Das Lied, mit dem Lilo Wanders gleich zu Beginn das ausverkaufte Haus begrüßte, passte eigentlich ganz gut zur Gefühlslage vieler Menschen in Frankfurt (Oder) wenige Wochen nach dem verlorenen Wettbewerb um das Zukunftszentrum. Sie sang über „den Morgen danach“ – das verkaterte Erwachen nach einer berauschten Nacht mit viel Alkohol, Zigaretten, Träumereien und Übermut.
Nur folgerichtig begaben sich Lilo Wanders und Moderatorenkollege David Friedrich dann auch gleich mit dem Publikum und dem ersten Gast ein Stück weit in Gruppentherapie. Andor Poll berät Städte in Sachen Stadtentwicklung. Frankfurt, sagte er, habe beim Zukunftszentrum schlicht „mal wieder Pech gehabt“. Den Kopf in den Sand stecken müsse die Stadt deshalb nicht. Sondern stattdessen weiter an einigen wenigen, dafür herausragenden Projekten dranbleiben, Visionen entwickeln.
Neue Brücken über den Fluss und ein echter Uni-Campus
Er zeigte eine Luftaufnahme mit der Stadtbrücke über die Oder und der kleineren Brücke am Ziegenwerder. „Für eine ‚Stadt der Brückenbauer‘ ist das ein bisschen wenig“, befand Andor Poll – um mit dem nächsten Bild einige spektakuläre, neue Brückenbauwerke über den Fluss anzudeuten. „So etwas würde ich mir für Frankfurt wünschen“, erklärt er. Genauso übrigens wie einen echten, lebendigen Uni-Campus. „Wenn ich hierherkomme, habe ich nicht das Gefühl, in einer Universitätsstadt zu sein.“ Das müsste sich ändern.
Abgesehen davon habe Frankfurt „als entspannte Schwester von Berlin“ mit den vielen ungenutzten Räumen viele Chancen. „Das Spannendste ist, dass die Stadt noch nicht perfekt, noch nicht fertig ist“.
Menschen dabei zu helfen, mit ihrem eigenen Hund nicht nur fertig, sondern ein tolles Team zu werden, hat sich Ulrike Seumel zur Aufgabe gemacht. In Potsdam betreibt sie eine Hundeschule, die Texte und Podcasts der Hundetrainerin haben inzwischen fast eine Million Menschen erreicht. Auf der Bühne im Kleist Forum lernten die beiden Hundehalter Lilo Wanders und David Friedrich (beide hatten Fotos ihrer Lieblinge mitgebracht) von ihr, dass Futter als Belohnung beim Erziehen der Vierbeiner nicht alles ist. Denn auch Hunde könne man eben nicht „auf eine nette Art“ zu Dingen zwingen, mit denen sie sich eigentlich gar nicht wohlfühlen, erklärte sie.
„Hunde sind nicht bloß ein Hobby, sondern Lebewesen“
Ulrike Seumel gab Tipps, wie sich verhalten sollte, wer sich von einem fremden Hund bedroht fühlt („Die schlechteste Idee ist, schnell wegzulaufen“) und sprach auch über während der Pandemie angeschaffte „Corona-Hunde“. Eines der größten Probleme sei, so die Expertin, dass viele denken, so ein Hund laufe im Alltag nur mit. Doch „Hunde sind nicht bloß ein Hobby, sondern Lebewesen.“
Seine Leidenschaft zum Beruf gemacht hat auch Sebastian Klussmann. Der professionelle Quizspieler und Rekordnationalspieler in der Quiznationalmannschaft (die gibt es wirklich) ist vielen Fernsehzuschauern vor allem als „Jäger“ in der ARD-Quizshow „Gefragt – Gejagt“ bekannt. Sein breites Allgemeinwissen hat er sich über Jahre auf verschiedenen Wegen angeeignet, und zwar nicht nur über stupides Pauken. „Lernen ist etwas ganz Emotionales. Ich habe keine Listen zu Hause, die ich auswendig lerne“, erzählte er. Stattdessen mache es ihm einfach Spaß, Neues zu lernen oder altes Wissen wieder auszugraben – wobei er auch Schwachstellen habe, wie er preisgab. „Ich bin führerscheinlos und wirklich kein Autonarr. […] Und in Blumen bin ich auch ganz schlecht.“
Was das Publikum an diesem Abend lernen konnte: Alle drei Protagonisten haben schon so ihre Erfahrungen mit Günther Jauchs Show „Wer wird Millionär“ gemacht – Sebastian Klussmann und David Friedrich als Telefonjoker, Lilo Wanders sogar als Kandidatin.
100 Jahre alt will Winfried Glatzeder nicht unbedingt werden
Zu den großen Momenten des Abends gehörte der Auftritt von Winfried Glatzeder. Der Schauspieler folgte keinem Skript. Zum Fragen kamen Lilo Wanders und David Friedrich kaum. Mussten sie auch nicht. Er unterhielt sich und das Publikum ganz von allein, vor allem mit seinen selbstironischen Lamentis über das Altwerden.
„Ich rede am liebsten über Krankheiten“, meinte der 78-Jährige und bekannte: 100 Jahre alt wolle er nach einem wenig ermutigenden ARD-Bericht über 100-Jährige nicht unbedingt werden. Wobei ihm kürzlich auch eine Dame gesagt habe: „Solange Sie oben noch helle sind, und unten dicht, dann ist doch alles in Ordnung!“
Um den DDR-Kultfilm schlechthin ging es natürlich auch. „Die Legende von Paul und Paula“ feierte vor fast genau 50 Jahren Premiere in den Kinos – gerade ist er auch auf Netflix abrufbar. Winfried Glatzeder und Angelica Domröse („damals die schönste Frau in der DDR“) waren das Traumpaar auf der Leinwand, schafften mit dem Film ihren Durchbruch. Er sei fasziniert von ihrer Arbeit als Schauspielerin gewesen, „wie sie die Szenen immer auf den Boden der Tatsachen bringt“.
Austritt statt Eintritt im Theater am Rand im Oderbruch
Mit bleibenden Eindrücken verabschiedete Thomas Rühmann als letzter Gast das Publikum auf den Heimweg. Der Schauspieler, der auch Liedermacher ist, begleite sich an der Gitarre selbst und trug einige kraftvolle, teils nachdenkliche Stücke aus seinem aktuellen Programm vor.
In 1000 Folgen der ARD-Serie „In aller Freundschaft“ hat er mitgespielt, seit 25 Jahren wird sie ausgestrahlt. Genauso lange betreibt Thomas Rühmann zusammen mit Tobias Morgenstern das kleine „Theater am Rand“ in Zollbrücke im Oderbruch, in dem die Zuschauer keinen Eintritt, sondern Austritt zahlen – eine selbstbestimmte Summe, die ihnen der Abend wert war.
Mit einer Bühnenfassung von Annie Proulx‘ Roman „Das grüne Akkordeon“, wegen fehlender Aufführungsrechte ohne große Öffentlichkeit im Wohnzimmer von Tobias Morgenstern gespielt, habe alles angefangen. „Es war nicht die Absicht, ein Theater zu gründen, es ist uns unter der Hand so passiert. Und wir haben einfach nicht aufgehört zu spielen“, erzählte er. 22 Jahre lang hätten sie ohne Förderung gespielt, auch durch Corona seien sie gut gekommen. „Und es gibt uns heute noch.“