Keine Ahnung, ob es vor einem halben Jahrhundert schon das Wort Abschiedstour gab. Vermutlich nicht, denn schon der Begriff hat irgendwie was Pensionistisches und das war ja nun das Gegenteil dessen, was die anbrechende Rockära vermittelte. Da ging es um Aufbruch, um Eskalation und Exaltiertheit.
Der Mann, der am Montag auf seiner Abschiedstour in der Berliner Mercedes-Benz-Arena Station machte, war damals dabei. Als Neuling, der ziemlich schnell nach oben schoss, wie ein Rocket Man. Reginald Kenneth Dwight begab sich Ende der Sechziger ins Popuniversum und wurde als Elton John schnell zum Superstar. Heute, mit 76 Jahren, gehört er zu den erfolgreichsten Musikern des Planeten. Rund 450 Millionen verkaufte Alben und nun mit seiner Farewell-Tournee auch noch die ertragreichste Künstlertour aller Zeiten. Da zeigt der alte Barde den Jungschen noch allemal, wo der Bartel den Most holt.

Mercedes-Benz-Arena ist ausverkauft

Auch die Berliner Arena ist zum Auftakt des dreitägigen Gastspiels natürlich ausverkauft, trotz saftiger Preise. Klar, bei Hits ohne Ende, fast wie auf Spotify. Vielleicht auch deshalb erstaunlich viele junge Menschen im Publikum. Sicher aber auch wegen der Abschiedstour. So eine Legende muss man einfach noch mal gesehen haben.
Die Legende kommt pünktlich um acht in einem rosa Glitzerfrack mit mintfarbenem Glitzerrevers auf die Bühne und setzt sich an einen schwarzen Flügel. Die Band steht im hinter ihm unter einer riesigen Videowand, die in ein Tor aus einer Art Reliefsteinen eingepasst ist. Die Musiker sind alle nicht mehr die Jüngsten. Sie sehen aus wie aus der Muppet-Show und sind genauso famos. Absolute Könner.
Zusammen mit Elton John legen sie gleich mal los mit „Bennie and the Jets“, einem Song, den er wie so viele andere Hits zusammen mit seinem kongenialen Partner, dem Songtexter Bernie Taupin, schrieb. Er stammt vom 1973er Album „Goodbye Yellow Brick Road“, das Farewell-Tour ihren Namen gibt.
„Bennie and the Jets“ auf YouTube
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Der Chef haut in die Tasten, dass etwaige Befürchtungen über eine altersseichte Darbietung sofort schwinden. Der zweite Song ist „Philadelphia Freedom“, den Elton John 1975 der US-Tennisspielerin Billie Jean King widmete. Sie war die erste Profisportlerin in Amerika, die sich als homosexuell outete. So wie er, nachdem er seine erfolgreiche erste Rockstarphase hinter sich hatte. Mit flippigen Songs, schrägen Klamotten und ausschweifende Drogenpartys hatte der Brite seinen Ruf als schriller Vogel des Rockbiz begründet. Die Welt von Elton John war wie eine Explosion kunterbunter Träume.

Fußball hat ihn gerettet

Irgendwann hat er dabei selbst was abbekommen. Sein Seelenzustand war teilweise miserabel, ihn plagten sogar Selbstmordgedanken. Aus der Krise geholfen hat ihn letztlich der Fußball. Mitte der Siebziger stieg er als Gönner und Präsident bei seinem Londoner Heimatverein FC Watford ein, was ihn wieder erdete, wie er danach bekannte. Gleichzeitig erlebte er in den Fußballstadien Schmähungen als „Schwuchtel“, die ihn wieder in eine Außenseiterrolle schoben, die er als Megarockstar längst hinter sich zu lassen geglaubt hatte.
Es waren andere Zeiten damals. Einerseits war da der wilde Rock’n’Roll-Ausbruch ohne Scheu vorm Anecken, andererseits gab es keine „Achtsamkeit“ gegenüber Typen, die allein durch ihr Äußeres oder ihre Sexualität als unnormal galten. Wie sehr Elton John diese Erfahrungen geprägt haben, merkt man während seines Konzerts am laufenden Band auf der Videowall, das seine Songs untermalt. Die Bilder sind bunt im doppelten Sinne, sie feiern die Diversität der Menschen.

„Border Song“ widmet er Aretha Franklin

Nicht, dass er missionieren würde, aber der umjubelte Popstar weist schon darauf hin, was ihm als Mensch und als Künstler wichtig war: Fortschritt im Denken und in der Kunst. Den „Border Song“, geschrieben 1970, widmet er der Queen of Soul Aretha Franklin. In den Videobildern, die seinen Auftritt mehr als nur hübsch umrahmen, tauchen Ikonen der amerikanischen Protestbewegung auf, Martin Luther King. Aber Elton John ist kein Politnostalgiker und Aktivist. Er ist Musiker, der singt und spielt und unterhalten will. Was kein Problem ist, wenn man Lieder wie „Crocodile Rock“, „Candle in the Wind“ und „Your Song“ in petto hat.
„I‘m still standing“ auf YouTube
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Das Tolle und keineswegs Selbstverständliche ist, dass er die Hits nicht routiniert runter rockt. Der etwas hüftsteife, aber stimmstarke Elton John und seine Altherrenband haben so viel Feuer unterm Hintern, dass man nur staunen kann. Allein die Zehnminutenfassung von „Rocket Man“ ist der Hammer. Und „I’m still standing“ gerät an diesem Abend zum Soundtrack seines Lebens, weil die Bilder auf der Videowand im Zeitraffer die vielen Seiten des Elton John zeigen: als Simpson-Figur, als Buchautor, als Fußballpräsident, als Live Aid-Künstler. So flimmert das Leben des Weltstars in seinem Rücken vorbei und das Publikum kommt aus dem Staunen nicht heraus. Was will man mehr, mit 76 auf der Bühne.