Erstmals in Brandenburg soll noch dieses Jahr bei Bedarf auch der Standstreifen einer Autobahn für den fließenden Verkehr genutzt werden können. Für dieses Pilotprojekt in den neuen Bundesländern sind die Seitenstreifen der A24 zwischen Kremmen und Fehrbellin extra breiter gebaut werden. Für die Sicherheit sorgt eine hochmoderne Videoanlage. Das wirft Fragen auf.
81 Kameras sind bereits entlang des 16 Kilometer langen Abschnitts, der für die „temporäre Seitenstreifenfreigabe“, so der Behörden-Ausdruck, zwischen den Anschlussstellen Kremmen und Fehrbellin installiert. Gut 6,8 Millionen Euro hat der Bund dafür investiert. Vor dem Ausbau der Autobahn war genau dieses lange Teilstück, auf dem es keine weitere Auf- und Zufahrt gibt, anfällig für Staus. Besonders an langen Wochenende, in den Ferien und im Sommer, kam selbst durch kleinere Unfälle zu erheblichen Beeinträchtigungen und langen Wartezeiten. Manchmal reichte schon ein hohes Verkehrsaufkommen für den Stillstand auf dem Weg zur Ostsee oder zurück. Das soll nun durch die Option, einen dritten Fahrstreifen per Mausklick zeitweise freigegeben zu können, verhindert werden.

Bilder sind in Stolpe zu sehen

Die baulichen Arbeiten sind im Wesentlichen abgeschlossen. „Aktuell erfolgt die Integration und Anpassung der erforderlichen Software“, erklärt Lutz Günther, Sprecher der Projektmanagementgesellschaft Deges (Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH). Parallel laufen die Abstimmung mit der Verkehrsrechnerzentrale Berlin/Brandenburg, die sich auf dem Stolper Gelände der Niederlassung Nordost der Autobahn GmbH des Bundes befindet, informierte Ralph Brodel, Sprecher der Behörde, weiter. Anschließend werden die Mitarbeitenden geschult, mit dem Videomaterial und der Technik umzugehen. „Wir gehen davon aus, dass der Probebetrieb im Sommer dieses Jahres stattfinden wird“, sagt Lutz Günther. Nach erfolgreichem Abschluss des Probebetriebs kann die Anlage im zweiten Halbjahr 2023 einsatzbereit sein. Einen genaueren Termin gibt es noch nicht.

Einsatz rund um die Uhr

Beim Aufbau der Videoanlage wurden die Kameras und Schalttafeln zum ersten Mal getestet.
Beim Aufbau der Videoanlage wurden die Kameras und Schalttafeln zum ersten Mal getestet.
© Foto: Deges
Die Anlage dient nach Angaben der Deges ausschließlich der Erfassung des Seitenstreifens. „Die Aufnahmen werden direkt an die Verkehrsrechnerzentrale in Stolpe gesendet. Die Kameras sind rund um die Uhr eingeschaltet. Vor und während jeder temporären Freigabe des Seitenstreifens als zusätzlichem Fahrstreifen muss sichergestellt sein, dass der Seitenstreifen nicht durch Gegenstände oder liegengebliebene Fahrzeuge blockiert ist“, so Sprecher Günther. Eine Kontrollfahrt vor Freigabe ist nicht vorgesehen. „Das ist auch nicht notwendig, da die flächendeckende Kameraüberwachung die Sicherheit gewährleistet.“

Polizei hat keinen direkten Zugriff

Eine Überwachung der Verkehrsregeln sei nicht geplant, weist Lutz Günther entsprechende Befürchtungen von Verkehrsteilnehmern zurück. Dafür sei die Polizei zuständig. Das bestätigte auch Polizeisprecher Joachim Lemmel. „Wir haben keinen Zugriff auf die Bilder.“ Das sei erst nach einer richterlichen Anordnung möglich. Notwendig könnte das zum Beispiel für Ermittlungen nach einem schweren Unfall sein. In solchen Fällen muss die Polizei aber schnell handeln. „Eine Zwischenspeicherung oder Pufferung ist aus technischen Gründen für maximal zwei Tage vorgesehen, danach erfolgt die automatische Löschung der Daten“, erläutert Lutz Günther.
Die digitalen Kameras zählen auch nicht die Autos, Lkw, Motorräder und Busse. Dafür gibt es Anlagen zur Verkehrserfassung. Dabei handelt es sich um Schleifen in der Fahrbahn. Es wird dabei automatisch zwischen den Fahrzeugklassen unterschieden (Lkw, Pkw, mit oder ohne Anhänger etc.).
Hinter dem Dreieck Havelland beginnt in Richtung Norde die temporäre Seitenstreifenfreigabe. Unser Bild zeigt eine ältere Archivaufnahme vor dem Ausbau der A24.
Hinter dem Dreieck Havelland beginnt in Richtung Norde die temporäre Seitenstreifenfreigabe. Unser Bild zeigt eine ältere Archivaufnahme vor dem Ausbau der A24.
© Foto: euroluftbild.de/Robert Grahn
Die Deges geht aktuell nicht davon aus, dass sich bei hohem Verkehrsaufkommen in Richtung Ostsee am Ende der Strecke, als vor der Anschlussstelle Fehrbellin, ein Stau bildet, weil der Verkehr ab dort wieder zweispurig geführt wird. „Das Verkehrsaufkommen in Richtung Dreieck Wittstock nimmt im Vergleich zum Abschnitt zwischen den Anschlussstellen Kremmen und Fehrbellin merklich ab“, sagt Günther, der sich auf Verkehrsdaten des Bundes beruft. „Somit ist nördlich der Anschlussstelle Fehrbellin die Stauanfälligkeit reduziert.“
Diese Entscheidung hat zum Beginn des Ausbaus der A24 der Landrat von Ostprignitz-Ruppin kritisiert. Ralf Reinhardt (SPD) forderte damals vom Bund, dass die Autobahn vom Dreieck Pankow und bis zur Abfahrt Neuruppin sechs Fahrspuren bekommt – so wie im ursprünglichen Planfeststellungsverfahren vorgesehen. Er befürchtete bei Fehrbellin einen „Flaschenhals“ auf der A24. Weil der Bund aber ein sinkendes Verkehrsaufkommen prognostizierte, ließ dieser nur vier Spuren zuzüglich Standstreifen ausbauen, der auf besagtem Teilstück bei Bedarf auch als Fahrspur genutzt werden kann. Eine Petition zum sechsspurigen Ausbau der A24 scheiterte ebenfalls.
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