Die grüne Kandidatin Hanna Steinmüller, 26, war nicht nur die einzige Unter-55-Jährige, sondern auch die einzige, die zum ersten Mal kandidiert. Helmut Scholz sitzt für die Europäische Linke seit 2009 im Parlament. Bereits seit 2004 ist Tadeusz Zwiefka in Straßburg und Brüssel dabei, der einzige polnische Gast. Genauso lange wie sein Sitznachbar, Fraktionskollege und Duzfreund von der CDU Christian Ehler. Da noch ein Sozialdemokrat fehlte, lud der RCDS den Frankfurter SPD-Mann und Flüchtlingsanwalt Dieter Bollmann dazu, der sich gern als "ältesten Europäer der Stadt" bezeichnet.
Das Kunststück, europaskeptische Rechte, etwa Kandidaten von AfD oder von Polens Regierungspartei PiS, am Mittwoch in den Logensaal der Europa-Universität zu holen, gelang nicht. – Noch zum Semesterstart hatte Viadrina-Präsidentin Julia von Blumenthal von einer solchen Absicht gesprochen. Eine Debatte für oder wider Europäische Union blieb den Besuchern daher erspart, am Ende ging es darum, welche Art von Mehr Europa real und sinnvoll ist – anhand der konkreten Frage, ob das Europaparlament das Initiativrecht bekommen sollte, also das Recht, Gesetze einzubringen, nicht nur abzustimmen. Grundlage der Debatte sollte "Europa in der Doppelstadt" sein. Die Frage von Słubices Bürgermeister Olejniczak, was die Europaabgeordneten für diese Doppelstadt anzubieten haben, konnte noch am besten der in Brandenburg gewählte Strukturförderexperte Christian Ehler parieren. Der den Tipp gab: "Ein Handlungsplan reicht nicht. Um ein Schwimmbad oder eine Straßenbahn gefördert zu bekommen, braucht ihr ein gemeinsames Stadtentwicklungskonzept." Darin müsse man auch Projekte wie die Słubicer Umgehungsstraße gemeinsam denken, sagte Ehler und unterstrich: "Als deutscher Europaparlamentarier vertrete ich die Interessen der europäischen Bürger, nicht nur die nationalen meines Heimatlandes."
Zwiefka pflichtete ihm bei und bekannte sich zum "Europa der Regionen". Die Grüne Hanna Steinmüller bot Bürgermeister Olejniczak an, sich für weniger EU-Bürokratie stark zu machen. "Wir wollen, dass Kommunen EU-Projekte direkt beantragen können und nicht über Potsdam oder Warschau gehen müssen." Aber genau dafür brauche das Parlament das Initiativrecht, das alle befürworteten, besonders Helmut Scholz: "Wir brauchen das Initiativrecht dringend und wollen einen Kommissionspräsidenten, der das einbringt."
Nur Christian Ehler blieb skeptisch. Das Initiativrecht schließe nationale Parlamente von Entscheidungen aus. Das könne fatale Widerstände hervorbringen. Besonders in einem Land wie Polen, das aus historischen Gründen um seine Souveränität fürchte. Sein polnischer Fraktionsfreund Zwiefka schwieg dazu.

Die Europawahl in Deutschland und Polen

Bei der Wahl zum Europaparlament vom 23. bis 26. Mai werden 751 Abgeordnete in 28 Mitgliedstaaten gewählt. Deutschland erhält 96 Sitze, Polen 51 (nach dem Brexit erhöht sich die Zahl auf 52). Auf dem Stimmzettel für das Land Brandenburg sind mehr als 40 Parteien verzeichnet. Die meisten treten mit einer bundesweit einheitlichen Liste an. Die CDU hat eine Liste für das Land Brandenburg. Christian Ehler ist ihr Spitzenkandidat. Helmut Scholz belegt Platz 4 der linken, Hanna Steinmüller Platz 33 der bündnisgrünen Liste. Einfluss auf die Reihenfolge der Liste kann man nicht nehmen. Anders als bei der Bundestagswahl hat jeder Wahlberechtigte nur eine Stimme. Der größte Unterschied im Wahlsystem zu Polen ist, dass es in Deutschland keine 5-Prozent-Sperrklausel gilt. In Polen gibt es 13 Wahlbezirke (bei 16 Wojewodschaften). Die Parteien treten meist mit regional verschiedenen Listen an. Słubice gehört zum Wahlbezirk 13, der die Wojewodschaften Lubuskie und Westpommern umfasst. Pro Wahlbezirk können mehrere Mandate gewonnen werden. Wieviele es sind, hängt nicht nur vom Stimmenanteil, sondern auch von der Wahlbeteiligung im jeweiligen Bezirk ab. Aus Wahlbezirk 13 zogen zuletzt drei Abgeordnete ein. Bei der jetzigen Wahl treten in Lubuskie sechs Parteien bzw. Bündnisse von links bis rechtsradikal an: als aussichtsreichste gilt die Regierungspartei PiS mit dem Spitzenkandidaten Joachim Brudzinski sowie die "Europäische Koalition", ein Zusammenschluss der liberalen Opposition (Bürgerplattform, SLD, PSL, Grüne). Die Liste führt Bogusław Liberadzki an. Marschallin Elzbieta Polak kandidiert auf Platz 4. nmw