Die ersten Jahre nach der Wende waren eine abenteuerliche Zeit. Während viele volkseigene Betriebe abgewickelt wurden, zahlreiche Menschen ohne Job in eine unsichere Zukunft blickten und Supermärkte aus dem Boden schossen, zog die Rote Armee aus der ehemaligen DDR ab.
Joachim Glaser begleitete den Abschied des sowjetischen Militärs aus dem Altkreis Neuruppin hautnah. Der studierte Agrochemiker war von 1990 bis 1994 im Umweltamt als zuständiger Sachbearbeiter für Altlasten im Gebiet der Kasernen im Altkreis zuständig. Aus jener Zeit kann er zahlreiche Anekdoten erzählen. Er selbst habe erst durch seine Arbeit mitbekommen, dass in und um Neuruppin 21.000 sowjetische Soldaten stationiert waren.
Kerosin landete im Ruppiner See
„Der Flugplatz mit seinen 366 Hektar war für Neuruppin natürlich der prägendste Teil“, sagt Glaser. Die Sowjets hatten dort Langstreckenbomber des Typs Su-19 stationiert. Für die Bewohner der Region gehörte der Knall, wenn die Jets die Schallmauer durchbrachen, zum Alltag. Für Glasers Arbeit beim Umweltamt brachte der Flugplatz erhebliche Probleme mit sich. Jeder einzelne Hangar verfügte über eine eigene Tankanlage, um die Flugzeuge dort autark betanken und einsatzfähig machen zu können.
Die Leitungen waren aber zum Teil undicht. Auch ging beim Betanken zuweilen etwas daneben. Der Flugplatz wurde über den Klappgraben entwässert. So landeten große Mengen Kerosin über den Graben im Ruppiner See. Der Graben selbst war stark verunreinigt. „Wegen des Kerosins bin ich damals zum Oberregierungsrat nach Cottbus gefahren. Der hat 14 Millionen D-Mark Soforthilfe organisiert“, so Glaser. Die Abflüsse am Flugplatz und der Klappgraben wurden von dem Geld abgepumpt und ausgeschachtet.
Umweltverschmutzung in großem Ausmaß
Im Zuge der Übergabe der Grundstücke stellte sich heraus, in welchem Ausmaß die Sowjets die Umwelt in Neuruppin verschmutzt hatten. MOZ-Fotograf Eckhard Handke dokumentierte am 13. Juni 1991 einen Einsatz Glasers, nachdem Ölspuren im Ruppiner See gefunden wurden. Glaser gelang es, die Ursachen ausfindig zu machen: Das Altöl hatte seinen Weg aus einer übervollen Kanalisation an der Friedrich-Franz-Kaserne an der Junkerstraße genommen und war dadurch in den Ruppiner See gelangt. Eine Bergungsfirma hatte in Neuruppin fast drei Tage lang damit zu tun, um die etwa 70.000 Liter Ölschlamm aus den Rohren zu pumpen.
Glaser vertrat damals die Meinung, dass mehr als 40 Jahre lang Öl von den Angehörigen der Einheiten der Sowjetarmee in die Kanalisation geleitet worden war. Die Bergungskosten für die dreitägige, aufwendige Aktion belief sich auf insgesamt 150.000 D-Mark. Doch durch diesen finanziellen Aufwand konnte vielleicht eine drohende Umweltkatastrophe von größerem Ausmaße verhindert werden. Am 10. Juni 1991 war zudem beobachtet worden, wie alte Fässer und anderer Müll am sowjetischen Militärkrankenhaus, dem heutigen Kreis-Verwaltungsgebäude an der Neustädter Straße, erst in Löcher abgeladen und anschließend planiert worden waren.
Betriebe bedienten sich in Diesellager
Glaser hatte mit vielen solchen Altlasten zu tun. Er musste auch organisieren, was mit alten Reifen oder zurückgelassener Munition geschehen soll. Als Verbindungsmann zwischen dem Wirtschaftsleiter der sowjetischen Garnison in Neuruppin und dem Bundesvermögensamt in Potsdam liefen solche Vorgänge ständig über seinen Tisch. Als der Bund die militärischen Liegenschaften übernahm die Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft mbH (IAGB) die Erstbewertung der etwaigen Belastungen der Grundstücke mit Munition und Schadstoffen.
Meistens verschaffte Glaser sich einen ersten Überblick. „Auf Grundlage des Berichts, der so entstand, konnten weitere Flächen beräumt werden“, sagt er. Einige Unternehmen bereicherten sich auch an den Hinterlassenschaften der Rotarmisten. „In Altfriesack war das größte Kerosin- und Diesellager in der Region. Wie viele Betriebe sich da bedient haben“, sagt Glaser.
Für einen halben Tag in Arrest
Mit einem Ausweis, den ihm die Kommandantur auf Russisch ausgestellt hatte, kam er in jedes Objekt. Auf der Rückseite stand genau, welche rechte er vor Ort hatte. Dennoch kam es einmal zu einer Verwechslung. Glaser war mit einem Kollegen auf dem Areal zwischen dem heutigen Evangelischen Gymnasium und dem Arbeitsgericht unterwegs und machte Fotos.
Ein Wachsoldat dachte, Glaser sei dort unbefugt unterwegs und stellte ihn unter Arrest. „Ich wurde für einen halben Tag in einen Raum eingesperrt“, erinnert er sich. Erst als sein Kollege nach ihm fragte, konnte das Missverständnis aufgeklärt werden. Seinen Fotoapparat musste Glaser trotzdem dalassen. „Die Bilder waren weg.“ Der Umgang mit den Soldaten sei oft freundlich gewesen. „Viele Offiziere wussten nicht, wie es für sie weitergeht, und wo sie hinkommen. Viele kamen in den Kaukasus. Andere verließen die Armee“, sagt Glaser. Einige versuchten noch, in Deutschland an Ladas zu kommen. Wenn er konnte, vermittelte Glaser dann.
Rentner übernachteten in Panzerkaserne
Einmal, nachdem die Rote Armee bereits abgezogen war, rief der Wachschutz Glaser zur ehemaligen Panzerkaserne an der Alt Ruppiner Allee. Auf dem Dachboden eines Gebäudes schliefen sechs alte Männer. „Zwei von ihnen hatten als junge Offiziere zu Zeiten des Nationalsozialismus in Neuruppin gedient. Einer hatte die Kaserne mit aufgebaut“, sagt Glaser. Die Senioren nutzten die Gelegenheit, dass die Objekte nun leer standen, um eine Reise in die eigene Vergangenheit zu unternehmen. Viele Einheimische indes streiften in den 1990er-Jahren durch die leerstehenden Militärgebäude, um Hinterlassenschaften wie Waffen, Munition, Tarnnetze und andere Ausrüstungsgegenstände zu sammeln.
Aus Kasernen wurden Schulen und Behörden
Heute werden die meisten einstigen militärischen Gebäude zivil genutzt. Sie beherbergen Schulen, Gerichte, die Staatsanwaltschaft, die Polizei und Behörden. „Dass sich Neuruppin so entwickelt hat, ist drei wichtigen Menschen mit einer Vision zu verdanken: Joachim Zindler als damaliger Bürgermeister, Jens-Peter Golde als Wirtschaftsdezernent und dem Baudezernenten Arne Krohn“, ist sich Glaser sicher.
Er selbst machte sich 1994 selbstständig. Seit 2009 betreibt er den Bootsverleih Rhinpaddel. Als das Unternehmen auch noch am Neuruppiner Bollwerk einen Fahrradverleih betrieb, traf er regelmäßig auf ehemalige Soldaten und Offiziere, die einst in Neuruppin stationiert waren und zum Urlaub der Stadt einen Besuch erstatteten. „Viele haben die alten Kasernen abgefahren und waren erstaunt, was daraus geworden ist“, sagt Glaser.
Er selbst ist froh, dass sich die Dinge so entwickelt haben. Wäre der Kalte Krieg damals zu einem heißen geworden, wäre Neuruppin ein Primärziel gewesen.