Im goldenen Glitzer-Anzug auf die Bühne, einen langen weißen Schal locker um den Hals geschlungen. Die tätowierten Arme bleiben frei. „Let Me Entertain You“ ballert es nach einem kurzen Vorspiel aus den Boxen, die Bühnen-Deko zeigt dazu stilisierte überdimensionale Röhren-Bildschirme. Ein Vierteljahrhundert ist die Hymne mittlerweile alt, sie steht damit stellvertretend für die zurückliegenden 25 Jahre seiner Solokarriere, die der Brite im Rahmen der laufenden „XXV“-Hallentournee feiert. Am Montagabend gab es das erste von zwei Berliner Konzerten in der Mercedes-Benz-Arena, am Dienstag folgt sogleich das zweite.
Und er kann es noch immer. Absolut professionell und routiniert nimmt der einstige Boygroup-Charmeboy, seit einigen Tagen 49 Jahre alt, die große Bühne samt Laufsteg in Beschlag. Mit „Monsoon“ kommt schon bald die erste richtige Mitsing-Hymne, bei der keine Kehle im riesigen Hallen-Oval unstrapaziert bleibt.
Williams schäkert und kokettiert mit den Fans, er bemüht seine spärlichen Deutschkenntnisse, fragt in die Runde: „Alles fit im Schritt?“ Immer wieder zotige Witze, ein breites Grinsen – der langersehnte Star des Abends, immerhin seit Jahrzehnten einer der erfolgreichsten Gegenwartskünstler, ist gut gelaunt.

Nachdenkliche Songs wechseln mit euphorischen ab

„Strong“ schlägt dann erstmals nachdenkliche Töne voller Selbstzweifel an. Williams sagt daraufhin, er habe im Grunde genommen nur zwei Arten von Songs: „Im fuckin‘ amazing“-Stücke und „I‘m so depressed“-Stücke. Weiter geht es erstmal mit einem Beispiel für die zweite Kategorie: „Come Undone“. Aber bald schon wird wieder ausgelassen gefeiert.
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Dieses Muster wird sich durch das gesamte Konzert ziehen: Krisen-Bewältigung und Offenbarungen seines fragilen, zu Depressionen neigenden Egos wechseln mit euphorischen Feier-Momenten ab. Mit dem in Song-Form gegossenen Gefühl, heute für eine Nacht die ganze Welt umarmen zu wollen.

Erinnerungen an Take That

Was auch nicht zu kurz kommt an diesem nostalgischen Abend: Erinnerungen an die Zeit vor mehr als 30 Jahren, als Take That zusammenfanden. Über die riesige Leinwand hinter ihm lässt er das allererste Video von Take That einblenden, aus dem Jahr 1991: „Do What You Like“. Fünf Jüngelchen lassen ihre jungen Körper für sich sprechen und flirten mit der Kamera. Eine peinliche Delikatesse mit absolutem Cringe-Faktor. Robbie Williams zelebriert diese Erinnerungen genüsslich und voller Ironie.
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Er war der Jüngste in der Band und hatte, wie er im Rückblick bemerkt, den Eindruck, dass die anderen ihn nicht wirklich mochten. Eines Tages habe er aber doch die Gelegenheit bekommen, den Leadgesang auf einem der Lieder zu singen. Er ergriff die Chance, in seinen Worten, mit beiden Händen: „Could It Be Magic“.

Routinierte Maschinerie ohne Variationen

Moment, Stopp: Hat man das nicht alles schon einmal irgendwo gelesen oder gehört in den zurückliegenden Wochen? Zumindest als aufmerksamer Robbie-Williams-Fan? Ja, in der Tat: Es sind alles dieselben Ansagen auf dieser Tour, rauf und runter: Jemand von weit oben auf den Rängen will aufs Klo, Robbie bricht seinen Song ab und spricht diesen Fan persönlich an. Die Leinwand-zeigt eine einzelne junge Frau in Großaufnahme. Zieht sie damit auf, dass sie gerade den gesamten Abend zerstören würde. Alles vielfach nachzusehen und -lesen im Internet, von etlichen vorherigen Auftritten dieser Tour.
Dass die perfekt durchgestylten Arena-Konzerte heutiger Art mit ihren opulenten Licht- und Video-Effekten nicht mehr viel Raum für Spontaneität lassen, ist kein Geheimnis. Aber Robbie Williams treibt dieses Konzept mit seiner „XXV“-Tour auf die Spitze. Es ist freilich alles akkurat und reibungslos im Ablauf, und die Lacher sitzen trotzdem. Robbie Williams und Band, das ist nach vielen Jahren auf den großen Bühnen der Welt eben eine perfekt laufende, gut geölte Unterhaltungsmaschine.
Konzert in der Mercedes-Benz-Arena – Tickets, Setlist, Anfahrt
Robbie Williams in Berlin 2023
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Berlin
Weiteres kleines Manko des Abends: Unten im Innenraum zwischen Bühnen-Laufsteg und Mischpult bleiben zahlreiche Plätze leer. Angesichts gesalzener, überwiegend deutlich dreistelliger Ticketpreise scheint sogar Robbie Williams Schwierigkeiten zu haben, dieses Haus zweimal in Folge voll zu bekommen. Oder liegt es daran, dass die mehrheitlich auch nicht mehr ganz jungen Fans aus den Anfangsjahren heute einen Zwei-Stunden-Abend lieber im Sitzen verbringen als stehend im Mosh-Pit?
Und, wo wir schon einmal beim Mäkeln sind: Für das Vorprogramm hätte der Welt liebster Robbie sich auch etwas Substanzielleres aussuchen können als „Lufthaus“, sein eigenes Elektro-Nebenprojekt, das in dieser Konstellation ohne den Star selbst auskommen muss. Die blasse Kombo paart toughe, clubbige Beats zwischen Techno, House und Trance mit banalsten Agitationssprüchen im Stile von: „Good evening Berlin, let‘s have some fun tonight!“ oder auch irgendetwas mit „Hands in the Air!“ Noch nicht genug davon? Weiter im Text: „Let‘s have some fun!“, „... in the house tonight?!“ Noch Fragen?

Der Abend wird zum Seelenstriptease

Aber geschenkt. Für die persönliche Ansprache ist eben der Meister selbst zuständig. Insgesamt fällt auf, wie viel Zeit und Aufmerksamkeit der Sänger dieses Mal den Ansagen widmet. Hier hält jemand erkennbar Rückschau, zieht Bilanz, widmet sich noch einmal den Großtaten der Vergangenheit. Niemals habe er heiraten oder Kinder bekommen wollen, sagt Williams. Und jetzt? Ist er seit 17 Jahren verheiratet und hat vier Kinder. Die immer noch überwiegend weibliche – wenn auch mit ihrem Idol gereiften – Fans, die einem Boygroup-Star das Vergebensein normalerweise nicht gut nachsehen, geben sich gerührt und spenden warmherzigen Applaus auch für dieses Bekenntnis. Robbie unterstreicht dies sogleich mit dem passenden Song „Love My Life“.
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Weiter im Programm. „Feel“ ragt heraus. Die Wahnsinns-Single von dem andernfalls bei Kritikern nicht gerade wohlgelittenen Album „Escapology“ (2002). Mit wuchtigem Bassfundament, und einer sphärischen Melange aus Flächen-Synthesizern und heftig übersteuerten, sahnig sägenden und heulenden E-Gitarren. Darüber die bekannten Klavier-Akkorde. Robbie Williams selbst hat einmal gesagt, dies sei der Song, der ihn besonders stolz mache. Recht hat er!

„She`s The One“ gehört heute nur Nadja

Nach „Rock DJ“ verlässt Robbie samt Band die Bühne und der Saal bleibt erstmal dunkel. Aber natürlich ist das noch nicht alles. Mit majestätischen Scheinwerferlichtern und „No Regrets“ geht es im Zugabenblock weiter. Schwarzer Bademantel über dem Glitzeranzug – Robbie macht an diesem Punkt des Abends eben gerne den Udo Jürgens, die Fans lieben auch ihn dafür.
Er spricht „Nadja“ aus der ersten Reihe an, flirtet heftig mit der jungen Dame, die samt Anhang gekommen ist. Stimmt „She‘s the One“ widmet er dieses Mal ganz ihr. Und ja: Nadja hat erkennbar den Abend ihres Lebens.

Der bittere Preis des Erfolges

Williams selbst sagt, nun wieder bei den tiefsten Abgründen seiner Laufbahn angelangt: Als er am erfolgreichsten war, ging es ihm am dreckigsten. Da sei seine Abhängigkeit von Alkohol, Kokain und was auch immer sonst noch am größten gewesen. Und damals habe er sich auch am einsamsten gefühlt. Das Konzert wird zum kathartischen Prozess. Denn, was ihn damals gerettet habe: Die Fans natürlich! So ganz wertlos könne er nicht sein, wenn sie immer wieder zu ihm in die Konzerte kommen. Und auch da hat er sicher einen Punkt.
Mit „Angel“ ertönt dann natürlich noch die Über-Zugabe, die in keinem Williams-Konzert fehlen darf. Immer noch sein nominell größter Hit, vom ersten Album nach den Take-That-Jahren, aus dem Jahr 1997. Der Song, mit der seine Weltkarriere so richtig in den Orbit der Popmusik abgehoben ist. Das Smartphone-Lichtermeer in der Halle ist vorprogrammiert. Denn die vielen fans haben genau das bekommen, was wofür sie die stolzen Eintrittspreise bezahlt haben.
Und dann, ganz am Ende des knapp zwei Stunden langen Abends, kommt der einstige böse Junge der Popmusik noch ein letztes Mal nach ganz vorne auf den Laufsteg. Setzt zu einem kleinen A-Capella-Medley durch seine allergrößten Hits an, die mehrheitlich zuvor bereits in voller Länge zu Gehör kamen. Die Mercedes-Benz-Arena wird zu einem einzigen Chor. Ganz innig, ganz nah beieinander, in dieser riesengroßen Halle.