„Es ist 1996…“ – Drei Worte. Mehr braucht es nicht, um brachial schnell in die Vergangenheit katapultiert zu werden. Zurück in eine Zeit, in der es noch Musiksender gab und Alben aus Geschäften getragen wurden. Händisch! Gleich mit „Jein“, ihrem frühen Mega-Hit, legen Fettes Brot los. Lange rumgefackelt wird beim Konzert in der ausverkauften Berliner Max-Schmeling-Halle also nicht. Das macht das Hamburger Trio gleich zu Beginn klar.
Abschied ist angesagt. Und der soll schließlich knallen: „Wir sind nicht hier, um nostalgisch zu werden, sondern um in den Arsch zu treten“, bringt es Björn Beton auf den Punkt. Eine Losung, die der Rapper dem Hauptstadt-Publikum erstaunlich freudig entgegenwirft. Und das, obwohl dieser Mann zusammen mit seinen beiden Bandkollegen vergangenen August das Ende einer Ära verkündete.
„Papa und Papa und Papa trennen sich“
Nicht nur ancient, also steinalt, seien sie, schrieb die Combo damals auf ihrer Website, sondern „HISTORY!“ Geschichte. „Papa und Papa und Papa trennen sich.“ Schluss. Aus. Und das nach drei Jahrzehnten. Doch bevor der Karren endgültig ins Trockendock gehievt wird, gibt sich das Trio noch einmal live die Ehre. Seit April läuft die große Abschiedstournee.
Und als hätte es noch irgendeines Beweises bedurft, dass die drei Herren von Fettes Brot „Nordisch by Nature“ sind, strotzt das Bühnenbild nur so vor Hamburg-Referenzen. Hafenkräne, Container, über allem schwebend eine riesige Möwe – mehr „Moin, Moin“ kann eine Bühne kaum sein. Das heißt doch. Denn mittendrin steht ein auf Yasmin getaufter Fischkutter (ganz wie der gleichnamige Song aus dem Album „Am Wasser gebaut“). Auf ihm drehen Doktor Renz (Martin Vandreier), König Boris (Boris Lauterbach) und Björn Beton (Björn Warns) mit ihren Fans eine letzte Hafenrundfahrt. Vervollständigt wird die Crew von einem halben Dutzend Musikern, darunter einer Bläsersektion und dem langjährigen Tour-DJ der Gruppe DJ exel. Pauly.
Keinen ihrer Evergreens lassen Fettes Brot aus
Doch so sehr auch, wie angekündigt, in den Arsch getreten wird – Nostalgie gibt es in Berlin trotzdem. Allerdings nicht von der schwermütigen Sorte, eher von der „Ach ja, den Song hatte ich ja fast vergessen. Der war schon verdammt gut“-Sorte. Wie sollte es auch anders sein? „Bettina“, „Da draußen“, „Emanuela“, „Schwule Mädchen“, „Nordisch By Nature“ – keinen ihrer Evergreens lassen die Hamburger aus. Mit ihrer Setlist, die ganz dem verschwenderischen Motto „All Killer, No Filler“ zu folgen scheint, wecken sie sogar unter allen Mitgeschleppten und Plus Einsern das Muskelgedächtnis zum kollektiven Arm schwingen im Beat.
Rap auf Friesisch? Munter brachen die Hamburger mit Rap-Axiomen
Das gesamte Konzert gleicht einem euphorisierenden Reflex, der zeigt, was dieses Trio dann doch für ein bemerkenswertes musikalisches Vermächtnis hinterlässt. Dabei starteten sie als Kuriosum in der deutschen Musiklandschaft. Rap auf Friesisch? Launige statt asphaltharte Hooks? Selbstironie statt überbordender Maskulinität? Munter brachen die Hamburger mit tradierten Rap-Axiomen. Von allzu ernsten Genre-Eiferern mussten sich dafür den Vorwurf gefallen lassen, ihr Musik sei von wohlbehaltenen Vorstadtkindern für wohlbehaltene Vorstadtkinder gemacht. Beirren ließen sich Fettes Brot davon nie. Stattdessen bezeichneten sie sich gleich selbst als „Vorstadtkrokodile“.
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Mit ihrer Musik, die irgendwo zwischen De La Soul und den Ärzten, Run DMC und Rio Reiser, den Beastie Boys und The Clash eine Nische fand, stießen sie auf enormen Anklang. Und dieser scheint eine erstaunlich robuste Halbwertszeit aufzuweisen. Ein Blick ins Berliner Publikum macht nämlich klar: allzu viele Fans von einst dürften Fettes Brot nicht den Rücken gekehrt haben. Jedenfalls scheinen die meisten Anwesenden in der Max-Schmeling-Halle mit den Broten gealtert zu sein.
Die gehen bereits steil auf die 50 zu und finden, nach 30 Jahren sei die „gemeinsame Story irgendwie auserzählt.“ Das mag sein. Denn so ausgelassen die Musik der eigenen Jugend auch gefeiert wird, als mit „Schwule Mädchen“ der letzte Song ausklingt, merkt man doch schnell wieder, dass es nicht mehr 1996 ist. Insofern ist die Entscheidung von Fettes Brot, sich zu verabschieden, wohl durchaus konsequent. Angesichts des puren Abrisses, der ihr Abschiedskonzert in Berlin war, ist es aber auch ein bisschen schade. Doch wie sang das Trio so schön: „Brot weint nicht.“
„FETTES BROT … IS HISTORY!“ – Termine
● 30.04.2023: München – Zenith (AUSVERKAUFT)
● 01.05.2023: München – Zenith
● 02.05.2024: Stuttgart – Porsche Arena
● 04.05.2023: Hannover – ZAG Arena (VERLEGT)
● 05.05.2023: Münster – MCC (AUSVERKAUFT)
● 06.05.2023: Kiel – Wunderkind Arena
● 01.09.2023: Hamburg – Trabrennbahn (AUSVERKAUFT)
● 02.09.2023: Hamburg – Trabrennbahn
Tickets gibt es hier.