Wie viel Zeit während der Tour für Sightseeing an den einzelnen Orten bleibe, will Annett von dem Geiger David Garrett wissen. Der muss leider abwinken: Zeit für große Besichtigungen bleibt nicht, bei 25 Konzerten in 40 Tagen. Nur in Australien, wo die Iconic Tour 2023 den Stargeiger mit seinen beiden musikalischen Begleitern auch führt, wollen sie sich Zeit für die Kängurus nehmen, erzählt der Solist aufgeräumt.
Überhaupt ist der Star beim ausverkauften Konzert in der Freilichtbühne von Eisenhüttenstadt in Plauderlaune - zunächst jedenfalls. Lässt sich zuvor eingesandte Fragen aus dem Publikum auf Zetteln reichen und antwortet freimütig. Dass er gerade eine Tomaten- und Gurkendiät mache, weil er sich auf Bildern vom Tourauftakt zu dick gefunden habe, verrät er auf die Frage von Doris, wie er sich fit hält bei all den Strapazen.
Eine Geige für zehn Millionen Dollar
Auch zu der kostbaren Guarneri del Gesù-Geige, die Garrett in Eisenhüttenstadt spielt, gibt es die passende Geschichte. Die sei unlängst in New York für zehn Millionen Dollar versteigert worden. Von den kostbaren Instrumenten, die einst Stars wie Niccolo Paganini und Fritz Kreisler spielten, gibt es nur noch 170 auf der Welt. Als daher die Anfrage an Garrett kam, ob er das Instrument spielen wolle, gab es kein Zögern. In einer „Nacht-und-Nebel-Aktion“ habe sein Manager die Geige schließlich in Hongkong abgeholt. Es sei ihm eine große Ehre, sie in Eisenhüttenstadt zu spielen, so Garrett.
Und um zu zeigen, was in dem Instrumente – und seinem Virtuosen – steckt, bietet Garrett im Programm so ziemlich alles, was zu den Evergreens der Klassik gehört. Das Tour-Programm, das das im November 2022 erschienene Album begleitet, ist eine Hommage an die großen Geigenvirtuosen, an Künstler wie Zino Francescatti, Arthur Grumiaux, Jascha Heifetz, Fritz Kreisler und Yehudi Menuhin, die Garrett immer wieder lobend erwähnt. Die erklärenden Zwischentexte, die die einzelnen Stücke anmoderieren, sind hingegen eher Wikipedia.
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Als Programm gibt es: den „Sterbenden Schwan“ von Camille Saint-Saens, Robert Schumanns sehnsüchtige „Träumerei“, das „Ave Maria“ von Franz Schubert, das Garrett mit „Romantik und Demut“ nimmt, das berühmte Abschiedslied „Greensleeves“ und natürlich Stücke aus Vivaldis „Vier Jahreszeiten“: den zweiten Satz aus dem „Winter“, der imaginär die Schneeflocken rieseln lässt, und kurz vor der Pause das furiose „Gewitter“ aus dem „Sommer“, bei dem es dem Geiger fast den Bogen zerfetzt.
Trio statt Orchester – warum?
Warum er die Tour als Trio, mit Franck van der Heijden an der Gitarre und Rogier van Wegberg am Bass, und nicht mit Orchester spiele, ist eine Frage von Anja, und das ist wirklich eine gute Frage. So einleuchtend Garretts Antwort, dass man bei einer so großen Tour nicht immer wieder neu mit Orchestern proben und spielen könne, so enttäuschend ist die Orchestersoße, die aus den Lautsprechern kommt. Mehr Mut zu Trio pur hätte auch die Kollegen an Bass und Gitarre mehr zur Geltung kommen lassen. Garrett meint doch selbst: „Trio ist doch auch ganz schön“.
Das erste Konzert auf einer Freilichtbühne anstelle der gewohnten Konzertsäle hat es in sich, auch wenn Garrett sich zunächst freut, endlich mal das Publikum wirklich sehen zu können, statt nur ins Dunkel zu blicken. Glucks berühmte, herzzerreißende Mélodie aus „Orpheus und Euridike“ spielt er auswendig, während der Wind die Notenblätter verschlägt. Und als das gefährlich schwankende Banner des Sponsors Sparkasse beiseitegeräumt werden muss, kommentiert Garrett mit einer Anekdote aus seiner letzten Sparkassenberatung.
Dass es mit dem Sommer noch nicht so weit her ist, spürt auch der Geiger spätestens nach der Pause: „Frisch habt ihr es hier in Eisenhüttenstadt“, ruft er ins Publikum, wärmt die Hände in den Achselhöhlen und lässt sich schließlich von seinem Manager, der sich schon in eine Decke gehüllt hat, einen extravaganten Mantel mit Kunstpelz reichen. Auch die Ansagen, die vor der Pause noch fröhlich plaudernd die Publikumsfragen aufgegriffen hatten, werden merklich kürzer. Und die hoffnungsvollen Kids, die in Aussicht auf ein Autogramm vor der Bühne warten, gehen leer aus.
Ein Konzert für jung und alt
Wie überhaupt es ein Konzert für Großeltern mit ihren Enkeln zu sein scheint. „Schade, dass er nicht so viel Pop spielt diesmal“, meint ein kindlicher Fan hinter uns, der selbst auch Geige spielt, während die Begleitung in fortgesetzterem Alter feststellt: „Mir gefällt es besser so“.
Immer besser gefällt auch das Spiel, je später der Abend und leuchtender die Bühne. Da strahlt zu einem irischen Volkslied die Bühne auch grün, und bei „Asturias“ von Isaac Albéniz, das der Geiger selbst von der Gitarrenversion auf Geige adaptiert hat, gibt er den veritablen Teufelsgeiger, während das blonde Haar im auffrischenden Wind weht und die Bühne in rotem Licht erglüht. Kunstkerzen flackern auf dem Boden der Bühne: Dramatik pur.
Zur Zugabe mit dem Partisanenlied „Bella Ciao“ hält es niemand mehr auf den Sitzen, immer schneller klatscht das Publikum mit, bevor der Geiger mit Kusshand backstage verschwindet. Wer weiß: Vielleicht ist beim Zusatzkonzert am 14. Juli auch der Wettergott noch gnädiger. Es darf ruhig noch mehr Sommer sein.
Noch einmal zu erleben ist David Garrett am 14. Juli auf der Freilichtbühne Eisenhüttenstadt. Tickets über die Touristeninfo in Eisenhüttenstadt und über eventim.de
Ergänzung: Die Fragen hatte sich David Garrett vorab zusenden lassen und verlas sie am Abend. Danke für den Facebook-Hinweis.