Der neue Song „Alle sagen das“ und gleich darauf „Auswärtsspiel“ – die Toten Hosen lassen es bei ihrem Gastspiel auf dem ehemaligen Flughafen in Berlin-Tempelhof am Sonnabend schon zu Beginn mächtig krachen. Die begeisterten Fans – junge ebenso wie ergraute Punkrocker, viele von ihnen mit Hosen-Shirts bekleidet – zeigen Textsicherheit und feiern nch Kräften die Veteranen aus Düsseldorf, die im 40. Jahr ihres Bestehens ein Feuerwerk aus alten und neuen Hits, Trinkliedern und politischen Botschaften in Liedform abbrennen. Rund 60.000 Besucher waren laut Veranstalter gekommen. Damit ist es das größte Konzert im Rahmen der „Alles aus Liebe“-Jubiläumstour.
Der Klang kommt zwar etwas harsch und übersteuert aus den Boxentürmen, aber es war noch nie leicht, bei Konzerten auf dem ehemaligen Flughafen Tempelhof einen guten Sound hinzubekommen. Die Akustik ist dort traditionell sehr hallig und unpräzise. Dafür bietet die Band Klassiker-Songs am Fließband, bei denen ohnehin die meisten mitsingen können, ohne auf Details zu achten: Schon in der ersten Phase des Abends etwa die Hits „Paradies“ und „Bonnie & Clyde“.

Große Textsicherheit im Publikum

In 40 Jahren sind wahrlich viele starke Songs mit Ohrwurm-Melodien zusammengekommen, sodass dieser Abend kaum schwache Momente hat. Weiter geht es mit „Laune der Natur“ und „Niemals einer Meinung“. Kein Halten gibt es mehr, wenn die Hosen später am Abend unsterbliche Lieder wie „Hier kommt Alex“ und „Wünsch Dir was“ runterrotzen.
Open-Air-Konzert in Tempelhof – alles Wichtige zum 40-jährigen Bandjubiläum
Die Toten Hosen in Berlin
Open-Air-Konzert in Tempelhof – alles Wichtige zum 40-jährigen Bandjubiläum
Berlin
Und da liegt auch schon das – kleine – Problem dieses Abends. Der Wermutstropfen sozusagen: Manchmal zieht die Band das Tempo der Songs unnötig an, sie lässt es etwas an Artikulation und Präzision vermissen. Da fallen die einzelnen Gitarrenstimmen etwas matschig oder blechern aus. Manche der großen Stücke ziehen arg routiniert am Publikum vorbei. Da hätte die Gruppe mit mehr Konzentration bei ihren Fans noch mehr erreichen können. Das gilt für „Alex“, aber auch zum Beispiel für „Niemals einer Meinung“.
Der ganz neue Song „Scheiss Wessis“ von der Doppelalbum-Werkschau „Alles aus Liebe“ kommt zu Gehör, der Gegenpart „Scheiss Ossis“ aber nicht, weil, wie Campino verkündet, Rapper Marteria – er sang das Stück als Gast für die Studioversion ein – an diesem Abend verhindert ist. Das Berliner Publikum watschen die Lokalpatrioten vom Rhein dann aber doch noch mit einem Stück humorvoll ab, und zwar mit „Wannsee“.

Solidaritätsbekundungen und Öko-Awareness

Zu der Feuerwehr-Hymne „112“ trägt Sänger Campino eine Uniform der Brandlösch-Einsatzkräfte aus Düsseldorf und bekennt: die Feuerwehr, das sei „die Berufsgruppe, vor der wir den meisten Respekt haben“.
Es ist die erste von mehreren Solidaritätsadressen und Haltungsbekundungen, die die Toten Hosen in diesem Konzert abgeben: der Krieg in der Ukraine, Umweltzerstörung und Klimaerwärmung – all das findet auch Eingang in diesen insgesamt zwei Stunden und 45 Minuten langen Parforceritt durch 40 Bandjahre. Die Band arbeite daran, den Ressourcenverbrauch auf ihren Konzerten so gering wie möglich zu halten, sagt Campino und rattert routiniert einige Fakten rund um die Veranstaltungslogistik runter. Gemeinsam mit den Ärzten, die ebenfalls das Tempelhofer Feld gebucht haben (26., 27. und 28. August), nehmen die Hosen derzeit an einem Öko-Testlabor teil, mit dem auf Open-Air-Konzerten eine Art Kreislaufwirtschaft ausprobiert werden soll. Dazu gehören chemiefreie Toiletten und weitere Maßnahmen, die unter anderem den Wasserverbrauch reduzieren sollen. Das passt in die Zeit, und ohne solche Botschaften sind große Konzerte wohl bald ohnehin nicht mehr zu haben.

Ein angenehm nostalgischer Abend

Umweltschutz hin oder her: Die Band bietet auf ihrer Jubiläumstour mit drei überdimensionalen Videoleinwänden auch einiges für das Auge. Sie wissen: ein Arena-Publikum lässt sich eben nicht nur mit den magischen drei Akkorden der Punkrock-Vorväter zufriedenstellen. Es bedarf einiger Entertainment-Elemente, um auch die Zuschauer auf den hinteren Reihen zu erreichen. Auf den Videowänden sind nicht nur die fünf Bandmitglieder in Großaufnahme zu sehen, sondern auch zum Beispiel Fotografien aus den frühen Jahren der Band oder farbenprächtige Visualisierungen aus dem Computer. Es ist ein angenehm nostalgischer Abend. Das Lied „Helden und Diebe“ kündigt Sänger Campino mit der Bemerkung an, die Band hätte es schon vor mehr als 20 Jahren als eine Art Lebensbilanz geschrieben, weil sie sich damals „wahnsinnig alt“ vorgekommen seien.
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Heute aber geben die Gitarristen Andreas von Holst und Michael Breitkopf, Bassist Andreas Meurer, Schlagzeuger Vom Ritchie und Sänger Campino ein Bild ab, das überhaupt nicht auf Verfall hindeutet. Körperlich fit sind sie alle. Insbesondere Campino liefert verlässlich den gesamten Abend über, was es hier braucht. Er rennt über die Bühne wie ein Jungspund und gibt keineswegs zu erkennen, dass er in diesen Tagen seinen 60. Geburtstag feiert.

Hymnen auf Freundschaft und Solidarität

In den Zugabenblöcken beschwören die Hosen mit Liedern wie „Freunde“ und der Fussballhymne „You`ll Never Walk Alone“ das Gemeinschaftsgefühl herauf, auf dem sie ihre Karriere zu großen Teilen immer schon aufgebaut haben. Dafür wird die Band geliebt, das hebt sie von vielen anderen ab, die ebenfalls radio- oder stadiontaugliche Melodien aus dem Ärmel schütteln können. Und dass der alte Song „You`ll Never Walk Alone“ aus dem Jahr 1945, die berühmte Stadionhymne des FC Liverpool, erst kürzlich durch Bundeskanzler Olaf Scholz im Zusammenhang mit der Energiekrise eine zusätzliche Konnotation erfahren hat, scheint im Publikum zumindest niemanden zu stören.
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Die beiden großen Songs der Hosen gegen Rechtsextremismus vom 1993er-Album „Kauf mich“, „Sascha“ und „Willkommen in Deutschland“, bleiben an diesem Abend ungespielt. Dafür borgen sie sich von den Ärzten deren nahezu zeitgleich erschienenes Stück „Schrei nach Liebe“ aus. Die angeblichen Punkrock-Erzfeinde und Konkurrenten aus Berlin adelt Campino übrigens als hoffnungsvollen Nachwuchs, dem man mal eine Chance geben müsse ...
Die Toten Hosen in Berlin-Tempelhof: Blick von der Bühne auf das Publikum
Die Toten Hosen in Berlin-Tempelhof: Blick von der Bühne auf das Publikum
© Foto: Bastian Bochinski

Üppiges Vorprogramm und alte Weggefährten im Zugabenblock

Bereits im Vorprogramm sorgen der Hamburger Liedermacher Thees Uhlmann und die Punkband Feine Sahne Fischfilet aus Mecklenburg-Vorpommern für beste Stimmung auf dem weitläufigen ehemaligen Flugfeld. Besondere Gäste: Die ukrainische Band Stoned Jesus eröffnet den langen Abend schon am späten Nachmittag. Und im ersten Zugabenblock holen die Hosen die Ostberliner Punks von Planlos auf die Bühne. Mit ihnen hatten sie im Jahr 1983 einen gemeinsamen Auftritt – ein illegales Konzert hinter dem eisernen Vorhang im Ortsteil Rummelsburg, das in diesem Jahr zum Gegenstand des Dokumentarfilms „Auswärtsspiel“ geworden ist.
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Um Punkt 23 Uhr ist dann Schluss, die Band verlässt nach einem irrsinnig schnell heruntergedroschenen „Eisgekühlter Bommerlunder“ endgültig die Bühne. Länger dürften sie aber auch schon aus Lärmschutzgründen gar nicht spielen. „Die Zeit mit Euch war wunderschön“, so sangen die Hosen kurz zuvor noch, am Ende des ersten Zugabenblockes. Und dem ist nun wirklich nichts hinzuzufügen.