. Gleich im Eingangsbereich der Schau liefern die Ausstellungsmacher um Kuratorin Monika Boll eine Erklärung für Biermanns herausgehobene Bedeutung: „In einem Staat ohne freie Medien übernahm der Kulturbereich die Funktion des öffentlichen Raums.“

Musiker und Dichter, trotz allem

Eine Kehrseite des Biermann-Skandales: Es ist heute schwer, einfach nur über Wolf Biermanns lyrisches und musikalisches Werk zu reden, losgelöst von der Politik. Hätte sein Schaffen ohne den historischen Kontext überhaupt eine vergleichbare Wirkung entfalten können? Die Schau geht auch dieser Frage nach. Einer von acht Themenbereiche versammelt Biermanns Instrumente, seine Plattencover und Stimmen von Kritikern.
05.07.2023, Berlin: Ein Plakat mit einer Ankündigung eines Auftritts des Lyrikers und Liedermachers Wolf Biermann von 1963 in der Ausstellung «Wolf Biermann. Ein Lyriker und Liedermacher in Deutschland». Die Ausstellung ist von 07.07.2023 bis zum 14.01.2024 in Berlin zu sehen.
05.07.2023, Berlin: Ein Plakat mit einer Ankündigung eines Auftritts des Lyrikers und Liedermachers Wolf Biermann von 1963 in der Ausstellung «Wolf Biermann. Ein Lyriker und Liedermacher in Deutschland». Die Ausstellung ist von 07.07.2023 bis zum 14.01.2024 in Berlin zu sehen.
© Foto: Gerd Roth/dpa
Die Wände dieses Segments sind geformt wie die Zargen einer Gitarre; dennoch liegt der Schwerpunkt auf einer Analyse der Texte. Dabei wäre auch die Musik es Wert gewesen, sich damit zu beschäftigen: Der Autodidakt Biermann hat eine unverwechselbare Art, die Gitarre zu zupfen, und er nimmt oft harmonische Anleihen beim osteuropäischen Volkslied. Wer mehr darüber erfahren möchte, kann es im Ausstellungskatalog nachlesen.
Ausstellung „Wolf Biermann. Ein Lyriker und Liedermacher in Deutschland“, bis 14.1.2024, täglich 10–18 Uhr, Do 10–20 Uhr, Deutsches Historisches Museum, Pei-Bau, Hinter dem Gießhaus 3, Berlin-Mitte, www.dhm.de

Die Ausbürgerung Wolf Biermanns im November 1976

Nach elf Jahren Auftrittsverbot erhielt Wolf Biermann im Herbst 1976 die Genehmigung zu einer Konzertreise durch die BRD. Organisiert hat diese Tournee die Gewerkschaft IG Metall. Sie sollte den Liedermacher in einige der größten Konzerthallen Westdeutschlands führen. Allein zu dem Konzert am 13. November in der Kölner Sporthalle kamen – je nach Quelle – 7000 bis 8000 Gäste. Drei Tage danach folgte der Paukenschlag: Das Politbüro der SED beschloss am 16. November, Wolf Biermann wegen seiner scharfen Kritik die Staatsbürgerschaft abzuerkennen und ihn nicht wieder einreisen zu lassen. Biermann nahm seinen Wohnsitz in seiner Heimatstadt Hamburg; sein Hab und Gut wurde ihm in Kisten nachgesendet.