Der Zoff nimmt kein Ende. Seit Jahrzehnten schon befehden sich Roger Waters und der Rest seiner alten Band Pink Floyd in schärfsten Worten. Der Rechtsstreit aus den 1980er-Jahren, als Waters erst selbst an den Stühlen seiner von ihm als musikalisch inkompetent empfundenen Mitmusiker sägte und dann selbst aus der Band flog, ist legendär. Bis auf einen kurzen Moment der Annäherung, als die alte Traumbesetzung mit David Gilmour, Nick Mason, Roger Waters und Richard Wright im Juli 2005 anlässlich der Live 8-Konzertreihe noch ein einziges Mal für einen kurzen Auftritt wieder gemeinsam auf der Bühne stand, haben sich die Streitparteien bis heute nicht ausgesöhnt.
Alter macht eben nicht immer milde. Ganz im Gegenteil: Unter dem Eindruck des Krieges in der Ukraine haben beide Seiten, vor allem aber Roger Waters die alten Wunden noch einmal nach allen Regeln der Kunst aufgekratzt. Der Kampf um die Deutungshoheit in Sachen Pink-Floyd-Erbe geht munter weiter, und zeitgleich schießt sich der abtrünnige Roger Waters derzeit auch mit seinen politischen Aussagen zunehmend ins Abseits.

Die Band ruft zum Widerstand gegen Russland auf, Roger Waters verteidigt den Aggressor

Was ist geschehen? Im April 2022 haben David Gilmour und Nick Mason den stolzen Namen Pink Floyd, von dem David Gilmour selbst vor Jahren anlässlich der Veröffentlichung eines Soloalbums schon gesagt hatte, dass er eigentlich zu groß für ihn geworden sei, noch einmal reaktiviert, um ein musikalisches Solidaritätsbekenntnis für die überfallene Ukraine abzuliefern. Sie nahmen sich einer im Internet viral gegangenen Version des patriotischen ukrainischen Liedes „Chervona Kalyna“ an, den der ukrainische Rocksänger Andriy Khlyvnyuk auf Instagram gepostet hatte, nachdem er von einer USA-Tournee in die Ukraine zurückgekehrt war, um sein Land zu verteidigen.
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„Hey Hey Rise Up“, so nennen Pink Floyd ihr Sample-Stück, besteht aus der Gesangsspur von Khlyvnyuk und daneben vor allem aus einem gewohnt großartigen Gitarrensolo von David Gilmour. Es ist ein deutliches Bekenntnis für das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung. Es ist in diesem Zusammenhang kein Friedenslied.
Unterdessen schlug der abtrünnige Roger Waters hier einen komplett anderen Weg ein und hielt am 8. Februar auf Einladung Russlands eine Rede vor dem UN-Sicherheitsrat, in dem er dem Westen eine Mitschuld am Krieg gibt und Friedensverhandlungen fordert. Wie um zu zeigen, dass die beiden verfeindeten Parteien aus dem Floyd-Lager natürlich auch zu dem Krieg in der Ukraine unvereinbare Auffassungen haben.
Roger Waters redet am 8. Februar 2023 per Videoschalte vor dem UN-Sicherheitsrat in New York City. Er fordert dort das Ende der Kampfhandlungen in der Ukraine und Friedensverhandlungen. Waters war der Konferenz auf Einladung Russlands zugeschaltet worden.
Roger Waters redet am 8. Februar 2023 per Videoschalte vor dem UN-Sicherheitsrat in New York City. Er fordert dort das Ende der Kampfhandlungen in der Ukraine und Friedensverhandlungen. Waters war der Konferenz auf Einladung Russlands zugeschaltet worden.
© Foto: Ed Jones

Das Trauma einer Nachkriegskindheit

Man muss vermutlich weit zurückgehen in die Biographie von Roger Waters, um zu erfassen, was da schiefgelaufen ist – und weshalb sein empfindliches Ego ihn immer wieder zu rätselhaften Alleingängen und verbalen Attacken verleitet hat. Der 1943 geborene Roger Waters hat selbst häufig den frühen Kriegstod seines Vaters Eric Fletcher Waters 1944 als prägende Erfahrung genannt, die ihn als Künstler beeinflusst hat.
Stichwort: „The Wall“. Das monumentale Floyd Konzeptalbum von 1979 – in wesentlichen Teilen von Roger Waters getextet und komponiert – ist eine bittere Abrechnung mit der als normierend und kalt empfundenen Gegenwartsgesellschaft, in der ein junger Mann eine imaginierte Schutzmauer um sein Ich herum errichtet. Das Trauma der im Zweiten Weltkrieg gefallenen Vaterfigur grundiert die Handlung über den gesamten Verlauf; Vaterlosigkeit und Angst vor der als gefährlich empfundenen Welt „da draußen“ bestimmt die Persönlichkeitsbildung ganz wesentlich (z. B. im Song „Mother“).
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Vom vierköpfigen Kreativteam zum Ego-Projekt

Stichwort: „The Final Cut“. Auf dem Floyd-Album von 1983 verschaltet Waters den Falklandkrieg indirekt mit dem Zweiten Weltkrieg. Der fehlende Vater schwebt hier („The Fletcher Memorial Home“) über allem. Zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Albums war Pink Floyd praktisch nur noch ein Vehikel für Waters` Konzeptkunst, auf dem David Gilmour Gitarre spielen und Nick Mason trommeln durfte. Eingespielt mit zahlreichen Studiomusikern und orchestralen Arrangements. Keyboarder Richard Wright hatte die Band damals vorübergehend verlassen, weil Waters kein gutes Haar an seinen instrumentalen Fähigkeiten gelassen hatte. Auch inhaltlich ist „The Final Cut“ nach „The Wall“ praktisch Teil zwei der Aufarbeitung von Waters` persönlichen Kindheitstraumata.
Pink Floyd mit Richard Wright (v. l.), David Gilmour, Roger Waters und Nick Mason in den frühen 70er-Jahren
Pink Floyd mit Richard Wright (v. l.), David Gilmour, Roger Waters und Nick Mason in den frühen 70er-Jahren
© Foto: imago stock&people
Der Verlust seines Vaters im Krieg bildete dann auch am 8. Februar dieses Jahres den Kern von Waters` Video-Botschaft vor dem UN-Sicherheitsrat. Zwar verurteilte Waters in der knapp viertelstündigen Rede den Krieg als unrechtsmäßige Invasion durch Russland, er gab darin aber den Nato-Staaten eine Mitschuld, da dem Waffengang Provokationen vorausgegangen seien. Seine Forderung: sofortige Friedensverhandlungen.
Im gehobenen, pathetischen Ton gab Waters dabei auch eine Anekdote über die Lehren seiner Mutter wieder, die er fast im selben Wortlaut aber schon zuvor in Interviews erzählt hatte. Offenkundig kommt der Songtexter von seinen Lebensthemen nicht los. Es läuft alles auf eine reflexartige Gleichsetzung von kapitalistischer Verwertungslogik, Imperialismus und Kriegstreiberei hinaus.

Tier-Kategorisierungen und das internationale Finanzkapital

Stichwort: „Animals“. Auf dem Album von 1977 teilte Waters im Anschluss an George Orwells dystopischen Roman „Animal Farm“ die Menschheit in Schafe, Hunde und Schweine ein, um ihre Rolle im gesellschaftlichen Gefüge zu beschreiben. Raffgier und Gewinnstreben, moralische Doppelstandards – die Vorwürfe, die er den Eliten macht, manifestieren sich in einer antisemitischen Symbolik.
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Fliegende Ballons in Schweineform sind in Pink-Floyd-Kreisen seit 1977 nichts Ungewöhnliches; diese Symbolik geht auf eine PR-Aktion für das „Animals“-Album zurück, als die Band ein riesenhaftes Schwein über der Industrieruine Battersea Power Station in London schweben ließ. Neu war zuletzt aber, dass Waters für Konzerte – neben anderen religiösen und gesellschaftspolitischen Symbolen – einen Davidstern auf diese Schweine aufdrucken ließ. Dazu passt Waters‘ Engagement für die Israel-kritische Kampagne BDS („Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“).
Es war für ihn daher vermutlich nur ein kleiner Schritt, Raffgier und Gewinnstreben mit Schweinen gleichzusetzen. Es ist ein uraltes Stereotyp, aus dem Mittelalter datierend: die Darstellung und Bezeichnung von Juden als Schweine. Noch immer prangen sogenannte „Judensau“-Abbildungen an Kirchen in Deutschland. Die Tier-Kategorisierung aus „Animals“-Zeiten greift auch ein altes Stereotyp auf, das in der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland populär war: die Unterscheidung zwischen „schaffender“ und „raffender“ Arbeit. Für „raffende“ Arbeit stehen dabei das internationale Finazkapital und die kosmopolitischen Eliten, oft gleichgesetzt mit dem Judentum. In seiner Rede vor der UN-Vollversammlung erwähnt Waters auch die „hard-working people“, in vielen Ländern, die er hinter sich wüsste und die sich sofortigen Frieden ersehnen würden.
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David Hasselhoff in Berlin
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Berlin

Ein Einwurf von Gilmour-Gattin Polly Sampson

Die Nähe zu antisemitischen Argumentationen mag theoretisch durchaus unbeabsichtigt sein. Allerdings: Jemandem, der sich so intensiv mit Politik und Geschichte auseinandersetzt, wie Roger Waters das offenkundig tut, hier Unbedarftheit zu Gute zu halten – das ist eigentlich schwer denkbar. Selbst wenn eine antisemitische Lesart nicht intendiert war, muss der Musiker und Texter sich zumindest der Gefahr bewusst gewesen sein, dass seine Symbolik entsprechend interpretiert werden konnte.
Roger Waters, Mitbegründer und Bassist der Rockband Pink Floyd, kündigt seine Teilnahme an einer "Free Assange"-Kundgebung an, die in London stattfinden sollte. Er gerät wegen israelkritischer Äußerungen und Aktionen zunehmend in die Kritik.
Roger Waters, Mitbegründer und Bassist der Rockband Pink Floyd, kündigt seine Teilnahme an einer "Free Assange"-Kundgebung an, die in London stattfinden sollte. Er gerät wegen israelkritischer Äußerungen und Aktionen zunehmend in die Kritik.
© Foto: Victoria Jones/dpa
Waters selbst weist jeglichen Antisemitismus weit von sich. Gilmours Ehefrau Polly Sampson, selbst Schriftstellerin und nach dem Ausstieg von Waters als Texterin am Pink-Floyd-Songwriting beteiligt, hat kürzlich an Waters gerichtet getwittert: „Leider bist du antisemitisch bis ins Mark“, und noch dazu ein „lügender, diebischer, heuchlerischer, steuervermeidender, Playback singender, frauenfeindlicher, neidzerfressener Größenwahnsinniger“. David Gilmour schloss sich dem Tweed an.

Konzertabsage in Frankfurt am Main

Derzeit tourt Roger Waters wieder einmal – und eventuell zum letzten Mal – durch Europa. Die „His First Farewell – This Is Not A Drill“-Tour führt den Briten auch nach Deutschland. Und darum wird wegen der im Raum stehenden Antisemitismus-Vorwürfe derzeit heftig gerungen. Ein Konzert in Frankfurt am Main am 28. Mai soll nach jetzigem Stand abgesagt werden. Nach langen Debatten haben der Frankfurter Magistrat und das Land Hessen, die beide den Veranstaltungsort Festhalle gemeinsam betreiben, einmütig diesen Beschluss gefasst. In Köln debattierte die Stadtpolitik ebenfalls darüber, ob ein für den 9. Mai angesetztes Konzert abgesagt werden soll.
Auch in München hat ein für den 21. Mai angesetztes Konzert von Roger Waters hohe Wellen geschlagen. Der Stadtrat der bayerischen Landeshauptstadt sieht keine Möglichkeit, das Konzert des umstrittenen Pink-Floyd-Gründers Roger Waters in der Olympiahalle zu verbieten. Dem Stadtrat lag bei seiner Sitzung am Mittwoch (22. März) ein Rechtsgutachten vor, nachdem er über eine Absage des Waters-Konzerts nicht abstimmen könne. Dies habe die rechtliche Prüfung des Rathauses und der Regierung von Oberbayern ergeben, teilte Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) mit.
Man sehe „keine rechtssichere Möglichkeit, die Zulassung zu der öffentlichen Einrichtung zu versagen“, hieß es in der Stellungnahme. „Ich will ihn hier nicht haben, aber wir müssen es jetzt ertragen“, sagte Reiter. Gerade in der früheren „Hauptstadt der Bewegung“ der Nationalsozialisten und in unmittelbarer Nähe zum Tatort des Olympia-Attentats von 1972 halte er es für „unsäglich“, einen solchen Künstler auftreten zu lassen.
„Diese Entscheidung ist ein Schlag ins Gesicht für die jüdische Gemeinschaft und für alle, die sich für ein respektvolles und tolerantes Zusammenleben einsetzen“, reagierte die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, auf die Entscheidung.
Der britische Sänger hatte in der vergangenen Woche bekanntgegeben, dass er gegen geplante Konzertabsagen in Frankfurt am Main und München vorgehen werde.
Ganz anders sieht es derzeit in Berlin aus. Dort sind wegen hoher Nachfrage nach den Tickets gleich zwei Konzerte anberaumt worden. Am 17. Und 18. Mai soll Waters samt Band und opulenter Bühnenshow in der Mercedes-Benz-Arena auftreten. Bislang konkretisieren sich hier jedoch nicht die durchaus geäußerten Wünsche, auch diese Konzerte abzusagen. (mit epd)