Mit sogenannten Zielplanungen werden die inhaltliche und bauliche Weiterentwicklung der Gedenkstätten in Sachsenhausen und Ravensbrück für die nächsten Jahre festgelegt. Ihre Umsetzung soll in den folgenden Jahren einen Schwerpunkt der Arbeit der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten bilden. Von Investitionen im dreistelligen Millionenbereich ist die Rede. Was passiert mit dem Geld?
Mit modernster Technik ermöglicht die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten auch ihren Besuchern in Oranienburg Einblicke in das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichten. Die neueste Errungenschaft, ein Multi-Touch-Tisch mit einer Diagonale von 86 Zoll, weckte am Mittwoch, 1. März, bei Manja Schüle (SPD) gesteigertes Interesse. Die Landesministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur informierte sich an dem Gerät, das mit einer Abmessung von 2,20 mal 1,30 Metern wie ein überdimensionales Tablet wirkt, über die Täter am Schreibtisch. Offengelegt werden in der crossmedialen Ausstellung die Verbrechen hinter den Akten, wie es Stiftungsdirektor Axel Drecoll formulierte.
So begründet Axel Drecoll den Investitionsbedarf
Der Leiter der Gedenkstätte und des Museums Sachsenhausen gab bei einer Pressekonferenz einen Ausblick auf das Jahresprogramm sowie die Entwicklung der Gedenkstätten. Von Zielplanungen für Ravensbrück und Sachsenhausen war die Rede. Diese legen die inhaltliche und bauliche Weiterentwicklung für die nächsten Jahre fest.
Der Umstand, dass sich die Besucherzahlen seit Mitte der 1990er-Jahre in etwa verdoppelt haben, würde dazu führen, dass ein neues Besucherinformationszentrum und größere Seminarräume benötigt werden. Zudem seien durch Forschungserkenntnisse und Entwicklungen neue Konzepte erforderlich – in technischer und inhaltlicher Form. „Gedenkstättenarbeit ist immer dynamisch.“ Reicht die historische Substanz? Müssen funktionale Neubauten entstehen? Das seien Fragen, die mit Architekturbüros erörtert werden.
Der Investitionsbedarf für das 40-Hektar-Areal in Sachsenhausen bewege sich in den kommenden zehn bis 15 Jahren laut Drecoll bei rund 70 Millionen Euro. Bei einem Bestand von 60 Gebäuden und rund 5000 Quadratmetern Ausstellungsflächen sei es „naheliegend, wie solche Summen zustande kommen“. Die Zahlen und Zeiträume seien nicht endgültig. „Es liegen bislang nur Vorplanungen und Schätzungen vor.“ Konkrete Entwürfe stünden noch aus, so der Leiter, der auf ein Hilfspaket vom Bund hofft.
Das passiert in Ravensbrück
Der Bedarf für die Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück wird mit 36 Millionen Euro angegeben. Leiterin Andrea Genest: „Wir wollen die Aufmerksamkeit der Besucherinnen und Besucher stärker auf das ehemalige Häftlingsgelände hinter der ehemaligen Kommandantur lenken.“ Dazu sollen unter anderem die Fabrikhallen der mechanischen Werkstätten, „die als zentraler Ort der Häftlings-Zwangsarbeit ein einzigartiges Baudenkmal darstellen“, denkmalgerecht saniert werden. Dort sollen künftig Teile der Hauptausstellung gezeigt werden sowie Räume für Bildungsarbeit und Depotzwecke entstehen.
Nach einem pandemiebedingten Rückgang sind die Besucherzahlen in Ravensbrück im vergangenen Jahr wieder auf 60.000 gestiegen; in Sachsenhausen auf 355.000. Manja Schüle unterstrich, dass die Erinnerung wachgehalten werden müsse. Die authentischen und berührenden Stimmen der Zeitzeugen, die einst die NS-Verbrechen überlebten, würden mehr und mehr verstummen. „Sie dürfen nach ihrem Tod nicht dem Vergessen anheimfallen.“ Dazu wollen die Gedenkstätten auch 30 Jahre nach Gründung der Gedenkstättenstiftung mit einer Vielzahl von Veranstaltungen und Ausstellungen ihren Beitrag leisten.
Digitale Bildungsangebote immer mehr gefragt
In diesem Zusammenhang unterstrich Drecoll, wie wichtig auch für die Stiftung das Thema Digitalisierung sei – nicht zuletzt aufgrund der Corona-Pandemie. Digitale Bildungsangebote seien immer mehr gefragt. So werde die Ausstellung zum „Inspekteur der Konzentrationslager“ überarbeitet und multimedial ergänzt.
Ein weiteres Beispiel sei die App „Dingen auf der Spur“, die junge Menschen zur Beschäftigung mit Gegenständen aus dem KZ Sachsenhausen einladen soll. Das digitale Werkzeug diene der Unterstützung der Bildungsarbeit und wurde gemeinsam von den Gedenkstätten Sachsenhausen und Buchenwald entwickelt. „Das primäre pädagogische Ziel der Anwendung liegt darin, Neugierde zu wecken und erste Vorstellungen von der Welt innerhalb der Konzentrationslager zu vermitteln.“
Veranstaltungen im Jahr 2023
Am 21. März, dem 90. Jahrestag der Gründung des KZ Oranienburg, wird in der Kreisstadt die Ausstellung „Auftakt des Terrors“ eröffnet, kündigte Axel Drecoll, Leiter der Gedenkstätte und des Museums Sachsenhausen, an. Thematisiert werden 15 der insgesamt mehr als 90 frühen Konzentrationslager. Darunter sei auch das von der lokalen SA-Standarte mitten in der Stadt in den leerstehenden Gebäuden einer ehemaligen Brauerei eingerichtete KZ Oranienburg. Bis zur Auflösung des Lagers Anfang Juli 1934 waren hier rund 3000 politische Gegner der Nationalsozialisten inhaftiert.
Zum Jahrestag der Befreiung am 23. April erwarten die Gedenkstätten Sachsenhausen und Ravensbrück rund 20 Überlebende aus aller Welt. In der Zeit vom 22. bis 24. April wird an den 78. Jahrestag der Befreiung der Häftlinge des KZ Sachsenhausen erinnert. Um den letzten Überlebenden des Lagers die Teilnahme an den Veranstaltungen zu ermöglichen, hat die Gedenkstätte rund 50 Einladungen in alle Welt verschickt.
In der Gedenkstätte Ravensbrück, wo die Gedenkfeiern vom 20. bis 30. April stattfinden werden, wird zur zentralen Gedenkfeier neben Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) auch der dänische KZ-Überlebende Ib Katznelson erwartet. Er war im Alter von zwei Jahren mit seiner Mutter nach Ravensbrück deportiert worden.
Axel Drecoll hob beim Blick auf das Jahr zudem das Ende 2022 gestartete Projekt „Campus. Geschichtsräume Berlin-Brandenburg“ hervor, mit dem die lokale Verankerung der Gedenkstätten weiter gestärkt und der wechselseitige Wissenstransfer von Gedenkstätten und Wissenschaft in die Region gefördert werden soll.
Als besonderes Anliegen bezeichnete Andrea Genest, Leiterin der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, die Ausstellung „#Stolen Memory“ der Arolsen Archives. Diese wird am 14. Juli eröffnet und befasst sich mit den in Arolsen aufbewahrten persönlichen Gegenständen, die Häftlingen bei der Aufnahme ins KZ weggenommen wurden. Mit der Ausstellung werde das Ziel verfolgt, Angehörige ausfindig zu machen, um diese wertvollen Memorabilien an die Familien zurückzugeben. „Wir hoffen, dass wir mit der Präsentation in Ravensbrück dazu beitragen können.“
Die 16. Sommer-Universität Ravensbrück wird sich vom 28. August bis 1. September mit dem Thema der Zeugenschaft im Zeichen des medialen Wandels beschäftigen. Sie nimmt sich dem Spannungsverhältnis von Zeuge, Zeugnis sowie historischer und pädagogischer Vermittlungsarbeit an.