Ein Mann und eine Frau flüchten aus Odessa in der heutigen Ukraine vor dem Krieg, 1902 und 1905. Sie sind zwei unter zwei Millionen. Nach einer langen Reise kommen sie in Duluth, Minnesota, Vereinigte Staaten an. Ihr Enkel heißt Robert Allen Zimmermann, Künstlername Bob Dylan.
Dylan, dessen musikalische Laufbahn wie kaum eine andere die Höhen und Tiefen der 20. Jahrhunderte widerspiegelt, ist am Mittwoch Abend im Berliner Verti Music Hall im Livekonzert zu erleben. Weitere Termine gibt es am Donnerstag, 6. Oktober und Freitag, 7. Oktober.
Die aktuellen Konzerte finden im Rahmen von Dylans „Rough and Rowdy Ways Tour“ statt. Die Tournee soll bis 2024 laufen und ist nach seinem im April 2020 erschienen Album benannt. Übersetzt heißt der Titel „beschwerliche und rüpelige Wege“. Die Platte ist die erste seit „Tempest“ von 2012, die neue, selbstgeschriebene Lieder beinhaltet.
1987 spielte Dylan im Treptower Park
Dylan ist kein Fremder für das Publikum in Berlin und Brandenburg. Im September 1987 spielte er ein Konzert im Treptower Park im damaligen Ostberlin. 81.000 Karten werden verkauft. Damals schon nannte ihn das Ministerium für Staatsicherheit der DDR „den sogenannten Altmeister des Rock“. Die Stasi ging davon aus, dass „ältere Jugendliche und Menschen mittleren Alters“ sein Konzert besuchen.
Das Publikum an diesem Mittwoch Abend ist deutlich vielfältiger – sowohl Kinder als Rentner sind dabei – wenn auch etwas kleiner mit rund 4.250 Konzertgängern. Hier ist allerdings kein Dylan der 1960er Jahre zu erleben, wie gerade die älteren Zuhörer – auch ich, für den diese Klassiker eine Art Hintergrundmusik zur amerikanischen Kindheit waren – Dylan am besten kennen. Mit wenig Ausnahmen spielen Dylan und seine fünfköpfige Band am Mittwoch Abend Songs aus der aktuellen Platte „Rough and Rowdy Ways“.
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Die neuen Lieder sind schön, schlicht, und klar. Hier zeigt Dylan sein Talent für Lyrik, mit dem er den Literaturnobelpreis 2016 gewonnen hat. Witzig, direkt, und uneingebildet-gebildet sind die neuen Liedtexte. Seine Stimme, noch nie einfach schön, hat zwar mit den Jahren an Biegsamkeit verloren, behält aber trotzdem ihren sonderbaren Ausdruck.
Seine Band spielt mit höchster Präzision. Die Musiker wechseln immer wieder ihre Instrumente: Vor allem der Kontrabass und die Geige bieten eine tolle Abwechselung zu den E-Gitarren. Allerdings macht es bekanntlich die Mischung, und die Lieder im Konzert sind einander ziemlich ähnlich. Auch wenn jeder Song für sich gut ist, fehlen teilweise die Höhen und Tiefen innerhalb des zweistündigen Abends. Außerdem gibt es kaum richtige Ohrwürmer.
Weil Dylan heute 81 Jahre alt ist, ist die Versuchung groß, die „Rough and Rowdy Ways“-Tournee als eine Art Zusammenfassung und Verabschiedung zu verstehen, auch die Texte befassen sich häufig mit dem Tod. Aber Dylan selber möchte eindeutig noch nicht zurückblicken. Dieses Konzert bietet nur eine Momentaufnahme seiner sich immer noch entwickelnden musikalischen Arbeit. Als Künstler ist er ständig im Wandel, wie die bewegten letzten 60 Jahren, seit denen er spielt.
Nach dem Konzert spreche ich mit Andrej, einem Berliner mit ukrainischen Wurzeln. Er war 2012 bei Dylans Konzert in der Zitadelle Spandau und fand es enttäuschend, weil er Dylans frühe Lieder erwartet hatte und nicht wusste, was auf ihn zukommt. An diesem Mittwoch Abend ist er glücklicher, er hat seine Erwartungen angepasst. „Ich kann es gar nicht in Worte fassen, aber die Musik habe ich gespürt“, sagt er. „Besser geht’s nicht.“
Dylans Großeltern haben ihre große Reise am Anfang des 20. Jahrhunderts beendet. Dylans musikalische Reise hat nicht aufgehört, er geht immer noch seinen Weg.
Die aktuelle Tour
Weitere Deutschland-Konzerte gibt es am 6. und 7. 10. in Berlin und am 9.10. in Krefeld. Die Konzerte sind ausverkauft. Die Zuhörerinnen und Zuhörer müssen ihre Handys an in verschließbaren Taschen deponieren, fotografieren ist nicht erlaubt.