Vor einem Jahr überfiel Russland die Ukraine und stürzte ein ganzes Land ins Verderben. Seitdem vergeht kein Tag, an dem der Krieg in der Ukraine nicht in den Medien verhandelt wird: Man sieht täglich Ansprachen des ukrainischen Präsidenten Selenskyj, die Not der Zivilbevölkerung und die allgegenwärtige Zerstörung.
Auf diese Aktualität muss auch ein internationales Festival, zumal ein so politisches wie die Berlinale, reagieren. Mit Sean Penn und seinem Film „Superpower“ (Berlinale Special) hat sie bereits in den ersten Tagen einen populären Fürsprecher der ukrainischen Sache eingeladen. Doch auch andere Sektionen des Festivals bieten Filme verschiedenster Genres über die oder aus der Ukraine – mit unterschiedlichen Schwerpunkten.

Das Drama um Passagierflugzeug MH17

Hierzulande vergisst man allzu häufig, dass die Donbass-Region in der östlichen Ukraine bereits seit 2014 unter einem bewaffneten Konflikt mit pro-russischen Separatisten leidet. Dort kam es zu Beginn der Auseinandersetzungen zu einem folgenschweren Ereignis: Ein Passagierflugzeug aus Amsterdam in Richtung Kuala Lumpur stürzte im Juli 2014 ab, alle 298 Insassen des malaysischen Flugs MH17 kamen dabei ums Leben.
Zeugen des Absturzes: "Iron Butterflies" rekonstruiert den Abschuss der Passagiermaschine MH17
Zeugen des Absturzes: "Iron Butterflies" rekonstruiert den Abschuss der Passagiermaschine MH17
© Foto: Babylon 13
Der Dokumentarfilm „Iron Butterflies“ (Sektion Panorama) von Roman Liubyi rollt den Fall noch einmal auf. Indem er diverse Medien (Nachrichten, Privatvideos, gestellte Szenen) verwendet, fügen sich die einzelnen Bausteine der Katastrophe zu einem großen Ganzen zusammen. Mittlerweile gilt es nach den Ergebnissen internationaler Untersuchungen als erwiesen, dass die MH17 durch eine BUK-Rakete russischen Typus abgeschossen wurde.
Der Film zeigt, wie russische Medien eine konzertierte Anti-Aufklärungs- und Propagandakampagne gegen diese Erkenntnisse führen und mit vermeintlichen Experimenten und Experten abstruse alternative Fakten konstruieren. Stilistisch ist der Film nicht immer kohärent, und zuweilen schießt Regisseur Liubyi auch übers Ziel hinaus. Mysteriös anmutende inszenierte Schwarzweiß-Szenen zeigen Söldner, die Zivilisten belästigen und spielen so auch auf den 2022 ausgebrochenen Krieg an, der mit Bildern von Kyjiw unter Beschuss endet.

Alltag in Kriegszeiten in „W Ukrainie“

Die beiden polnischen Regisseure Piotr Pawlus und Tomasz Wolski berichten dagegen vom Jetzt. Für ihren herausragenden Dokumentarfilm „W Ukrainie“ (Forum) sind sie quer durch die Ukraine gereist und haben dokumentiert, was der Krieg im Land angerichtet hat. Die russische Aggression hat Städte, Dörfer und Infrastruktur verwüstet, Menschen vertrieben und obdachlos gemacht. Ohne Kommentare zeigt der Film in langen, aussagekräftigen Einstellungen, wie ukrainische Menschen sich der Not stellen, sich gegenseitig helfen oder helfen lassen. Momentaufnahmen reihen sich aneinander: Neubausiedlungen mit ausgebrannten Etagen als Folge von Raketeneinschlägen, Panzersperren auf Straßen, hungrige Menschen, die Schlange stehen, wenn Zivilpersonen oder Hilfsorganisationen Essen verteilen, eine zur Schlafstätte umgewandelte Kyjiwer Metrostation.
Sicherungsmaßnahmen im Dokumentarfilm "W Ukrainie"
Sicherungsmaßnahmen im Dokumentarfilm "W Ukrainie"
© Foto: Piotr Pawlus
Dennoch geht nach der Zerstörung das Leben weiter: Kinder schaukeln vor ausgebrannten und ausgebombten Hochhaussiedlungen oder spielen in Dörfern Krieg, Bewohner vernageln ihre Fenster notdürftig mit Sperrholzplatten. Viele Szenen haben fast etwas Beiläufiges, der Film setzt einiges Wissen der Zuschauer voraus. Das sowjetische Erbe der Ukraine ist auch in Straßennamen wie „Straße der Völkerfreundschaft“ zu erkennen, deren Benennung nun einen bitteren Beigeschmack hat.

Eine Jugend in der Ukraine des Jahres 1990

In der noch sozialistischen Sowjetrepublik Ukraine des Jahres 1990 spielt dagegen der ukrainische Spielfilm „Do you love me“ (Panorama) von Tonia Noyabrova. Die extrovertierte 17-jährige Kira (Karyna Khymchuk) will Schauspielerin werden. Voller Freude schaut sie auf das Leben, das vor ihr liegt, lässt sich jedoch bald zu einem dramatischen autoaggressiven Akt hinreißen. Immerhin lernt sie dadurch ihren ersten Freund und die Liebe kennen. Das tröstet sie über die Schattenseiten ihres Landes hinweg, in dem nicht nur die Wohnsituation in Komunalkas (Gemeinschaftswohungen) desolat ist, sondern auch die Versorgungslage.
Kira (Karyna Khymchuk) in "Ty mene lubysh?" (Do you love me?)
Kira (Karyna Khymchuk) in "Ty mene lubysh?" (Do you love me?)
© Foto: Family Production
Die junge Heldin bewegt sich in einer Welt zwischen privatem und politischem Umbruch: Kira wird nicht mehr die unschuldige Jugendliche von einst sein und die Sowjetunion auseinanderfallen. Insofern besitzt der Film eine brisante Aktualität. Er zeigt indirekt die Ursachen für den heutigen Konflikt auf – das Streben Russlands nach alter imperialistischer Stärke – und schildert doch eine Welt, in der die Häuser und Straßen zum Teil zwar marode, aber intakt waren und wenigstens die Hoffnung auf einen Neuanfang in den Herzen der jungen Generation herrschte.
Alles zur Berlinale finden Sie auf unserer Berlinale-Themenseite.