Alte Computerbildschirme und Kabel, zerbeulte Fässer und gebrauchte Pappkartons, ein Grammophontrichter und sogar ein kompletter zerstörter Hubschrauber – es ist ausgedientes Alltagsmaterial oder auch einfach Schrott, was Fritz Bornstück zum Gegenstand seiner Bilder macht. In oft großformatigen Stillleben bannt oder besser inszeniert er diesen Zivilisationsmüll, meist inmitten sprießender, üppig blühender Vegetation.
„Von Gegensätzen lebt die Kunst“, sagt Bornstück, während er im Overall durch sein Atelier führt. An den Wänden hängen Gemälde in allen Stadien des Malprozesses. Gerade ist er an der Vorbereitung einer Soloshow mit dem Artbeitstitel „Entropical Paradise“, die Ende Oktober bei Galerie Maïa Muller in Paris eröffnen wird.
Beobachtungen bei Spaziergängen durch die Märkische Schweiz
Einerseits speist sich sein Werk aus der Faszination an malerischen Stimmungen und Bildtiefen, die romantische Landschaftsmalerei anklingen lassen, erklärt er und berichtet von Naturbeobachtungen auf Spaziergängen, die er durch die Region seines Arbeitsrefugiums – die Märkische Schweiz – unternimmt. Da wird sein Blick auch schon einmal durch den Anblick eines seltenen Vogels gebannt – ein Motiv, das dann ebenfalls Eingang in seine Malerei findet. Auf der anderen Seite aber sind da Überreste von Popkultur, die einen Motivkomplex mit wiederkehrenden Elementen bilden. Und so schafft der Künstler mit seinen Leinwänden und Keramiken weitreichende Verflechtungen von Verweisen aus und auf Malereigeschichte, Science-Fiction-Filmen, Popmusik und Gegenkultur.
Wer Kunst schafft, die so unumwunden ihren Charakter als Teil der Stillleben-Tradition zu erkennen gibt, verweist damit unweigerlich auf den barocken Vanitas-Gedanken. Die Vergänglichkeit allen irdischen Lebens wird von den Alten Meistern üblicherweise durch die Beigabe von Objekten veranschaulicht, die nur allzu bald dem Verfall preisgegeben sind – reifes Obst oder menschliche Schädel. Fritz Bornstück liefert dazu nun quasi eine Gegenthese: Die sprießende Vegetation erweist sich hier als beständiger und kraftvoller gegenüber den von Menschenhand hergestellten Gegenständen. Die Natur erobert sich ihren Lebensraum zurück. Interessant ist in diesem Zusammenhang Bornstücks Gemäldeserie „Betonknacker“: Zarte, aber farbenfroh blühende Pflanzen wie die Orchidee bahnen sich da machtvoll ihren Weg durch eine graue Betondecke. Unter dem Pflaster liegt der Strand.
Es ist vielleicht ein bisschen kurzschlüssig, diese Deutung mit Fritz Bornstücks Lebensumständen in Verbindung zu bringen. Passen würde das aber trotzdem ganz gut: Vor vier Jahren ist der gebürtige Hesse, Jahrgang 1982, mit seiner Partnerin von Berlin-Neukölln in die Märkische Schweiz gezogen, zumindest in Teilzeit. In dem kleinen Dorf Altfriedland haben sie ein leerstehendes Haus gefunden. Es ist der ehemalige Gasthof „Zur Wende“, in dessen Saal Bornstück sich ein geräumiges Atelier eingerichtet hat. Statt großer Atelierfenster gibt es an der Decke LED-Röhren mit Vollspektrum-Licht. Und ohnehin ganz viel Ruhe für die konzentrierte Arbeit an seinen Bildern und Plastiken.
Die ehemalige Gaststätte beherbergt auch Ukrainer
Mit der Formel „Standbein – Spielbein“ umschreibt Bornstück die Aufteilung seiner beiden Lebensorte Berlin-Neukölln und Altfriedland, wobei sich das Verhältnis während der Corona-Pandemie zunehmend in Richtung Altfriedland verschoben habe. „Etwa 50 zu 50“ teile er seine Zeit derzeit auf. Wenn er sich in Berlin aufhält, dann taucht er natürlich in das kulturelle Leben dort ein. Ausstellungen und Eröffnungen in Galerien und Institutionen, nicht selten mit seinen eigenen Bildern. Und in dem zur Gemeinde Neuhardenberg gehörenden Dorf Altfriedland lockt die Weite des Raumes. Das gilt für die dünn besiedelte Landschaft und auch für das Haus, die ehemalige Gaststätte. Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar haben Bornstück und seine Partnerin einen Teil ihres Altfriedlander Hauses ukrainischen Kunstschaffenden für zur Verfügung gestellt, einen Atelierraum inbegriffen. Nein, isoliert sei er in dem Dorf am Rande des Oderbruchs keineswegs. Insbesondere während der Pandemie seien oft Freunde vorbeigekommen, die es in der heruntergefahrenen Hauptstadt nicht mehr ausgehalten hätten.
Es ist ein weit gespannter Horizont aus Einflüssen, aus dem Fritz Bornstück für seine Malerei schöpft, von der italienischen Renaissance bis zur Pop Art und der Leipziger Schule, der hier aber keineswegs eklektizistisch wirkt. Durch Rekontextualisierungen oder zumindest andere Gewichtung bekommen Stil-Anleihen eine neue Bedeutung. Als Bezugspunkt bringt Bornstück selbst Giorgio de Chirico (1888-1978) ins Spiel, den Pionier der Metaphysischen Malerei, die dem Surrealismus vorausgegangen ist. Unbedingt wichtig ist ihm ein Verweis auf die Pataphysik, die absurde Phantasie-Wissenschaft, die auf den französischen Schriftsteller Alfred Jarry (1873-1907) und dessen Theaterstücke über die Figur des Père Ubu zurückgeht. Vielleicht ein Fingerzeig, dass auch in Bornstücks Gemälden nicht alles ganz ernst zu nehmen ist?
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Wenn man seine Malerei, der Gegenständlichkeit und des wiederkehrenden Motivkomplexes wegen, mit der Leipziger Schule in Verbindung bringt, reagiert Bornstück keineswegs rundweg ablehnend, aber der Weg zum Bild sei bei ihm ein anderer. Die Bilder seien Improvisationen und entstehen im Prozess. Die Malerei oszilliere zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit. Bornstück führt durch sein Atelier, während er dies erklärt, und lädt dazu ein, nah heran zu gehen. Tatsächlich: Die Oberflächen bieten ein abstrakt gehaltenes Schauspiel aus unterschiedlichsten Bearbeitungspuren. Dicke, aus der Farbtube gepresste pastose zeichnerische Spuren stehen neben zarten, zum Teil abgeschliffenen oder abgekratzten Bildstellen. Vereinzelt collagiert er auch Leinwandfetzen und Atelierreste, wie die kreisrunden Deckel seiner Farbtuben, in die Bilder ein.
Eigentlich wollte er Trickfilmer werden
Studiert hat Fritz Bornstück in Mainz und an der Universität der Künste in Berlin. Nicht immer war die Malerei sein Lebenstraum: „Als Teenager wollte ich eigentlich mal Trickfilm studieren“, sagt er und erzählt, dass er bereits als Schüler für Fanzines an Comiczeichnungen gearbeitet hat. Über den Umweg eines Studiums der Mathematik und der Philosophie hat er dann doch den Weg zur Kunst gefunden. Warum? „Wegen der glänzenden Berufsaussichten“, so seine trockenhumorige Antwort.
Ob er sich als politischen Künstler sieht? „Kunst ist immer politisch“, so lautet seine entschiedene Replik. Kreuz und quer durch die Kunstgeschichte findet Bornstück zahlreiche Beispiele, mit denen er diese These belegen kann, bis hin zur kunstgewerblichen Produktion im Zuge des Bauhauses. Seine Motivauswahl legt den Schluss nahe, dass Themen wie Umweltzerstörung und Klimaveränderung ihm ein Herzensanliegen sein könnten, ebenso die Auswirkungen der Konsum- und Wegwerfgesellschaft. Moralisch will Bornstück allerdings nicht in dem Sinne verstanden werden, dass er Urteile fällt oder Handlungsanweisungen gibt: „Höchstens den Appell, genau hinzusehen.“ Und zu sehen gibt es eine ganze Menge auf seinen figurenreichen, detailversessenen Bildern.
Mehr zum Brandenburgischen Kunstpreis auf unserer MOZ-Themenseite.
Brandenburgischer Kunstpreis 2022
Der Brandenburgische Kunstpreis 2022 der Märkischen Oderzeitung und der Stiftung Schloss Neuhardenberg wird am 14. August verliehen. Preisträger sind Fritz Bornstück (Malerei), Daniel Richter (Grafik), Ilka Raupach (Plastik), Micha Winkler (Fotografie). Der Ehrenpreis des Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg für ein Lebenswerk geht an die Bildhauerin Sylvia Hagen. Alle in die Endauswahl zugelassenen Werke sind bis 21. August in einer Ausstellung in Neuhardenberg zu sehen.