Das Radio lebt! Unzählige Male wurde der Hörfunk schon für tot erklärt, doch in Berlin gibt er sich maximal vital. Dort lud der Lokalsender Berliner Rundfunk 91.4 am Samstag zum 18. Mal zum Open Air in die Parkbühne Wuhlheide. Und knapp 12.000 Hörerinnen und Hörer ließen sich nicht zweimal bitten. Gemeinsam feierten sie eine Sommer-Sause, die vor 80er und 90er-Sounds nur so strotze. Mit Acts wie Chris Norman, Lou Bega und der Münchner Freiheit gaben sich Stars die Ehre, deren Musik vielleicht nicht mehr in Heavy dafür in ewiger Rotation aus den Hitradio-Lautsprechern drängt. Die UKW-Veteranen zeigten, dass ihr Liedgut durchaus Bühnentauglichkeit aufweist. Wer hätte das gedacht?
„Hitradio“ – mehr als nur Selbstbezeichnung
Für einige mögen Songs wie „Country Roads“ oder „Mambo No. 5“ nur fiese Ohrwürmer sein, diffuse musikalische Erinnerungen, die wahlweise als Hintergrundrauschen im Auto oder bei Grillfesten angeheirateter Familie lästige Aufrischung erfahren. Nicht so für das Publikum am Samstagabend in Köpenick.
Schon der Auftritt der Münchner Freiheit, die das Open Air eröffnete, ließ keinen Zweifel: Die wollen das. Die wollen das hier wirklich! Ist der Begriff „Hitradio“ also doch mehr als nur wohlwollende Selbstzuschreibung? Frontmann Tim Wilhelm immerhin war es ein Leichtes, die Parkbühne auf Betriebstemperatur zu bringen. Textsicher stimmte das Freiluft-Halbrund in den Refrain zur Powerballade „Ohne dich (schlaf ich heut Nacht nicht ein)“ mit ein. Die extra Schippe gute Laune, die sonst nur Morgenradio-Moderatoren zu eigen ist, das Publikum an diesem Samstag teilte sie vollkommen – und übersetzte es in euphorisches Klatschen, Stampfen und Jubeln.
Ein Festival wie ein Familienfest
Es mag einfach sein, die Nase über ein Festival zu rümpfen, auf dem Songs wie „Whatever Will Be, Will Be (Que Sera Sera)“, „Football is Coming Home“ – beide Hermes House Band –, oder der Flashdance-Titeltrack „Maniac“ (interpretiert von Sydney Youngblood) performt werden. Doch die Wuhlheide brannte an diesem Samstag mit einer derart ausgelassenen wie ansteckenden Party-Stimmung, dass selbst dem eitelsten Musik-Snob mehr als nur ein Fuß-Wippen abgerungen wurde. Auch wer dachte, es würden nur betagte Vollblut-Almans den heimischen Steingarten hinter sich lassen, wurde eines Besseren belehrt. Junge Paare, Freundes-Gruppen, Eltern mit ihren Kleinen, Eltern mit ihren Großen, und mitunter sogar Oma und Opa feierten mit.
Bindungskraft auch in Zeiten von Spotify
Nimmt man das eigens organisierte Festival als Grundlage, scheint sich der Berliner Lokalsender jedenfalls keine Sorgen über eine überalterte Hörerschaft machen zu müssen. Doch nicht nur der Demografie wegen hatte das Berliner Rundfunk Open Air viel von einem Familienfest. Die Bindungskraft des linearen Radios, sie ist offenbar auch im Zeitalter der Podcasts und Spotify noch groß genug. Man kannte sich. Radio-Moderatorin Simone Panteleit, die selbst im Publikum mittanzte, musste jedenfalls für reichlich Selfies mit Fans bereitstehen. Auch andere Moderatoren des Senders, die zwischen den Musik-Acts das Publikum mit Quizzen, T-Shirt-Kanonen und anderen Aktionen bespaßten, durften sich nicht über mangelnden Applaus beschweren.
Dabei immer auch Thema: Berlin. Die lokale Folklore war stark auf dem Rundunk Open Air. Stark genug, dass sogar die frisch gebackenen Eishockey-Meister von den Eisbären einen kurzen Auftritt mit silberglänzendem Pokal hatten.
Sogar ein NDW-Spezial mit alten Bekannten gab es
Im Vordergrund stand aber stets die Musik. Egal ob Neue Deutsche Welle-Spezial mit Alexander Kerbst als Falco, UKW oder Geier Sturzflug, die ihren Hit „Bruttospozialprodukt“ mit einer unkaputtbaren Emphase spielten, als wären sie nicht schon 40 Jahre damit unterwegs – viele hielt es bei bestem Wetter schon vor Sonnenuntergang nicht mehr auf den grauen Bankreihen.
Auch die Entscheidung Lou Begas, seinen 1999 erschienenen Mega-Hit „Mambo No. 5“ in einem ohnehin kompakten Set gleich zweimal zu singen, nahm man in der Wuhlheide dankend an. Gleiches galt auch für die Songs, die zwischen den Auftritten vom Band liefen. „Tausend mal berührt“, „We Will Rock You“ und ähnlich ansteckende Ohrwürmer – keine Gelegenheit zum Mitsingen wurde liegen gelassen.
Höhepunkt des Abends war aber zweifelsohne Sänger Chris Norman. Der 71-Jährige mit der rauchigen Stimme, der einst als Mitglied der britischen Rockband Smokie weltberühmt wurde, lieferte mit seinem Mix aus Pop, Rock und Country die ideale musikalische Abrundung für ein Publikum, das sich in den Stunden davor regelrecht verausgabte. Für ein beigeisterungsgeladenes „Alice, who the f*** is Alice?“ – jener legendären Mitgröhl-Zeile des Smokie-Hits „Living Next Door to Alice“ – reichte es aber allemal noch.
Den Schlusspunkt des stimmungsvollen 18. Berliner Rundfunk Open Airs setzte schließlich ein Höhenfeuerwerk, das den Himmel über der Wuhlheide in bunte Farben hüllte. So gab es bei aller Radio-Verbundenheit also auch noch etwas für die Augen.
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