Mehrere Tausend Menschen haben zur Agrarmesse Grüne Woche in Berlin für mehr Tier- und Klimaschutz in der Landwirtschaft demonstriert. „Massentierhaltung braucht kein Schwein“, hieß es auf einer Schweinefigur, die Demonstranten über die Straße zogen. „Agrarindustrie Tötet!“, „Insekten schützen“ und „Für Gentechnik fliege ich nicht“ lauteten andere Slogans. In der Luft schwebten große Ballone und auch eine Insektenfigur.
Parallel zur Agrar- und Ernährungsmesse Grüne Woche sind am Samstag in Berlin wieder Tausende Menschen aus ganz Deutschland für eine umweltschonendere Landwirtschaft auf die Straße gegangen. Veranstalter war ein Bündnis aus Bauern, Klima- und Tierschützern sowie weiteren Verbänden.
Protest an Özdemir überreicht
Landwirte überreichten Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) eine Protestnote. „Wir erwarten deutlich mehr von Agrarminister Özdemir und der Bundesregierung, das war zu wenig ambitioniert, zu mutlos und zu langsam“, sagte Bündnis-Sprecherin Inka Lange mit Blick auf ein Jahr Agrar- und Ernährungspolitik der Koalition von SPD, Grünen und FDP. Die Initiative „Wir haben es satt“ fordert faire Erzeugerpreise, Sozialleistungen, die ökologischen Konsum möglich machen, und mehr Ackerflächen für den Anbau menschlicher Nahrung statt für Futter.
Özdemir nannte es „ein gutes Zeichen“, dass viele Forderungspunkte der Demonstration mit der Deklaration der parallel in Berlin tagenden Agrarminister übereinstimmten. In einer Erklärung unterstrichen die Regierungsvertreter aus 64 Ländern das Ziel eines stärkeren Kampfes gegen den Hunger in der verschärften Lage wegen des Ukraine-Kriegs. Nötig seien praxistaugliche Lösungen und mehr Unterstützung besonders für Kleinbauern, sagte Özdemir. Für das global vereinbarte Ziel, den Hunger in der Welt bis 2030 zu beenden, gebe es nur noch acht Ernten.
Özdemir sagte, gerade seien angesichts des Ukraine-Krieges und der Klimakrise so viele Menschen gleichzeitig von Hunger betroffen wie nie zuvor. Rund 800 Millionen Menschen hungerten, zwei Milliarden Menschen hätten keinen dauerhaft gesicherten Zugang zu Nahrung. Dabei könne Landwirtschaft nur erfolgreich zur Ernährungssicherung beitragen, wenn sie zugleich den Planeten erhalte. Auch Länder des globalen Südens hätten ein Recht auf gesunde Ökosysteme.
Der Minister betonte, Deutschland und die EU müssten im Kampf gegen den Hunger in Afrika endlich präsenter sein. „Wir dürfen das Feld nicht den autoritären Staaten überlassen, die dort aktiv sind und durch ihre Investitionen versuchen, neue Abhängigkeiten zu schaffen.“ Die Bundesregierung vereinbarte dazu mit der Afrikanischen Union eine „Zukunftspartnerschaft“, um Ernährungssysteme krisenfester zu machen.
Zentral sei ein Wissenstransfer. Know-how etwa zum Pflanzenschutz gehöre nach Afrika und „nicht primär in die Konzernzentralen, die damit natürlich Geld verdienen wollen“. Um Verluste nach der Ernte von bis zu 50 Prozent zu vermeiden, brauche es Lagermöglichkeiten, Logistik und Verarbeitungskapazitäten. Özdemir übte auch Selbstkritik am europäischen Kurs. Man müsse sich fragen, ob Agrarexporte Krisen verstärkten und Abhängigkeiten förderten - indem sie Perspektiven für afrikanische Märkte etwa für Geflügel und Milch vernichteten.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj unterstrich in einer Videobotschaft bei der Konferenz, dass sein Land trotz des russischen Angriffskriegs weiter Lebensmittel für die Welt bereit stellen wolle. Trotz russischer Raketenangriffe auf die Infrastruktur und brutaler Kämpfe in Regionen, die extrem wichtig für die Landwirtschaft seien, bestellten die Bauern weiter die Felder. Er beklagte anhaltende Behinderungen von Exporten per Schiff durch russische Vertreter.
Gesang am Brandenburger Tor
Mit 55 Traktoren waren am Morgen Bäuerinnen und Bauern in Brandenburg in Richtung Brandenburger Tor aufgebrochen, wie ein Sprecher der Initiative „Wir haben es satt“ mitteilte. Laut Veranstalter nahmen rund 10 000 Menschen an der Demonstration teil. Die Polizei sprach von gut 7000 Männern und Frauen. Die Demonstration sei friedlich verlaufen, sagte ein Sprecher.
Die Menschen sangen „Heal the world“ von Michael Jackson und zogen vom Brandenburger Tor aus ins Regierungsviertel, bis es über die Straße des 17. Juni zurück zu dem Berliner Wahrzeichen ging.
An der Initiative sind Vertreter ökologisch und konventionell wirtschaftender Bauern, Natur-, Umwelt- und Tierschutzverbände sowie kirchliche Hilfswerke beteiligt. Die Demonstration findet seit mehreren Jahren anlässlich der Agrarmesse Grüne Woche in Berlin statt, die seit Freitag für Besucher offen steht.
Bis zum 29. Januar präsentieren rund 1400 Aussteller aus Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie ihre Produkte in den Berliner Messehallen. Zugleich ist das Branchentreffen ein wichtiger Ort für den politischen Austausch über die Zukunft der Landwirtschaft.